Ethik in der Steuerrechtsauslegung

Markus Hammer, Leiter Financial Services Tax & Legal bei PwC Deutschland

Fragen des Steuerrechts drehen sich im Kern immer darum, wer wieviel an den Staat zu zahlen hat. Der Staat greift mit dem Steuerrecht unmittelbar in die Vermögenssphäre seiner Bürger und Unternehmer ein. Nur das Strafrecht wird von den Betroffenen als noch schmerzhafter empfunden. Es ist daher nachvollziehbar, dass sich viele Menschen relativ schnell ein Urteil darüber zutrauen, ob Steuerzahlungen Dritter unethisch gering sein könnten. Letztlich basieren die Steuerzahlungen aber immer auf Steuergesetzen – eine Tatbestands-Rechtsfolgen-Verknüpfung, die der richterlichen Kontrolle unterliegt. Das wird im Eifer des Gefechts oftmals vergessen. Die kontrollierende dritte Gewalt hat sich ausschließlich am Gesetz zu orientieren, auch wenn die Öffentlichkeit zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Steuerzahlung „eindeutig“ zu gering ist.

Ethik beim Finanzgericht

Könnten die Finanzgerichte bei als zu niedrig empfundener Steuerzahlung im Wege einer „ethischen Auslegung“ des Steuerrechts einen Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit leisten? Dazu müsste das Finanzgericht eine ethische Untergrenze für die Besteuerung eines Sachverhalts definieren und im Rahmen seiner Auslegungsmöglichkeiten die Steuerlast auf das entsprechende Niveau anheben. Die Verfassung räumt den Finanzgerichten zwar eine große Freiheit und Unabhängigkeit bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ein. Die Rechtsprechung darf aber nicht willkürlich erfolgen; sie ist an das Gesetz gebunden. Dass man vor Gericht wie auf hoher See in Gottes Hand sei, ist eine vielzitierte Binse. Einen Richterspruch vorherzusagen, ist und bleibt auch nach wie vor schwierig. Zu vereinfacht wäre es aber zu sagen, Finanzgerichte sind in der Rechtsanwendung frei. Die Methodik der Rechtsanwendung bindet die Gerichte und schützt alle Beteiligten vor Willkür. Sie ist wie eine Mauer, die sich schützend zwischen den Fiskus, den Betroffenen und seine Umwelt stellt. Mögliche Umweltfaktoren wie Zeitgeist, Populismus oder Social Media-Kampagnen prallen an ihr ab. Das heißt aber auch, dass ethische Wertungen bei der Rechtsanwendung nicht ins Kalkül gezogen werden dürfen, nur weil das Ergebnis der Gesetzesauslegung zu einer als nicht ausreichend erachteten Steuerlast führt. Ethische Überlegungen haben bei der Rechtsanwendung im Finanzgerichtsverfahren nichts verloren. Sie sind Sache des Gesetzgebers.

Ethik außerhalb der Rechtsanwendung

Es ist nicht die Aufgabe der Finanzgerichte, das Steuerrecht ethischer zu gestalten. Gleichzeitig sind aber auch Medien und Politik gehalten, differenziert und verantwortungsvoll über die Auswirkungen des Steuerrechts zu berichten. Etwa 10% der Haushalte zahlen 50% aller in Deutschland erhobenen Steuern. Das mag zumindest als Indiz gelten, dass eine gewisse Umverteilung stattfindet. Das deutsche Steuerrecht ist zweifelsfrei kompliziert und komplex. Die verkürzte Berichterstattung über als unethisch betrachtete, geringe Steuerzahlungen in Einzelfällen öffnete Populisten aber das Tor für Generalabrechnungen über das angeblich nicht funktionierende System des deutschen Steuerrechts. Und nichts gefährdet die Steuerehrlichkeit aller Bürger und Unternehmer mehr als Zweifel daran, dass alle ihren Beitrag gemäß den gültigen Gesetzen leisten. Was ist am Ende also unethisch?

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