Geschäftsleitungsbetriebsstätte: Was man weiß – was man wissen sollte

Dr. Thomas Töben / Dr. Caroline Schrepp, beide YPOG, Berlin/Hamburg

Selbst grundsätzliche Fragen zum steuerlich relevanten Ort der Geschäftsleitung eines Unternehmens scheinen ungeklärt. Das muss verwundern. Denn die potenziellen Folgen bei Nichtbeachtung der mit einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte verbundenen Pflichten können weit über die persönliche Haftung hinausgehen. Ein Risiko, das deshalb beängstigend ist, weil das materielle Steuerrecht und das Steuerstrafrecht oft nicht Hand in Hand gehen. So werden, offenbar ohne hinreichende Kenntnis der materiellen Rechtslage und der einschlägigen Rechtsprechung, strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen und hohe Freiheitsstrafen in den Raum gestellt.

  1. Worauf es ankommt

Für die Bestimmung des Ortes der Geschäftsleitung ist weniger ein zumeist ohnehin kaum lokalisierbarer Ort der Willensbildung und grundsätzlich auch nicht die „Wichtigkeit“ von Entscheidungen maßgeblich. Vielmehr kommt es darauf an, was das maßgebliche Tagesgeschäft des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und seiner Verwaltung ist und in welcher festen Geschäftseinrichtung eben dieses Tagesgeschäft regelmäßig ausgeübt wird. Die Gesellschaft, um deren Ort der Leitung es geht, muss eine rechtlich abgesicherte, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über diese feste Geschäftseinrichtung (im Regelfall ein Büro) haben. Nur wenn es kein solches Büro gibt, kann ausnahmsweise („notfalls“) der Ort der Geschäftsleitung auch in den Privaträumen eines Geschäftsführers zu verorten sein (vgl. dazu Töben/Schrepp, DStR 2023, im Erscheinen).

  1. Gesetzliche Regelungen zu einem unklaren Begriff

Der Ausgangspunkt der Unklarheiten ist bereits begrifflicher Natur. Denn der vielfach verwendete Begriff „Geschäftsleitungsbetriebsstätte“ wird im Gesetz nicht definiert. Soweit ersichtlich findet er sich nur in § 2 AStG.

In § 10 AO wird allein der Begriff „Geschäftsleitung“ als „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ definiert – eine Formulierung, die bereits als solche viel Raum für Interpretationen lässt. § 12 AO befasst sich wiederum nur mit dem Begriff „Betriebsstätte“. Betriebsstätte ist danach „jede feste Geschäftseinrichtung, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient“ (Satz 1). Nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO ist insbesondere die „Stätte der Geschäftsleitung“ als Betriebsstätte anzusehen.

Erst aus der Zusammenfügung der in beiden Vorschriften verwendeten Begriffe „Geschäftsleitung“ und „Betriebsstätte“ bzw. „Stätte“ ergibt sich der zentrale Begriff der „Geschäftsleitungsbetriebsstätte“. Dieser muss die Voraussetzungen sowohl von § 10 AO als auch von § 12 AO erfüllen. Nur mit Blick auf beide Vorschriften ist es möglich festzustellen, worauf es bei der Identifizierung und Lokalisierung einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte ankommt. Oft wird jedoch ausschließlich auf § 10 AO geschaut. Die Voraussetzungen des § 12 AO für die Annahme einer Betriebsstätte werden unzutreffender Weise ausgeblendet.

  1. Feste Geschäftseinrichtung

Das Vorhandensein einer Betriebsstätte nach § 12 Satz 1 AO setzt voraus, dass ein Unternehmen über eine feste Geschäftseinrichtung eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat, durch die bzw. in dieser Geschäftseinrichtung eine unternehmerische Tätigkeit stattfindet und sich dadurch eine hinreichend feste „Verwurzelung“ des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der Unternehmenstätigkeit ausdrückt. Durch die bzw. in der Geschäftseinrichtung müssen bestimmte, indes nicht alle unternehmerischen Tätigkeiten ausgeübt werden. Nicht erforderlich ist, dass in der Geschäftseinrichtung auch Geschäftsleitungshandlungen vorgenommen werden und die dort tätigen Personen mit eigener Entscheidungskompetenz handeln. Auch ist nicht notwendig, dass die Tätigkeiten des Unternehmens ausschließlich in dieser Geschäftseinrichtung ausgeführt werden. Ausreichend ist, wenn nur ein Teil der unternehmerischen Tätigkeit dort vorgenommen wird, wobei es sich auch um verhältnismäßig nebensächliche oder untergeordnete Tätigkeiten handeln kann. Unerheblich ist auch, wenn geschäftsleitende Maßnahmen außerhalb einer solchen festen Geschäftseinrichtung an anderen Orten stattfinden, z.B. anlässlich von Geschäftsreisen innerhalb desselben Staates oder im Ausland.

  1. Geschäftsleitung und Geschäftsführung

Ebenso wie § 10 AO spricht auch § 12 Satz 2 Nr. 1 AO von „Geschäftsleitung“, nicht hingegen von „Geschäftsführung“. Die Ausführungen im Urteil des FG Hamburg vom 07.07.1995 (VII 35/92; Rn. 28) machen deutlich, dass zwischen beiden Begriffen zu differenzieren ist. Das wird nicht immer beachtet. So heißt es oft und richtig „der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille“ (BFH vom 03.07.1997 – IV R 58/95), gelegentlich hingegen unzutreffend „der für die Geschäftsleitung maßgebliche Wille“ (zuletzt BFH vom 22.03.2022 – III R 35/20). Die Definitionen in § 10 AO und § 12 AO zielen allein darauf ab, die „Geschäftsleitung“ an einem bestimmten Ort, namentlich einer Stätte, zu lokalisieren. Beide Vorschriften sprechen nicht von Geschäftsführung. Sie sagen aber auch nichts dazu, was unter Geschäftsleitung im Sinne dieser Vorschriften zu verstehen ist, die für Besteuerungszwecke einem bestimmten Ort zugeordnet werden muss.

  1. Tagesgeschäfte des gewöhnlichen Betriebs und der gewöhnlichen Verwaltung

In der Rechtsprechung hat sich jedoch eine einheitliche Begriffsdefinition herausgebildet. So definiert die Rechtsprechung diesen Ort als den Ort, an dem der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Insoweit „kommt es darauf an“ (BFH vom 07.12.1994 – I K 1/93; vom 03.07.1997 – IV R 58/95), wo die „für“ die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von „einiger Wichtigkeit“ angeordnet werden, wobei die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls zu beachten sind. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S.d. § 10 AO danach regelmäßig der Ort,

  • an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten,
  • d.h. an dem sie die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt,
  • und solche organisatorischen Maßnahmen durchführen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören.

Seit Jahrzehnten wird dieser Konkretisierung der Begriffe Geschäftsleitung und Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung in einem Klammerzusatz hinzugefügt: „sog. Tagesgeschäfte.

  1. Vertretungsberechtigung

Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet sich regelmäßig an dem Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten. Bei einer GmbH & Co KG ist das der Ort, an welchem die für die Komplementärin handelnden Personen die Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt (§§ 116, 164 HGB; ehemals auch § 493 HBG a.F.) tatsächlich wahrnehmen. Dabei handelt es sich um diejenigen Geschäfte, die in die alleinige Zuständigkeit der Komplementärin fallen und keines Gesellschafterbeschlusses bedürfen (BFH vom 12.02.2004 – IV R 29/02).

  1. Gewichtung

Werden die laufenden Geschäfte von verschiedenen Personen in mehreren festen Geschäftseinrichtungen eines Unternehmens ausgeführt und kommen damit mehrere Orte der Geschäftsleitung in Betracht, ist zu gewichten. Denn naturgemäß, so noch der IV. BFH-Senat im Jahr 1997 (IV R 58/95), könne sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung grundsätzlich nur an einem Ort befinden.

  1. Willensbildung und nicht gewöhnliche Entscheidungen

Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht ist nicht allein auf den Begriff der Willensbildung abzustellen. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, wer an welchem Ort was und gerade Wichtiges nur gelegentlich und in Einzelfällen unterschreibt bzw. entscheidet. Selbst wenn alle relevanten Entscheidungen von dem Geschäftsführer eines Unternehmens im Staat A auf Geschäftsreisen im Staat B getroffen und nur dort Verträge unterschrieben werden, ist die Geschäftsleitungsbetriebsstätte im Staat A, wenn das Unternehmen nur dort über eine feste Geschäftseinrichtung verfügt (BFH vom 10.05.1961 – IV 155/60 U). Anders als viele meinen, ist auch nicht zwischen „Willensbildung“ oder gar „Willensentscheidung“ einerseits und dem „Tagesgeschäft“ andererseits zu differenzieren. Eine wie auch immer geartete Willensbildung ist rechtssicher kaum zu lokalisieren, weshalb die Rechtsprechung den Begriff „Willensbildung“ im Sinne von „Tagesgeschäft“ weiter konkretisiert. Entscheidungen, gerade über Wichtiges, mithin nicht Alltägliches bzw. Gewöhnliches, sind ohnehin nicht der Schlüssel zur Feststellung einer Betriebsstätte, auch nicht einer Geschäftsleitungsbetriebstätte. Solche Entscheidungen gehören regelmäßig nicht zum „gewöhnlichen Geschäftsbetrieb“ und schon gar nicht zur „gewöhnlichen Verwaltung“. Mitunter mögen solche Entscheidungen sogar zu den Grundlagengeschäften gehören, die den Gesellschaftern vorbehalten sind. Soweit sich Gesellschafter auch weniger bedeutende Entscheidungen vertraglich vorbehalten, bleiben auch diese bei der Lokalisierung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte außer Betracht (BFH vom 29.11.2017 – I R 58/15; zuvor unter 5.).

Dies gilt auch im Zusammenhang mit Wertpapieren sowie Beteiligungen und damit einhergehenden Investitionsentscheidungen. Bereits im Jahr 1994 stellte der BFH (I K 1/93, Rn. 30) klar, dass die Entscheidung durch den Vorstand einer beherrschenden Gesellschafterin über den An- und Verkauf von Aktienpaketen durch die beherrschte Tochtergesellschaft, deren Geschäft gerade in dem Erwerb, der Verwaltung und der Veräußerung solcher Beteiligungen im In- und Ausland für eigene Rechnung bestand, ohne Bedeutung für die Bestimmung des Ortes der Leitung der Tochtergesellschaft ist. Denn insoweit handelt es sich nicht um Tagesgeschäfte bzw. die Geschäftsführung „im engeren Sinne“ (vgl. auch BFH vom 03.07.1997 – IV R 58/95, Rn. 52; zuletzt BFH vom 23.03.2022 – III R 35/20, Rn. 35).

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