Erzielen private Anleger aus ihrem Kapitalvermögen Verluste, möchten sie diese steuerlich geltend machen. Aufgrund der in § 20 Abs. 6 EStG für Einkünfte aus Kapitalvermögen vorgesehenen Schedulenbesteuerung gilt allerdings, dass Verluste aus Kapitalvermögen grundsätzlich nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden dürfen, sondern nur mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen. Darüber hinaus enthält § 20 Abs. 6 EStG weitere Beschränkungen für die Verrechnung von Verlusten aus Kapitalvermögen. Dies führt dazu, dass diese Verluste nur mit bestimmten Einkünften und bei Anwendung der sog. zeitlich gestreckten Verlustverrechnung lediglich i.H.v. 20.000 € p.a. verrechnet werden können. Für die betroffenen Anleger eine sehr unbefriedigende Situation. Der Beschluss des BFH vom 17.11.2020 bringt hier etwas Hoffnung (VIII R 11/18, DB 2021 S. 1309).
BVerfG-Vorlage zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Verlustausgleichs
So hat der BFH dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (heutiger Satz 4 der Regelung) Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen. Dabei sieht der BFH selbst die Beschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG als verfassungswidrig an. Darüber hinaus wird aus Sicht der Praxis die Entscheidung des BVerfG auch deshalb mit Spannung erwartet, weil auch die Verfassungswidrigkeit der zeitlich gestreckten Verlustnutzung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG in Frage steht. Im besten Fall lässt die Entscheidung des BVerfG auch Rückschlüsse auf die Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen zu, die beide noch über die Beschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG hinausgehen. Da die Regelungen der zeitlich gestreckten Verlustnutzung deutlich über die Einschränkung für Aktienverluste hinausgehen, bestehen gute Chancen, dass diese Regelungen als nicht verfassungskonform eingestuft werden.
Beschränkung der Verrechnung der Verluste aus Kapitalvermögen für Privatanleger
Für Einkünfte aus Kapitalvermögen gelten seit der Einführung der Abgeltungsteuer einige Besonderheiten. Dem Grundsatz nach soll der Kapitalertragsteuerabzug (25% zzgl. SolZ und ggf. Kirchensteuer) abgeltende Wirkung haben und eine Veranlagung der Einkünfte aus Kapitalvermögen entbehrlich machen (vgl. § 43 EStG). Ausnahmen gelten z.B., wenn der Steuerabzug nicht erfolgte, der Sparerpauschbetrag nicht ausgeschöpft oder Verluste nicht berücksichtigt wurden (vgl. § 32d Abs. 4 EStG), oder im Falle der sog. Günstigerprüfung (vgl. § 32d Abs. 6 EStG). Dabei unterliegen die Einkünfte der sog. Schedulenbesteuerung. So können Verluste aus Kapitalvermögen grundsätzlich nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten (wie z.B. Gewinnen aus Gewerbebetrieb, Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitnehmer)) verrechnet werden. Sie mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. § 10d Abs. 4 EStG findet sinngemäß Anwendung. Für bestimmte Verluste sieht die Regelung des § 20 Abs. 6 EStG weitere Einschränkungen vor. So dürfen Verluste aus der Veräußerung von Aktien i.S.des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG lediglich mit Gewinnen i.S. der Vorschrift aus Aktienverkäufen verrechnet werden. Darüber hinaus unterliegen bestimmte Verluste der sog. zeitlich gestreckten Verlustverrechnung. Verluste aus Termingeschäften i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG (insbesondere Optionsgeschäfte, vgl. BT-Drucks. 19/15876 S. 61) können seit 2021 nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nur mit Gewinnen i.S..s § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG (Termingeschäfte) und mit Erträgen aus sog. Stillhaltergeschäften i.S..d § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG (Stillhalterprämien) beschränkt auf 20.000 € p.a. verrechnet werden. Eine entsprechende Beschränkung sieht § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG seit 2020 auch für Verluste aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung oder Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG auf einen Dritten oder aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG (z.B. Aktien, Anleihen, Forderungen) vor. Mit der Einführung der zeitlich gestreckten Verlustverrechnung reagierte der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des BFH, welcher wiederholt gegen die Auffassung der Finanzverwaltung entschieden hatte und die Möglichkeit einer Verlustberücksichtigung z.B. bei Totalausfall einer Forderung bejahte (vgl. z.B. BFH vom 20.11.2018 – VIII R 37/15, = DB 2019 S. 582); vom 06.08.2019 – VIII R 18/16, BStBl. II 2020 S. 833).
Die Auswirkungen der sog. zeitlich gestreckten Verlustnutzung nach § 20 Abs. 6 Sätze 5 und 6 EStG verdeutlichen folgende Beispiele:
- A hat im Jahr 2021 Gewinne aus Termingeschäften i.H.v. 1 Mio. € erzielt und auch Verluste (mehr als 20.000 €) erlitten. Aufgrund der Verlustbeschränkung nach § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG muss er jedenfalls 980.000 € besteuern und zwar letztlich unabhängig von der konkreten Höhe seiner Einkünfte. Zu einer Besteuerung kommt es also selbst dann, wenn er aus den Termingeschäften insgesamt keinen Gewinn, sondern einen Verlust erzielt hat.
- B hat ein Darlehen i.H.v. 1 Mio. € vergeben, das ausfällt. Aufgrund der Beschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG würde eine Verrechnung dieses Verlustes von 1 Mio. € jedenfalls 50 Jahre dauern, sofern der Steuerpflichtige entsprechende Einkünfte aus Kapitalvermögen in jedem Jahr i.H.v. mindestens 20.000 € erzielt. Sollte ihm das zu Lebzeiten nicht gelingen, geht der Verlust unter, er kann nicht vererbt werden.
Reaktionsmöglichkeit: Einspruch gegen fehlende Berücksichtigung der Verluste einlegen!
Die Verlustbeschränkungen für Einkünfte aus Kapitalvermögen im Privatvermögen der § 20 Abs. 6 Sätze 4, 5, und 6 EStG stehen zu Recht in der Kritik. Dies gilt insbesondere für die Regelung zur zeitlich gestreckten Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Sätze 5 und 6 EStG, da hier das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit keine ausreichende Berücksichtigung findet, weswegen die Literatur die Regelung als verfassungswidrig einschätzt. Gleichwohl finden diese Regelungen Anwendung und werden bei der Besteuerung der Anleger berücksichtigt. Erfreulich ist insoweit, dass jedenfalls der BFH die Beschränkung, nach welcher Verluste aus Aktien lediglich mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen verrechnet werden dürfen, für verfassungswidrig hält und diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat (vgl. Verfahren mit Az. VIII R 11/18). Sollte das Verfassungsgericht die Auffassung des BFH bestätigen, sollten Verluste aus Aktien auch mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen (wie z.B. Dividenden und Zinsen) verrechnet werden können. Für private Anleger wären dies erfreuliche Nachrichten, wenn gleich es dabei bleiben wird, dass aufgrund der angesprochenen Schedulenbesteuerung die Verluste aus Aktien privater Anleger nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten (z. B. aus Gewerbebetrieb oder Arbeitnehmertätigkeit) verrechnet werden können. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen (konkret die Einkünfte, welche in den Verlustausgleich einbezogen werden sollen) in die Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen werden müssen (sog. Veranlagungsoption nach § 32d Abs. 4 EStG). Aufgrund der grundsätzlichen Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuerabzugs kann sich nur bei Veranlagung der Einkünfte der für den Steuerbescheid bestehende Vorläufigkeitsvermerk auch auf diese Einkünfte beziehen, ansonsten würde dieser Vermerk ins Leere laufen.
Darüber hinaus ist zu befürchten, dass die begehrte Verlustverrechnung im Rahmen der Veranlagung eine Bescheinigung der Bank über die Verluste voraussetzt (vgl. § 20 Abs. 6 Satz 7 EStG). Diese muss jedoch stets bis zum 15. Dezember des laufenden Jahres bei der auszahlenden Stelle (z.B. Bank) beantragt werden. Soweit dies noch nicht erfolgt ist, sollte dies im laufenden Jahr nachgeholt werden. Sofern entsprechende Einkünfte dann vorhanden sind, wäre die Verlustverrechnung dann auch möglich, sofern das BVerfG eine entsprechende Entscheidung trifft. Zu beachten ist, dass mit der Ausstellung der Bescheinigung die Verluste nicht mehr automatisch von der Bank im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens berücksichtigt werden können, sondern die Berücksichtigung der Verluste im Rahmen der Veranlagung erfolgen muss.
Hinsichtlich der Verluste, welche der zeitlich gestreckten Verlustverrechnung unterfallen (wie z.B. Termingeschäfte, Ausfall von Darlehen, Ausbuchung von Aktien), sollte ebenfalls Einspruch eingelegt werden. Der Einspruch sollte unter Hinweis auf das beim BVerfG anhängige Verfahren VIII R 11/18 begründet werden. Denn sollte die Verlustverrechnungsbeschränkung über die Verluste aus Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG) verfassungswidrig sein, dürfte entsprechendes für die zeitlich gestreckte Verlustverrechnung gelten; jedenfalls bleibt dies zu hoffen. Im Ergebnis müssen Anleger die weiteren Entwicklungen abwarten, sofern der Gesetzgeber die Regelungen der § 20 Abs. 6 Sätze 4, 5 und 6 EStG nicht anpasst.