Zum Scheitern von Digitalisierungsprojekten

Andreas Wähnert, Betriebsprüfer der Finanzverwaltung und Entwickler des Prüfungsnetzes „Summarische Risikoprüfung (SRP)“
Prof. Dr. Bernd Giezek, Hochschullehrer für „quantitative Methoden“ an der FOM in Frankfurt/M.

„Digitalisierung ist Chefsache“ und „Deutschland darf bei der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren“ sind Mantras, wie sie in den letzten Jahren von fast jedem Spitzenpolitiker in die Mikrofone diktiert wurden. In der Wirtschaft scheint hingegen sowohl auf der Arbeitgeber- als auch auf der Arbeitnehmerseite Frustration weit verbreitet zu sein, dass trotz beträchtlicher Ausgaben die Umstellung des Personals auf digitales Arbeiten nicht wie gewünscht gelingt. Die Einrichtung der Enquete-Kommission des Bundestages „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ deutet darauf hin, dass offenbar noch keine befriedigenden Lösungen gefunden wurden. Woran liegt das?

 

 

Unzutreffende Vorstellung von Digitalkompetenz

Prof. Dr. Bernd Giezek und Andreas Wähnert sehen das Hauptproblem darin, dass Entscheider eine unzutreffende Vorstellung von den Anforderungen an digitales Arbeiten – von der „Digitalkompetenz“ – haben und somit die meisten Maßnahmen wirkungslos „verpuffen“ müssen: Im Bereich des (steuerlichen) Rechts z.B. wird nach ihren Erfahrungen die digitale Komponente des Arbeitens überwiegend in der Bedienung von Kommunikationsplattformen vergleichbar Elster gesehen, die nach einer kurzen Eingewöhnung den Arbeitsalltag vielfach erleichtern. Tatsächlich erfordert die der Rechtsanwendung zwingend vorgelagerte Sachverhaltsaufklärung das Zusammenführen und gemeinsame Auswerten einer Masse an digitalen Informationen. So sollen z.B. Betriebsprüfer Millionen von Datensätzen aus der betrieblichen Aufzeichnung in möglichst kurzer Zeit zielführend auf Fehler und Manipulationen untersuchen.

Wie die folgende Gegenüberstellung zum Kompetenzprofil „Digitalisierung“ (Differenzierung angelehnt an: Bravidor/Förster/Weißenberger, WPg 2020 S. 287) zeigt, kann die Auswertung zur Verfügung stehender Daten mittels technischer IT-Mittel wie Filtern und Sortieren erfolgen. Durch die statistische Betrachtung der Informationen über Kennzahlen und Stichproben können weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Zusätzlich ermöglichen heutige Softwarelösungen vielfältige modellbasierte Analysen wie Zeitreihen- oder Häufigkeits-/Musterdiagramme. Fraglos gelingt der schnellste und beste Zugang durch eine systematische Kombination dieser Herangehensweisen:

Digitalkompetenz erfordert umfangreiches interdisziplinäres Anforderungsprofil

Aus dem oben dargestellten Kompetenzprofil lässt sich ebenfalls ableiten, dass für rein technische Lösungsansätze lediglich ein strukturiertes Arbeiten erlernt werden muss. Kennzahlen und Stichproben erfordern für ihren zielführenden Einsatz und die korrekte Ergebnisdeutung zusätzlich mathematische und wirtschaftliche Kenntnisse. Modellbasierte Auswertungen setzen mindestens weitere Grundlagen in den Bereichen „Modellanalyse“, „Naturwissenschaften (natürliche Verteilungen)“ und „Wahrnehmungsphysiologie“ voraus. Somit resultiert für eine hohe Digitalkompetenz ein umfangreiches interdisziplinäres Anforderungsprofil. Gerade diese Fähigkeiten werden in der heutigen Arbeitswelt in vielen (akademischen) Berufen benötigt, damit das Fachwissen „gewinnbringend“ auf der Grundlage der vielen verfügbaren Informationsquellen eingesetzt werden kann: Entsprechend wird die Bedeutung der Rechtsanwendung in steuerrechtlichen Berufen mit der Verbreitung automatisierender Softwarelösungen (vgl. Weber, taxtech.blog vom 13.02.2019) gegenüber der Informationsauswertung (Sachverhaltsaufklärung) zunehmend an Bedeutung verlieren – wie es bereits in vielen anderen Berufen geschehen ist.

Entwicklung systematischer Didaktik-Konzepte erforderlich

Solange die Komplexität der Anforderungen beruflicher „Digitalkompetenz“ in den Entscheidungs- und Empfehlungsebenen nicht zutreffend erkannt wird, können Maßnahmen(vorschläge) in Politik, Wirtschaft und Verwaltung höchstens zufällig in die richtige Richtung gehen, werden aber mit Sicherheit nicht ausreichen. Hinzu kommt, dass auch in den allgemeinbildenden Schulen digitale Lehrkonzepte fehlen. Die Nutzung eines digitalen Endgerätes in der Schule erzeugt noch keine digitale Bildung. Die Digitalisierung kennt keine Grenzen und ein Wirtschaftsstandort wie Deutschland braucht dringend länderübergreifende Mindeststandards nicht nur aber auch in den MINT-Fächern. Mathematiknoten wie in Bremen anzuheben, zeigt dass Teile der Politik nicht verstanden haben, welche Themen für die digitale Bildung wichtig sind. Wenn hier weiterhin keine systematischen Didaktik-Konzepte entwickelt werden, die nicht nur den digitalen Themen genügend Platz einräumen sondern auch die Verknüpfung zum Fachwissen herstellen, wird Deutschland zwangsläufig bei der Digitalisierung den Anschluss verlieren.

 

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