Die Nachricht vom Tode Bhumibols des Großen dürfte bei den Beamten der bayerischen Finanzverwaltung für leuchtende Augen gesorgt haben. Als der damals amtierende König von Thailand am 13.10.2016 in Bangkok verstarb, soll sein Vermögen Schätzungen zufolge mehr als 30 Milliarden Euro betragen haben. Damit war er der mutmaßlich reichste Monarch der Welt. Der Erbe des Verstorbenen wiederum, Kronprinz Maha Vajiralongkorn, hatte kurz vor dem Tod seines Vaters eine Villa in Tutzing am Starnberger See erworben und dort möglicherweise auch einen Wohnsitz begründet. Sein Erbteil wurde damals in der internationalen Presse auf rund 10 Milliarden Euro geschätzt.
Rechtslage gemäß ErbStG
Damit schien der Fall für viele zunächst klar: Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ErbStG unterliegt der unbeschränkten persönlichen Erbschaftsteuerpflicht, wer als Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Einen Wohnsitz hat jemand wiederum dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Dabei ist nicht erforderlich, dass die Wohnung zugleich auch den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen bildet. Ein Steuerpflichtiger kann also gleichzeitig mehrere Wohnsitze i.S.d. § 8 AO haben, die im Inland oder Ausland gelegen sein können (AEAO zu § 8, Ziff. 1.3.).
Die unbeschränkte Steuerpflicht führt grundsätzlich zu einer uneingeschränkten Besteuerung des gesamten Erbanfalls weltweit. Insofern ist also zunächst unerheblich, ob der Vermögensanfall im Inland oder Ausland eingetreten ist. Auf den ersten Blick hätte der Kronprinz folglich mit seinem gesamten steuerpflichtigen Erwerb zur Erbschaftsteuer veranlagt werden müssen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Unterstellt man den kolportierten Erwerb von 10 Milliarden Euro einmal als zutreffend, so hätte sich bei einem hier anzuwendenden Steuersatz von 30% eine festzusetzende Erbschaftsteuer von drei Milliarden Euro ergeben (§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 ErbStG).
Doch eine solche Veranlagung scheint tatsächlich jedenfalls bislang nicht erfolgt zu sein. Das gesamte jährliche Erbschaftsteueraufkommen in Bayern liegt seit Jahren unverändert bei ein bis zwei Milliarden Euro. Genaueres ist nicht bekannt. Auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage zweier Mitglieder des Bayerischen Landtags vom 24.04.2020 hin hat das bayerische Finanzministerium keine konkrete Auskunft erteilt (BT-Drucks. 18/8173 vom 19.06.2020). Dies gab den Anstoß für allerhand Mutmaßungen und Spekulationen. Könnte es sein, dass der bayerische Fiskus aus Gründen politischer Opportunität auf die Steuer „verzichtet“ hat?
Blick auf die völkerrechtliche Lage
Um ein vollständiges Bild von dem Vorgang zu bekommen, muss die völkerrechtliche Lage mit in den Blick genommen werden – genauer: die völkergewohnheitsrechtliche Lage, denn das Völkervertragsrecht, das sonst von so großer Bedeutung für das Internationale Steuerrecht ist (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, § 2 AO), hilft an dieser Stelle nicht weiter. Ein deutsch-thailändisches Doppelbesteuerungsabkommen für Zwecke der Erbschaftsteuer existiert nicht.
Von besonderer Relevanz für den vorliegenden Fall ist jedoch ein anderer Umstand: Nachdem Bhumibol der Große verstorben war, wurde Maha Vajiralongkorn als Rama X. zum neuen König von Thailand ausgerufen. Die feierliche Inthronisation erfolgte am 04.05.2019 rückwirkend auf den Todestag Bhumibols. Le roi est mort, vive le roi! In der Folge hatte es die bayerische Finanzverwaltung somit nicht mehr mit einem „normalen“ Steuerpflichtigen zu tun, sondern mit einem amtierenden Staatsoberhaupt. Jetzt stand die alles entscheidende Frage im Raum, ob der politische Status eines Staatsoberhaupts seiner Veranlagung zur Erbschaftsteuer entgegenstehen kann.
Die souveräne Gleichheit aller Staaten als Ausgangspunkt
Den zentralen Grundpfeiler der Völkerrechtsordnung bildet der Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten (vgl. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta). Daran hat sich seit dem Westfälischen Frieden wenig geändert, wenngleich das tradierte Verständnis staatlicher Souveränität seit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung allmählich Gegenstand einer grundsätzlichen Debatte wird (vgl. die Bemerkung Carl Schmitts aus dem Jahr 1963: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren.“). Schlaglichtartig kann hier das jüngere Konzept einer responsibility to protect erwähnt werden, das die staatliche Souveränität mit einer Verantwortung zum Schutze vor schweren Menschenrechtsverletzungen verknüpft. Kann oder will der souveräne Staat dieser Verantwortung nicht gerecht werden, so könne dies zu entsprechenden Souveränitätseinbußen führen, die im äußersten Fall sogar die Anwendung von Gewalt legalisieren könnten. Von solchen Ausnahmefällen einmal abgesehen hat das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten im Grundsatz aber auch heute noch Gültigkeit.
Staatenimmunität
Ausfluss dieses Leitprinzips der souveränen Staatengleichheit ist unter anderem der weitere völkerrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität. Er besagt im Wesentlichen, dass kein Staat über den anderen Hoheitsgewalt ausüben darf. Während sich dieses Verbot ursprünglich noch auf das gesamte Handeln eines Staates bezogen hatte, etablierte sich später eine Unterscheidung in hoheitliche (acta iure imperii) und privatwirtschaftliche Handlungen (acta iure gestionis). Heute ist weithin anerkannt, dass ein Staat sich dann nicht auf seine völkerrechtliche Immunität berufen kann, wenn er wie ein Privater auftritt – wenngleich die exakte Abgrenzung Schwierigkeiten bereiten kann.
Immunität von Staatsorganen
Aus der staatlichen Immunität leitet sich wiederum das Prinzip der Immunität der für ihn handelnden Organe ab. Offensichtlich ist dies zunächst für das „offizielle“, hoheitliche Handeln von Staatsorganen, da selbiges vorrangig dem fremden Staat zugerechnet werden muss und nicht der handelnden Person. Diese sog. funktionale Immunität (ratione materiae) endet daher auch nicht mit dem Ausscheiden aus dem Amt.
Darüber hinaus genießen bestimmte Staatsorgane Immunität kraft ihres besonderen Status (ratione personae). An dieser Stelle muss zunächst zwischen Diplomaten und Konsuln einerseits und sonstigen Staatsorganen andererseits differenziert werden. Denn während für die persönliche Immunität von Diplomaten und Konsuln völkervertragliche Regelungen existieren (siehe die beiden Wiener Übereinkommen vom 18.04.1961 und 24.04.1963), ist dies im Hinblick auf sonstige Staatsorgane nicht der Fall. Letztere genießen persönliche Immunität nur nach Maßgabe des Völkergewohnheitsrechts, also der von einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung (opinio iuris) getragenen Staatenpraxis. Da eine Kodifikation der gewohnheitsrechtlichen Immunität immer noch aussteht, bestehen entsprechend große Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die sachliche wie persönliche Reichweite des Konzepts. Als gesichert dürfte gelten, dass zumindest das Staatsoberhaupt eines ausländischen Staates in den persönlichen Schutzbereich einbezogen ist. Auch dürfte in zeitlicher Hinsicht feststehen, dass die persönliche (nicht die funktionale!) Immunität mit dem Ausscheiden aus dem Amt endet. Insbesondere eine strafrechtliche Verfolgung für private Verfehlungen ist also wieder möglich, nachdem das Amt geendet hat. Doch was ist mit der hier entscheidenden Frage nach der sachlichen Reichweite? Genießt das Oberhaupt eines anderen Staates persönliche Immunität auch für private Besuche und Handlungen und – falls ja – welche Grenzen bestehen insofern?
Persönliche Immunität auch im privaten Bereich?
Der Punkt ist nicht unumstritten. Eine gewisse Orientierung für die Praxis könnte jedoch das Urteil des IGH im sog. Yerodia-Fall bieten (IGH vom 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 – D.R. Congo / Belgium). Der Entscheidung lag der Fall eines Regierungsmitglieds der Demokratischen Republik Kongo zugrunde, das in Belgien wegen des Vorwurfs des Völkermords verhaftet worden war. Belgien rechtfertigte den Schritt im Wesentlichen damit, dass das Verbot des Völkermords dem zwingenden Völkerrecht unterfalle (ius cogens). Der IGH vermochte dieser Argumentation jedoch nicht zu folgen. Die persönliche Immunität von Staatsoberhäuptern und hochrangigen Regierungsvertretern gegenüber der Gerichtsbarkeit anderer Staaten gelte umfassend für ihr gesamtes Verhalten, egal ob privat veranlasst oder nicht. Dies schließe auch schwerste Verbrechen ein. Ebenso wenig mache es einen Unterschied, ob das betreffende Organ den anderen Staat in amtlicher oder privater Eigenschaft besuche. Eine anderweitige Staatenpraxis sei nicht feststellbar. Die Tatsache, dass das Völkermordverbot ius cogens sei, begründe weder das Recht noch die Pflicht anderer Staaten, derartige Taten zu ahnden. Klargestellt wurde aber, dass die persönliche Immunität nur vor der Gerichtsbarkeit anderer Staaten schütze, nicht aber gegenüber internationalen Strafgerichten (vgl. Art. 27 Abs. 2 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs).
Auch wenn sich hieraus keine direkten Ableitungen für den Fall einer Veranlagung zur Erbschaftsteuer machen lassen, zeigt die Entscheidung doch, wie ernst der Grundsatz der Immunität von Staaten und staatlichen Organen aufgrund der bestehenden internationalen Praxis genommen werden muss. Wenn nicht einmal Völkermord eine Durchbrechung der persönlichen Immunität zu rechtfertigen vermag, dann wird man dies wohl erst recht nicht für fiskalische Zwecke annehmen können.
Innerstaatliche Geltung des Völkergewohnheitsrechts
Die Grundsätze der persönlichen Immunität ausländischer Staatsorgane werden als sog. allgemeine Regeln des Völkerrechts über Art. 25 Satz 1 GG ins Bundesrecht „gespiegelt“, wo sie unmittelbar, also ohne Umsetzungsakt, gelten. Art. 25 Satz 2 GG verleiht den allgemeinen Regeln des Völkerrechts dabei sogar Vorrang vor den Bundesgesetzen und damit nach h.M. „Zwischenrang“ zwischen dem einfachen Bundesrecht einerseits und dem Grundgesetz andererseits. Anders als beim Völkervertragsrecht, das über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch Zustimmungsgesetz in das einfache Bundesrecht überführt wird, besteht daher in Bezug auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch keine Möglichkeit eines unilateralen „overriding“ durch nationales Gesetz.
Fazit
Für den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass der bayerische Fiskus völkergewohnheitsrechtlich daran gehindert wäre, einen amtierenden ausländischen König zur Erbschaftsteuer zu veranlagen – zumindest solange, bis der König abdankt oder der andere Staat auf seine Immunität verzichtet.
Im Ergebnis erscheint diese Rechtslage zunächst fragwürdig. Wie kann es in einem Rechtsstaat sein, dass jemand nur aufgrund seines Amtes nicht wie alle anderen zur Steuer veranlagt wird? Auf den ersten Blick erinnert das mehr an den alten Satz princeps legibus solutus als an den Grundsatz einer gleichmäßigen Besteuerung. Der Vorwurf der ungerechtfertigten Bevorzugung liegt nahe. Andererseits sollte man im Blick behalten, welche Konsequenzen sich für die internationale Staatengemeinschaft ergeben könnten, wenn die Grundsätze der persönlichen Immunität aufgeweicht würden. Da diese Grundsätze gewohnheitsrechtlich fundiert sind, unterliegen sie in Abhängigkeit von der tatsächlichen Staatenpraxis einem stetigen Wandel. Ein Abrücken von der bisherigen Praxis könnte also dazu führen, dass auch deutsche Regierungsvertreter künftig befürchten müssten, im Ausland festgenommen oder sonst drangsaliert zu werden. Dieses Risiko mag im Hinblick auf rechtsstaatlich geprägte Länder vielleicht hinnehmbar erscheinen, doch sollte man nicht vergessen, dass rechtsstaatliche Prinzipien nicht in allen Regionen dieser Welt im gleichen Maße anerkannt sind. Im Übrigen versteht es sich von selbst, dass der gesandtschaftliche Verkehr auf höchster diplomatischer Ebene sehr schnell zum Erliegen kommen dürfte, wenn das gegenseitige Vertrauen in die Unverletzlichkeit der eigenen Repräsentanten erst einmal erschüttert ist. Vor diesem Hintergrund kann man die mit der völkerrechtlichen Immunität verbundene Sonderstellung von Staatsoberhäuptern und hochrangigen Regierungsvertretern im Einzelfall zwar als ungerecht rügen, doch sollte man sich besser davor hüten, die Axt daran zu legen.