„Obwohl das deutsche Steuerrechtssystem ein Vielsteuersystem ist, gibt es kein entwickeltes Konkurrenzsystem.“ Dieser kurze Satz enthält bereits die vollständige Beschreibung eines der wohl drängendsten Kernprobleme des deutschen Steuerrechts. Er stammt von Georg Crezelius, der am 23.10.2021 verstorben ist (ZEV 2015 S. 392). Crezelius hat es natürlich nicht bei einer bloßen Problemfeststellung belassen, sondern – im Gegenteil – Entscheidendes dazu beigetragen, dass wir heute besser in der Lage sind, tatbestandliche Überlappungen im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung aufzulösen. Dies gilt im Besonderen für das Verhältnis der Einkommen- zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. Im Folgenden sollen einige Überlegungen von Crezelius aufgegriffen werden, um in diesem Licht sodann drei aktuelle Problemfälle zu besprechen. Es wird sich zeigen, dass das Nebeneinander von Einkommensteuer einerseits und Erbschaft- und Schenkungsteuer andererseits beherrschbar wird, sobald man sich Klarheit über den dieses Verhältnis ordnenden Begriff der Entgeltlichkeit verschafft hat. Alles Weitere ergibt sich dann wie von selbst.
Der Begriff der Entgeltlichkeit und seine Bedeutung für das Steuerrecht
Das Einkommensteuerrecht setzt den Begriff der Entgeltlichkeit voraus. Ein Lebenssachverhalt ist nur dann einkommensteuerbar, wenn er sich unter eine der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG subsumieren lässt. Deren gemeinsames Merkmal ist der Zuwachs der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auf Basis entgeltlicher Vorgänge (Crezelius, a.a.O.). Entgeltlichkeit meint dabei, dass der Steuerpflichtige im Austausch für den erhaltenen Zuwachs seiner Leistungsfähigkeit seinerseits eine Gegenleistung zu erbringen hat. Erforderlich ist damit eine – wie auch immer geartete – Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung, d.h. eine Teilnahme des Steuerpflichtigen am Marktgeschehen im Sinne eines quid pro quo. Grundsätzlich kann der Einkommensteuer somit nur eine solche Steigerung der Leistungsfähigkeit unterfallen, die ihre Ursache im Einsatz der Arbeitskraft oder des Kapitals des Steuerpflichtigen hat.
An alle sonstigen – das heißt unentgeltlichen – Leistungsfähigkeitssteigerungen des Steuerpflichtigen ist demgegenüber der Maßstab des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts anzulegen. Auch auf unentgeltlicher Basis erlangte Vermögensvorteile erhöhen die individuelle Leistungsfähigkeit, weshalb keine Bedenken dagegen bestehen, auch diese einer Besteuerung zu unterwerfen. Letztlich kann man vor diesem Hintergrund auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer als funktionale „Einkommensteuer“ begreifen. Theoretisch wäre daher eine Zusammenfassung in einer einheitlichen Kodifikation denkbar (Crezelius, a.a.O.). Andere Länder (z.B. Kanada) haben diesen Weg bereits beschritten.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dem Begriff der Entgeltlichkeit eine entscheidende Koordinierungsfunktion im deutschen Vielsteuersystem zukommt. Es liegt auf der Hand, dass ein und dieselbe Einnahme – gleichviel, ob entgeltlich oder unentgeltlich – die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nur einmal erhöht und daher von Verfassungs wegen nur einmal der Besteuerung unterworfen werden kann. Eine doppelte Belastung mit Schenkungsteuer und Einkommensteuer liefe dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung zuwider. Jede Steigerung der individuellen Leistungsfähigkeit kann also nur (i) der Einkommensteuer, (ii) der Erbschaft- und Schenkungsteuer oder (iii) weder der Einkommensteuer noch der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterfallen. Auch wenn sich diese Einsicht (noch) nicht überall durchgesetzt zu haben scheint, ist sie doch zumindest seit längerer Zeit im Vordringen begriffen (Crezelius, a.a.O., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Koordiniert wird dieses exklusive Verhältnis von Einkommensteuer einerseits und Erbschaft- und Schenkungsteuer andererseits durch den Begriff der Entgeltlichkeit. So wie eine Steigerung der Leistungsfähigkeit nur entweder (teil-)entgeltlich oder (teil-)unentgeltlich zustande kommen kann (tertium non datur), so kann sie auch nur entweder der Einkommensteuer oder der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterfallen. Georg Crezelius hat sich unter anderem auch auf diesem Feld verdient gemacht und dafür gesorgt, dass wir heute klarer und weiter sehen können als früher. Insofern gilt das seit dem Mittelalter geprägte Bild von den Zwergen, die auf den Schultern von Riesen sitzen (nanos gigantum umeris insidentes). Von hier aus fällt es leicht, selbst in vermeintlich schwierigen Grenzfällen die notwendigen Abgrenzungen zu treffen:
Corollarium 1: Die entgeltliche Bedarfsabfindung des Zugewinnausgleichs
Mit Urteil vom 01.09.2021 (II R 40/19, DB 2022 S. 309) hat der BFH präzisiert, unter welchen Voraussetzungen güterrechtliche Abfindungszahlungen zwischen Ehegatten als freigebige Zuwendungen schenkungsteuerbar sein können. Eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setze voraus, dass sich der Erwerb unentgeltlich vollziehe. Der subjektive Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entfalle, wenn der Zuwendende seine Leistung als entgeltlich ansehe. Vor diesem Hintergrund sei im Falle güterrechtlicher Abfindungszahlungen zwischen steuerbaren „Pauschalabfindungen“ und nicht steuerbaren „Bedarfsabfindungen“ zu differenzieren:
Die Pauschalabfindung werde bereits bei Abschluss eines Ehevertrages gezahlt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die abzufindende Zugewinnausgleichsforderung noch gar nicht bestanden habe. Denn der Anspruch auf Zugewinnausgleich entstehe erst mit Beendigung der Zugewinngemeinschaft. Hinzu komme, dass zum Zeitpunkt der Zahlung der Abfindung noch nicht feststehe, ob die Ehe jemals geschieden oder sonst vorzeitig beendet werden wird – geschweige denn, welcher der beiden Ehegatten in diesem Fall in welcher Höhe eine Ausgleichsforderung geltend machen könnte. Aufgrund dieser Unsicherheiten sei der Verzicht auf den Ausgleichsanspruch nicht quantifizierbar mit der Folge, dass er gemäß § 7 Abs. 3 ErbStG nicht als Gegenleistung in Ansatz gebracht werden könne. In den Fällen der Pauschalabfindung fehle es somit an einer Gegenleistung, sodass die Abfindungszahlung unentgeltlich erfolge und dementsprechend schenkungsteuerbar sei.
Hiervon zu unterscheiden seien die Fälle einer sogenannten Bedarfsabfindung, in denen die (künftigen) Eheleute die Rechtsfolgen ihrer Ehe umfassend regeln und erst im Fall einer tatsächlichen Beendigung der Ehe eine Abfindungszahlung fällig werden soll. Anders als bei der Pauschalabfindung stehe der Abfindungszahlung hier eine quantifizierbare Gegenleistung des anderen Ehegatten gegenüber.
Die vom BFH gefundene Differenzierung überzeugt. Es macht einen Unterschied, ob einer Abfindungszahlung eine bezifferbare Gegenleistung gegenübersteht oder ob diese vielmehr pauschal „ins Blaue hinein“ gezahlt wird. Dies rechtfertigt es, eine für den Verzicht auf den Zugewinnausgleich vorab geleistete Abfindungszahlung als unentgeltlich einzuordnen. Demgegenüber wird eine Bedarfsabfindung erst dann bezahlt, wenn die Ehe tatsächlich beendet wird. Dann steht der Abfindung eine Gegenleistung in Gestalt konkreter ehebedingter wirtschaftlicher Nachteile gegenüber, die entsprechend abzugelten sind.
Corollarium 2: Die entgeltliche Vermögensübergabe gegen wiederkehrende Leistungen
Spannende Abgrenzungsprobleme bereitete in der Vergangenheit auch die Frage, inwiefern eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen als entgeltlicher oder unentgeltlicher Vorgang einzuordnen ist. Es geht hier um Fälle, in denen der Übergeber Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf einen Übernehmer überträgt, der ihm hierfür lebenslang wiederkehrende Leistungen aus dem übergegangenen Vermögen zusagt. Unter bestimmten Voraussetzungen war früher anerkannt, dass eine solche Vermögensübergabe insgesamt unentgeltlich erfolgt. Die zugesagten Versorgungsleistungen waren demnach weder Veräußerungsentgelt noch Anschaffungskosten. Dahinter stand die Überlegung, dass es sich hierbei nicht um eine vom Übernehmer zu erbringende Gegenleistung handele, sondern dass sich der Übergeber – ähnlich wie bei einem Vorbehaltsnießbrauch – von vornherein die Ertragskraft des Vermögens zurückbehalte (BFH vom 05.07.1990 – GrS 4-6/89; BFH vom 12.05.2003 – GrS 1/00).
Der Anwendungsbereich der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen wurde indes durch das Jahressteuergesetz 2008 (BGBl. 2007 S. 3150) erheblich eingeschränkt (vgl. dazu bereits Haag, Steuerboard vom 08.09.2016). Während früher grundsätzlich jedes ertragbringende Wirtschaftsgut Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein konnte (zu den Grenzen: BFH vom 12.05.2003 – GrS 1/00), ist der Anwendungsbereich heute auf Mitunternehmeranteile, (Teil-)Betriebe sowie bestimmte GmbH-Geschäftsanteile beschränkt (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG).
Seitdem besteht Streit darüber, wie Vermögensübergaben einzuordnen sind, die sich außerhalb des Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG vollziehen. Praktische Relevanz hat die Frage insbesondere bei Übertragung von im Privatvermögen gehaltenen Immobilien. Einerseits wird vertreten, dass es sich hierbei um (teil-)entgeltliche Vorgänge handeln müsse (BMF vom 11.03.2010, BStBl. I 2010 S. 227, Rn. 57, 65). Andererseits wird argumentiert, dass die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG keinen Einfluss auf die Frage der Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit haben könne. Vielmehr bleibe es dabei, dass Vermögensübergaben gegen Versorgungsleistungen stets unentgeltlich erfolgten, unabhängig von der Art des übertragenen Vermögens. Werde Vermögen übertragen, das nicht in § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG genannt sei, entfalle lediglich der Sonderausgabenabzug. An der Unentgeltlichkeit des Vorgangs ändere sich dagegen nichts, sodass der Übernehmer die Zahlungen an den Übergeber nicht als Anschaffungskosten behandeln könne (vgl. FG Bremen vom 25.10.2018 – 1 K 165/17 3). Anderenfalls würde gleichsam „durch die Hintertür“ wieder eine Abzugsfähigkeit geschaffen, die der Gesetzgeber mit der Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG gerade habe beseitigen wollen (Glaser, DStRK 2020 S. 226).
Entgegen dieser Bedenken hat der BFH nun mit Urteil vom 29.09.2021 (IX R 11/19, DB 2022 S. 95) entschieden, dass wiederkehrende Versorgungsleistungen grundsätzlich als Entgelt einzuordnen seien. Dies ergebe sich bei einem Vergleich mit sonstigen Gegenleistungen, die im Zusammenhang mit der vorweggenommenen Erbfolge typischerweise gewährt würden und bei denen es sich unstreitig um entgeltliche Gegenleistungen handele. Zu nennen seien insbesondere Gleichstellungsgelder, Abstandszahlungen sowie die Übernahme von Verbindlichkeiten. Für wiederkehrende Versorgungsleistungen könne nichts anderes gelten. Lediglich im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG habe der Gesetzgeber in Abweichung von diesem Grundsatz eine punktuelle Privilegierung bestimmter Vermögensübergänge schaffen wollen. Mit anderen Worten handele es sich also auch bei privilegierten Vermögensübergaben gegen Versorgungsleistungen um entgeltliche Transaktionen, die aufgrund einer peripheren gesetzgeberischen Fiktion lediglich als unentgeltlich gelten. Für nicht privilegierte Vermögensübergaben – insbesondere von Immobilien im Privatvermögen – bleibe es daher bei dem Grundsatz der Entgeltlichkeit. Die geleisteten Zahlungen seien in diesem Fall beim Übernehmer mit ihrem Barwert als Anschaffungskosten zu behandeln. Der in den Zahlungen enthaltene Ertragsanteil könne sofort als Werbungskosten abgezogen werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG).
Die Entscheidung bestätigt die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung (BMF vom 11.03.2010, BStBl. I 2010 S. 227, Rn. 57, 65). Sie bietet interessante Übertragungsmöglichkeiten für im Privatvermögen gehaltene, bereits abgeschriebene Immobilien, die außerhalb der Haltefristen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen werden sollen. Innerhalb der Haltefristen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann der Vermögensübergang durch einen schlichten Nießbrauchsvorbehalt auch weiterhin unentgeltlich ausgestaltet werden. Die Bestellung des Nießbrauchs ist keine Gegenleistung des Übernehmers (BMF vom 30.09.2013, BStBl. I 2013 S. 1184, Rn. 40).
Corollarium 3: „Gewinnausschüttungen“ von Stiftungen
Mit dem Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000 S. 1433) und dem Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl. I 2001 S. 3858) wurde § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG geschaffen. Nach dieser Vorschrift unterliegen der Einkommensteuer Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 KStG, die Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind. Ziel der Regelung war es, eine steuerliche Gleichbehandlung mit den Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften herzustellen. Mit der Reform sollten insbesondere Leistungen von Stiftungen an ihre Destinatäre erfasst werden (vgl. BT-Drucks. 17/2249, S. 52).
Die Frage, wann das Kriterium der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit erfüllt sein soll, ist allerdings bis heute nicht abschließend geklärt. Der BFH war davon ausgegangen, dass das Merkmal „zumindest dann“ gegeben sei, wenn die Destinatäre einer Stiftung unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen könnten. Ausdrücklich offengelassen wurde aber, ob § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG weitere Fälle umfassen könnte (BFH vom 03.11.2010 – I R 98/09 (DB 2011 S. 451; vgl. Haag/Tischendorf, IStR 2020 S. 794, 797 f.). Nach einer kürzlich ergangenen Entscheidung des FG Hessen (Gerichtsbescheid vom 25.05.2021 – 10 K 707/20; vgl. dazu bereits Haag, Steuerboard vom 18.10.2021) sei das Kriterium der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit sogar noch weiter zu verstehen. Das Merkmal sei in allen Fällen gegeben, in denen der Leistung keine Gegenleistung des Destinatärs gegenüberstehe.
Überzeugen kann das nicht, was schon daran deutlich wird, dass auch Leistungen an Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft selbst dann als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) qualifizieren können, wenn für das Erhaltene eine angemessene Gegenleistung zu erbringen war. Zu denken ist insbesondere an die Situation eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, der sich rückwirkend einen Bonus auszahlt. Selbst wenn der Bonus fremdüblich sein sollte und damit als Entgelt für tatsächlich erbrachte Dienste gezahlt wird, handelt es sich um eine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Vielmehr wird man sich vor Augen führen müssen, was Gewinnausschüttungen eigentlich sind, nämlich verteilter Gewinn. Im Rahmen des „Vergleichbarkeitstests“ des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist somit danach zu fragen, ob es sich bei der erhaltenen Leistung um einen Teil des erwirtschafteten Überschusses handelt. Daran fehlt es, wenn die Zuwendungen aus der Vermögenssubstanz der Stiftung gewährt werden (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Es passt vor diesem Hintergrund ins Bild, dass in jüngerer Zeit mehrere Finanzgerichte ein steuerliches Einlagekonto für Stiftungen gefordert haben (FG Münster vom 16.01.2019 – 9 K 1107/17 F; FG Rheinland-Pfalz vom 31.07.2019 – 1 K 1505/15).
Des Weiteren wird man in einem zweiten Schritt zu klären haben, ob die Destinatäre – etwa durch Mitgliedschaft in einem Stiftungsbeirat – Einfluss auf die Ausschüttungspolitik der Stiftung nehmen können. Dieses Erfordernis ergibt sich bei einem Vergleich mit der vGA an nahestehende Personen: Schüttet eine Kapitalgesellschaft verdeckt an eine Person aus, die einem Gesellschafter nahesteht, selbst aber nicht Gesellschafter ist, wird die vGA nicht der nahestehenden Person zugerechnet, sondern dem Gesellschafter (KStH 8.5 III. „Nahestehende Personen“). Die bloße Tatsache, dass es sich bei der Leistung um eine Maßnahme der Gewinnverwendung handelt, reicht also für eine einkommensteuerliche Zurechnung zum Empfänger noch nicht aus. Vielmehr muss der Empfänger hierfür auch in organisatorischer Hinsicht einem Gesellschafter gleichstehen.
Doch selbst wenn diese beiden Kriterien – Verteilung des Überschusses und Möglichkeit der Einflussnahme – kumulativ gegeben sind, fehlt es letztlich doch immer noch an dem entscheidenden Merkmal: der Entgeltlichkeit. Gewinnausschüttungen sind bei wirtschaftlicher Betrachtung Gegenleistung für die Überlassung von Eigenkapital. Eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit – wie von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG ausdrücklich gefordert – wird man also nur annehmen können, wenn die Stiftung an den oder die Stifter leistet.
Es ist fraglich, ob Rechtsprechung und Finanzverwaltung sich dieser Sichtweise werden anschließen können. Dennoch erscheint es in dogmatischer Hinsicht vorzugswürdig, Leistungen von Stiftungen an ihre Destinatäre unter den auf dem Korrespondenzgedanken beruhenden § 22 Nr. 1 Satz 2 Hs. 2 EStG zu fassen. Denn letztendlich geht es darum, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass von der Stiftung erzielte Erträge dort nur der niedrigeren Körperschaftsteuer unterworfen worden sind. Folglich wird kein zusätzliches Besteuerungssubstrat erfasst, sondern lediglich vorhandenes anders verteilt. Der sachgerechte Anknüpfungspunkt hierfür ist § 22 Nr. 1 EStG. Leistungen aus der Vermögenssubstanz der Stiftung können demgegenüber nicht der Einkommensteuer unterfallen.