Mit Urteil vom 26.07.2022 (II R 25/20, DB 2022 S. 2586) hat sich der BFH mit offenen Fragestellungen im Hinblick auf die Options- und Regelverschonung für Betriebsvermögen auseinandergesetzt. Dabei ging es zum einen um die Anwendung der Verschonungsregelungen bei der zeitgleichen Übertragung mehrerer betrieblicher Einheiten und zum anderen um die Frage des Rückfalls auf die Regelverschonung bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Vollverschonung (dazu bereits Krämer, HB Steuerboard vom 23.06.2021).
Einordnung
Das Erbschaftsteuergesetz sieht zum Schutz von Unternehmen und den damit verbundenen Arbeitsplätzen grundsätzlich zwei Verschonungsalternativen für Betriebsvermögen vor, die bereits aus dem alten – bis zum 30.06.2016 geltenden – Recht bekannt sind. Einerseits die sog. Regelverschonung, durch die unter gewissen Voraussetzungen ein Verschonungsabschlag auf das übertragene Betriebsvermögen in Höhe von 85% gewährt wird. Andererseits die auf Antrag zu gewährende sog. Options- oder Vollverschonung, die eine vollständige Befreiung von der Erbschaftsteuer möglich macht. Denknotwendigerweise enthält die Optionsverschonung gegenüber der Regelverschonung die strengeren Tatbestandsvoraussetzungen. Dazu gehört u.a. eine niedrigere Verwaltungsvermögensquote. So kommt die Optionsverschonung von vornherein nicht in Betracht, wenn das Betriebsvermögen zu mehr als 20% aus Verwaltungsvermögen besteht.
Übertragung mehrerer betrieblicher Einheiten
Ob im Rahmen der zeitgleichen Übertragung mehrerer betrieblicher Einheiten die Verwaltungsvermögensquote für jede Einheit isoliert zu ermitteln ist oder ob eine einheitliche Quote für alle Einheiten zu ermitteln ist, war bislang unklar. Hieran anknüpfend war ebenfalls umstritten, ob der Antrag auf Optionsverschonung für jede Einheit separat oder nur für alle Einheiten einheitlich gestellt werden kann. Die Finanzverwaltung vertritt insoweit die Auffassung, dass die Verwaltungsvermögensquote zwar separat für jede wirtschaftliche Einheit zu ermitteln ist, der Antrag auf die Optionsverschonung vom steuerpflichtigen Erwerber aber insgesamt nur einheitlich für alle betrieblichen Einheiten gestellt werden kann (vgl. R E 13a.21 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019).
Rückfall auf die Regelverschonung und sog. Optionsfalle
Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, ob im Fall einer durch den Steuerpflichtigen beantragen Optionsverschonung (100% Befreiung) ein Rückfall auf die Regelverschonung (85% Befreiung) möglich ist, wenn sich später herausstellt, dass die Voraussetzungen der Optionsverschonung nicht erfüllt sind. Hierzu vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass bei (einheitlicher) Antragstellung auf Optionsverschonung für diejenigen Einheiten, deren Verwaltungsvermögensquote die 20%-Grenze überschreitet, weder die Options- noch die Regelverschonung möglich ist (vgl. R E 13a.21 Abs. 4 Satz 2 ErbStR 2019). Der „Rückfall“ auf die Regelverschonung soll aber möglich sein, wenn das Verwaltungsvermögen aller betrieblichen Einheiten mehr als 20% beträgt, da der Antrag auf Vollverschonung dann ins Leere gehe (vgl. R E 13a.21 Abs. 4 Satz 3 ErbStG). Dabei steht der Steuerpflichtige vor dem Problem, dass sich die exakte Höhe der Verwaltungsvermögensquote aufgrund von Bewertungsschwierigkeiten häufig nicht mit hinreichender Sicherheit vorhersagen lässt. Die Auffassung der Finanzverwaltung kann daher zur Falle für den Steuerpflichtigen werden, die oft als Optionsfalle beschrieben wird. Denn gerade weil die Finanzverwaltung nur eine einheitliche Antragstellung für alle Einheiten zulässt, muss sich der Steuerpflichtige entscheiden. Entweder er stellt den einheitlichen Antrag, obwohl er damit für einzelne Einheiten ggf. jegliche Steuerbefreiung verliert (also auch die Regelverschonung). Oder er verzichtet zugunsten der Regelverschonung für alle Einheiten insgesamt auf die Vollverschonung (also insbesondere auch für solche Einheiten, bei denen die Voraussetzungen der Vollverschonung unzweifelhaft vorliegen würden).
Urteil des BFH
Der BFH hat zu den genannten Aspekten nun wie folgt Stellung bezogen:
- Bei gleichzeitiger Übertragung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten ist die Verwaltungsvermögensquote für jede Einheit isoliert zu ermitteln. Das ist systemgerecht und entsprach auch bislang der ganz überwiegenden Auffassung. Eine zusammenfassende Betrachtung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten sieht das Gesetz nicht vor.
- Bei einer einheitlichen Schenkung von mehreren wirtschaftlichen Einheiten kann der Antrag auf Optionsverschonung für jede wirtschaftliche Einheit gesondert gestellt werden. Der BFH stellt sich damit ausdrücklich gegen die Auffassung der Finanzverwaltung. Das ist mit Blick auf die isolierte Ermittlung der Verwaltungsvermögensquoten konsequent. Insbesondere bietet das Gesetz keinerlei Anhaltspunkte für die Auffassung der Finanzverwaltung, ein entsprechender Antrag könne nur einheitlich für alle Einheiten gestellt werden. Ein einheitliches Ausübungserfordernis wäre vielmehr systemwidrig, weil auch die weiteren Voraussetzungen für die Vollverschonung für jede wirtschaftliche Einheit gesondert zu ermitteln sind.
- Bei Antragstellung auf Optionsverschonung trotz fehlender Voraussetzungen (z.B. Verwaltungsvermögensquote höher als 20%) kommt ein Rückfall auf die Regelverschonung nicht in Betracht, selbst wenn deren Voraussetzungen erfüllt wären. Das ergibt sich nicht zwingend aus dem Gesetz. Denn obwohl Wortlaut und Systematik der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Gesetzesfassung für diese Rechtsauffassung sprechen, wäre unter Berufung auf den Sinn und Zweck der Regelungen auch ein anderes Auslegungsergebnis möglich gewesen.
Ausblick
Das Urteil erging zur alten Rechtslage. Es spricht aber viel dafür, dass jedenfalls die Ausführungen zur isolierten Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote sowie zur separaten Antragstellung auf Optionsverschonung bei zeitgleicher Übertragung mehrerer Einheiten auf die heutige Gesetzeslage übertragen werden können. Denn insoweit ist es im Rahmen der Erbschaftsteuerreform zu keinen Änderungen gekommen. Die Finanzverwaltung wird ihre Auffassung daher entsprechend anpassen müssen.
Fraglich ist, ob die Ausführungen des BFH zum (versagten) Rückfall auf die Regelverschonung auf die heute geltende Rechtslage übertragen werden können. War die vom BFH vertretene Rechtsauffassung bereits zur alten Rechtslage nicht zwingend, ergeben sich vor dem Hintergrund der derzeit geltenden Gesetzeslage noch größere Zweifel. Einem Argument des BFH wurde jedenfalls der Boden entzogen. Denn heute ist die Einhaltung der Verwaltungsvermögensquote als separate zusätzliche Voraussetzung für die Optionsverschonung formuliert, während die vorherige Gesetzestechnik eine Ersetzung der Vorschriften zur Regelverschonung vorsah. Dies spricht gegen eine Übertragbarkeit des Urteils. Die weiteren vom BFH vorgebrachten Argumente (insbesondere Unwiderruflichkeit des Antrags) behalten jedoch ihre Gültigkeit. Die Rechtsfrage ist nicht entschieden und daher weiter offen. Aus Vorsichtsgründen und vor dem Hintergrund von Äußerungen einzelner Mitglieder des II. BFH-Senats (vgl. z.B. die Anmerkungen von Frau Kugelmüller-Pugh zum gegenständlichen Urteil des BFH, DStR 2022 S. 2154) sollte allerdings davon ausgegangen werden, dass der BFH auch nach neuem Recht keinen Rückfall auf die Regelverschonung zulässt.
Im Ergebnis hat der BFH die Optionsfalle damit zwar nicht beseitigt, aber die Fallhöhe bei der Übertragung mehrerer Einheiten reduziert. Durch die Möglichkeit separater Antragstellungen kann nun für jede wirtschaftliche Einheit insoliert entschieden werden, ob die Voll- oder die Regelverschonung in Anspruch genommen werden soll. Mit Blick auf bestehende Bewertungsunsicherheiten, die Unwiderruflichkeit des Antrags und die voraussichtlich fehlende Rückfallmöglichkeit will der Antrag auf Vollverschonung dennoch weiterhin gut überlegt sein.