Das FG Köln hat entschieden (Urteil vom 23.01.2019 – 2 K 1315/13, noch nicht amtlich veröffentlicht; Revision zugelassen), dass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom 13.12.2006 zwar anwendbar ist, jedoch im Lichte des Gemeinschaftsrechts sowie der EuGH-Entscheidungen vom 20.12.2017 (Rs. C-504/16, C-613/16 und vom 14.06.2018 – Rs. C-440/17) geltungserhaltend einzuschränken ist – d.h., die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH sind auch auf Zinsen anzuwenden. Im Rahmen der Missbrauchsvermutung muss jedoch ein Gegenbeweis zugelassen werden, wobei eine Substanzzurechnung von nahestehenden Gesellschaften zulässig ist.
Sachverhalt (gekürzt)
Klägerin ist eine zypriotische Kapitalgesellschaft, die Wandelanleihen an einer in Deutschland ansässigen AG gezeichnet hat. Die Wandelschuldverschreibung wurde mit 5,5% p.a. verzinst. Die Klägerin war insgesamt zu 15% an der AG beteiligt. Geschäftsmodell der Klägerin ist das Erwerben und Halten von Beteiligungen an Unternehmen der Schifffahrtsbranche als strategischer und finanzieller Investor. Die Klägerin hielt im streitigen Zeitraum nur die Beteiligung an der in Deutschland ansässigen AG. Die Managementleistungen der Klägerin wurden von einer dieser nahestehenden Schwestergesellschaft erbracht, einer in Zypern ansässigen Ltd. Diese verfügte über Personal und Büroräumlichkeiten, welche mit den erforderlichen Arbeitsmitteln und Kommunikationsgeräten ausgestattet waren. Die Klägerin selbst verfügte in Zypern über keinerlei eigene physische Präsenz und nutzte die Büroräume der Ltd. Die Klägerin beantragte für die Streitjahre 2010 und 2011 die Erstattung der Kapitalertragsteuer i.H.v. 15% gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern auf die von ihr erzielten Zinserträge. Die Erstattung wurde von der Finanzverwaltung unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG (2007) abgelehnt.
Entscheidung des FG Köln
Das FG Köln hat sich in seinem Urteil vom 23.01.2019 (2 K 1315/13) zunächst mit der Frage der beschränkten Einkommensteuerpflicht der Zinsen aus Wandelanleihen vor dem Wandlungsvorgang nach § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG auseinandergesetzt. Es hat sich im Ergebnis schlüssig für eine beschränkte Steuerpflicht entschieden und begründet dies mit dem Wortlaut der Norm, der Gesetzessystematik sowie der Gesetzeshistorie.
Den Erstattungsausschluss nach § 50 Abs. 3 EStG (2007) lehnt das FG Köln zutreffend ab. Das FG wendet im Lichte der EuGH-Rechtsprechung § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom 13.12.2006 nicht uneingeschränkt an, sondern nimmt eine geltungserhaltende Reduktion vor. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG dient nicht ausschließlich der Verhinderung von rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Konstruktionen, die lediglich zu dem Zweck errichtet werden, ungerechtfertigte Steuervorteile zu nutzen. Vielmehr begründet § 50d Abs. 3 EStG eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung, da sie in dem Fall, in dem eine der in ihr vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist, der gebietsfremden Gesellschaft nicht die Möglichkeit lässt, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen (vgl. EuGH vom 20.12.2017 – Rs. C-504/16, C-613/16, Deister Holding/Juhler Holding). Dem Steuerpflichtigen muss bei Anwendung der Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG daher vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis möglich bleiben, wonach im Einzelfall kein Missbrauch vorliegt. Die unwiderlegbare Missbrauchsvermutung anhand vorgegebener allgemeiner Kriterien stellt sich als unverhältnismäßig dar.
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das FG Köln aus, dass eine Erstattung der Kapitalertragsteuer nicht allein deshalb zu versagen ist, weil die Klägerin nicht über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt. Das FG Köln nimmt sodann im Zuge des Gegenbeweises einen Motivtest vor. Hierbei misst es dem Umstand Bedeutung bei, dass die Unternehmensgruppe, welcher die Klägerin angehört, im Ansässigkeitsstaat über eine Konzerngesellschaft in Form einer Ltd. verfügt, welche die Managementleistungen für die Klägerin erbringt und selbst frei von Missbrauchszweifeln ist. Diese Ltd. verfügt über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb und übt eine aktive Wirtschaftstätigkeit aus. Das FG betont unter Heranziehung der Rechtsprechung zur Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) (vgl. BFH vom 31.05.2005 – I R 74/04, DB 2006 S. 370), dass bei vermögensverwaltenden Zwischengesellschaften nicht von einer missbräuchlichen Gestaltung ausgegangen werden kann, wenn aufgrund der Dauerhaftigkeit und Funktion der Gesellschaft und bei einer im selben Staat ansässigen aktiven Konzerngesellschaft nicht anzunehmen ist, dass der Bezug von Erträgen von einer deutschen Gesellschaft gerade bei dieser Zwischengesellschaft nur aus steuerlichen Gründen erfolgt. Da die Klägerin und die Ltd., welche die Managementleistungen für die Klägerin erbringt, aktiv und auf Dauer angelegt sind, verneint das FG einen Rechtsmissbrauch.
Das Verbot der Merkmalsübertragung i.S.d. § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG wird aufgrund der Rechtsprechungsgrundsätze und im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit ebenfalls geltungserhaltend ausgelegt und daher vorliegend eingeschränkt. Folglich kann auch auf die Verhältnisse der substanzhaltigen Schwestergesellschaft der Klägerin abgestellt werden.
Im Ergebnis bejaht das FG Köln daher einen Erstattungsanspruch der Klägerin aus § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern i.H.v. 15%.
Fazit
Die zentrale Problematik des vorliegenden Falles ist die Anwendung der EuGH-Rechtsprechung zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 vom 13.12.2006 auf Zinseinkünfte. Der EuGH hat mit Beschluss vom 14.06.2018 (Rs. C-440/17) auch die Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG 2012 festgestellt. Entscheidender Grund hierfür war – wie bei der Vorgängerregelung – der unwiderlegbare, pauschale Missbrauchsvorwurf der Regelung ohne vorausgehende Einzelfallprüfung (vgl. hierzu Herrmann, Steuerboard vom 16.07.2018). Hier ist die Auffassung des FG Köln sehr zu begrüßen, welches, ohne dies zu thematisieren, davon ausgeht, dass die zu Dividenden ergangenen Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH auch auf Zinseinkünfte Anwendung finden. Zwar wird dies vom FG Köln nicht ausdrücklich angesprochen, erscheint dies jedoch vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung einzig logisch, da die hierzu entwickelten Grundsätze nicht nur für die Mutter-Tochter-Richtlinie (Dividenden) gelten können, sondern folgerichtig auch auf andere Einkünfte (z.B. Zinsen) anzuwenden sind. Die Substanz einer ausländischen Gesellschaft ist losgelöst von der Qualifikation ihrer Einkünfte zu prüfen.
Es bleibt insgesamt zu hoffen, dass dieses Urteil als Anlass dient, die vom EuGH ergangene Rechtsprechung zukünftig auf sämtliche Einkunftsarten auszuweiten. Generell ist eine geltungserhaltende Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 sowie i.d.F. 2012 vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH geboten. Insofern muss auch die Möglichkeit des Gegenbeweises offenbleiben, der für die gesamte Konzernstruktur gelten muss. Dem FG Köln genügten für die Annahme einer ausreichenden Substanz Büroräume, Personal, Arbeitseinrichtungen und die notwendigen Kommunikationsgeräte. Von Interesse wäre hier der genaue Sachverhalt gewesen, wie beispielsweise die Anzahl der Mitarbeiter sowie eine Erläuterung, was das FG unter den erforderlichen Arbeitseinrichtungen und den notwendigen Kommunikationsgeräten versteht. Es werden jedoch im Allgemeinen keine hohen Anforderungen an die Substanz von rein vermögensverwaltenden Holding-Gesellschaften zu stellen sein.
Das FG Köln hat die Revision zugelassen, da der Rechtssache insbesondere im Hinblick auf die beschränkte Steuerpflicht der Erträge aus Wandelanleihen (vgl. das hierzu anhängige Revisonsverfahren I R 6/18) und der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung grundlegende Bedeutung zukommt. Über die Revisionseinlegung ist bislang nichts bekannt. Angesichts der hohen Praxisrelevanz bleibt abzuwarten, ob der BFH die Ansicht des FG Köln in allen entscheidenden Punkten teilt und die Entscheidung aufrechterhält. Im Übrigen bleibt offen, ob sich der Gesetzgeber nicht zu einer Reaktion veranlasst sieht und die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG überarbeitet oder ob er die Auslegung einer europarechtswidrigen Norm weiterhin den Gerichten überlässt.