Seit längerem wird in der „Steuercommunity“ darüber diskutiert, ob und unter welchen Umständen die stille Beteiligung an einer finanziell eingegliederten und einer unternehmensvertraglichen Gewinnabführungsverpflichtung unterworfenen Kapitalgesellschaft deren Einbindung in eine ertragsteuerliche Organschaft (§§ 14–19 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG) ausschließt (vgl. als Überblick Prinz, in: Festschrift Wolfgang Kessler, 2021 S. 476–478). Organschaftsrelevante Grundfrage dabei ist, ob in einer solchen Konstellation der „ganze Gewinn“ der abhängigen Kapitalgesellschaft – eine inländische Geschäftsleitung reicht bei EU/EWR-Kapitalgesellschaften aus – an ein „einziges anderes gewerbliches Unternehmen“ abgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Während die typisch stille Beteiligung als besondere Form der Fremdfinanzierung organschaftsunschädlich ist, sieht die Finanzverwaltung die Begründung einer Mitunternehmerschaft in Gestalt einer Kapitalgesellschaft & atypisch Still als organschaftsschädlich an (vgl. BMF vom 20.08.2015, BStBl. I 2015 S. 649 = DB 2015 S. 1994). Die Mitunternehmerschaft überlagere die Abführungsverpflichtung der Kapitalgesellschaft und führe zur Zurechnung eines „Teilgewinns“ an den atypisch still Beteiligten. Im Übrigen ist die Abgrenzung der typischen von der atypisch stillen Beteiligung in der Praxis nicht immer ganz leicht. In einer nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung hatte der BFH (BFH vom 15.07.2020 – I R 33/18) über die Organgesellschaftsfähigkeit einer GmbH & Still zu entscheiden. Auch wenn sich die Entscheidung letztlich nur auf verfahrensrechtliche Aspekte beschränkt, ist sie unter mehreren Aspekten bemerkenswert.
Kann eine Kapitalgesellschaft & atypisch Still organschaftsschädlich sein?
Die Literatur bestreitet die Organschaftsschädlichkeit einer Kapitalgesellschaft & atypisch Still in weiten Teilen, da der „ganze Gewinn“ der dem Mutterunternehmen per Abführungsverpflichtung verbleibende Ergebnisanteil nach Bedienung des Stillen ist. Dies entspricht der handelsrechtlichen Darstellung der atypisch stillen Beteiligung im Jahresabschluss der Tochter-Kapitalgesellschaft. So betrachtet wird auch in einer solchen Konstellation der vollständige Gewinn an das Mutterunternehmen abgeführt. Mit dieser Frage hatte sich kürzlich der BFH in dem Revisionsverfahren I R 33/18 zu befassen. Die Entscheidung des BFH datiert auf den 15.07.2020. In der vorinstanzlichen Entscheidung des FG Mecklenburg-Vorpommern wurde die Organgesellschaftsfähigkeit der Tochter-Kapitalgesellschaft mit ausführlicher Begründung und etlichen „verfahrensrechtlichen Pirouetten“ abgelehnt (FG Mecklenburg-Vorpommern vom 05.09.2018 – 1 K 396/14). Wer sich nun in der Revisionsentscheidung eine definitive Antwort des BFH auf die materiellrechtliche Organschaftsfrage erhofft hat, wird nach Lektüre des Judikats enttäuscht sein. Denn die NV-Entscheidung des BFH vom 15.07.2020 hebt das Urteil des FG Mecklenburg-Vorpommern zwar auf, beschränkt sich aber auf rein verfahrensrechtliche Aspekte, die auch den Organschaftskenner an manchen Stellen etwas ratlos zurücklassen.
Kerninhalt des BFH-Urteils vom 15.07.2020 – I R 33/18
Zunächst erstaunt: Das Datum der BFH-Entscheidung stammt aus Mitte Juli 2020, deren Veröffentlichung am 06.05.2021 erfolgte erst rund zehn Monate später. Dies ist bedauerlich, denn effizienter Rechtschutz erfordert stets auch Zeitnähe. Aber so ganz ungewöhnlich ist die Zehn-Monats-Frist – deren Gründe sind dem Leser nicht bekannt – letztlich wohl dennoch nicht. Gewichtiger erscheint: Die Streitjahre sind 2004 bis 2008, betreffen also Veranlagungszeiträume vor Neueinführung der verfahrensrechtlichen Grundlagen-Folgebescheidwirkungen des § 14 Abs. 5 KStG mit Geltung ab 01.01.2014. Auch dass der BFH seine rechtlichen Subsumtionsüberlegungen im Urteil mit einem „einfachen Beispiel“ zur gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilung bei Mitunternehmerschaften illustriert (so Rz. 22 des Judikats), sieht man nicht alle Tage. Schließlich lautet der Leitsatz der Entscheidung recht unkonkret: „Zur Frage der Organschaftsanerkennung bei atypisch stiller Beteiligung des vermeintlichen Organträgers am Handelsgewerbe der vermeintlichen Organgesellschaft“. „Vermeintlich“ heißt etymologisch zunächst „auf den ersten Blick für möglich erachten“, ggf. kann dies aber eine auf fälschlicher, irrtümlicher Vorstellung beruhende Einschätzung sein.
Nach meinem Verständnis bedeutet dies: Das materielle Rechtsergebnis zu der Frage, ob eine Kapitalgesellschaft & atypisch Still ertragsteuerlich organschaftsschädlich ist, bleibt in der Entscheidung letztlich offen, auch wenn der I. Senat wohl eine gewisse Sympathie für deren Nichtanerkennung durch zahlreiche Hinweise auf ältere Judikate – so in Rz. 17 auf zwei BFH-Nichtzulassungsbeschlüsse – durchscheinen lassen mag. Des Weiteren wird in Rz. 17 der Entscheidung von der höchstrichterlich nicht entschiedenen Streitfrage gesprochen, ob die atypisch stille Beteiligung des vermeintlichen Organträgers am Handelsgewerbe der vermeintlichen Organgesellschaft und die damit verbundene anteilige Gewinnzurechnung an den Mitunternehmer dazu führt, dass i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG keine Abführung des „ganzen Gewinns“ mehr erfolgen kann.
Entscheidung fokussiert auf verfahrensrechtliche Aspekte
Der Kerninhalt der Entscheidung betrifft deshalb ausschließlich verfahrensrechtliche Aspekte des einschlägigen Feststellungsverfahrens der schuldrechtlichen Mitunternehmerschaft GmbH & atypisch Still. Insoweit wird die Entscheidung der Vorinstanz im Revisionsverfahren aufgehoben. Die vGA in Gestalt der Gewinnabführung bei unterstellter gescheiterter Organschaft stellt nach Meinung des BFH keinen als Sonderbetriebseinnahme zu erfassenden Vorgang im Feststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft dar, sondern ist Bestandteil der Verteilung laufender Einkünfte. Die Zentralfrage der Anerkennung der Organschaft bleibt im Judikat offen, sie hätte insoweit im Körperschaftsteuerverfahren der Organgesellschaft entschieden werden müssen. Denn das Tatbestandsmerkmal der Organschaftsfähigkeit ist ein persönliches Qualifikationsmerkmal des GmbH-Mitunternehmers (so ausdrücklich Rz. 22). Konkret ist die Muttergesellschaft im Streitfall zu 100 % an der mit einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag versehenen abhängigen GmbH beteiligt. Zugleich wurde im Innenverhältnis seitens der Muttergesellschaft eine atypisch stille Gesellschaft mit der Tochter-GmbH begründet, wobei das Geschäftsvermögen zu 10 % der Muttergesellschaft im Innenverhältnis zugeordnet wird. Bei dieser Konstellation erscheint mir die vom BFH in Rz. 15 der Entscheidung getroffene Zuordnung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung zum notwendigen Sonderbetriebsvermögen II des atypisch Stillen problematisch. Denn die Doppelgesellschafterstellung der Muttergesellschaft besteht primär aus der 100 %-Beteiligung an der GmbH, die zur finanziellen Eingliederung führt. Im Innenverhältnis werden dann durch die Mitunternehmerschaft 10 % des Gesamtvermögens der abhängigen GmbH dem Stillen – also der Muttergesellschaft – zugeordnet. Die 10 %ige Beteiligung des Stillen reicht meines Erachtens nicht dafür aus, dessen Gesamtbeteiligung zum notwendigen SBV II in Gestalt einer Stärkung seiner Mitunternehmerstellung zu bewirken. Die originäre100 %-Beteiligung ist deutlich höherwertiger im Vergleich zur Beteiligung als Mitunternehmer, so dass der Kapitalgesellschafts-Anteil originäres Betriebsvermögen der Mutter-Kapitalgesellschaft bleiben sollte. Dies hat der BFH bereits in seiner Entscheidung vom 16.04.2015 – IV R 1/12 (DB 2015 S. 1759) für die Minderheitsbeteiligung des Kommanditisten an einer Komplementär-GmbH von weniger als 10 % entschieden; im Streitfall sollte entsprechendes gelten. Verfahrensrechtlich folgert der I. Senat des BFH daraus: Über die Frage der Nichtanerkennung der Organschaft und der daraus resultierenden Umqualifizierung der Einkommenzuweisung in eine vGA ist im Streitfall nicht im Feststellungsbescheid zu entscheiden. Vielmehr handelt es sich um eine Frage des gesellschaftsvertraglich vereinbarten Gewinnverteilungsschlüssels von 90:10, so dass die anderslautende Entscheidung der Vorinstanz aufzuheben ist. Die letztlich entscheidende Streitfrage der Organschaftsanerkennung muss insoweit aber verfahrensrechtlich offenbleiben.
Zusammenfassende Erkenntnis: Materielle Organschaftsfrage bleibt offen
Die neue NV-Entscheidung des BFH vom 15.07.2020 lässt den Rechtsanwender etwas „verwirrt“ zurück. Man denkt an die häufig apostrophierte Rechtserfahrung: Bad cases make bad law. In nicht wenigen gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten lässt das Verfahrensrecht – jedenfalls nach Meinung des jeweiligen Gerichts – die eigentlich zu klärende materielle Rechtsfrage unbeantwortet; und dies bei langjährig zurückliegenden „historischen Streitjahren“. Die praxisbedeutsame Frage, ob die atypisch stille Gesellschaft die Organgesellschaftsfähigkeit der abhängigen Kapitalgesellschaft – so wie es die Finanzverwaltung meint – definitiv zerstört, ist höchstrichterlich noch immer nicht entschieden. Dies gilt es für die Praxis zu beachten.