Ein Nießbrauch kann den Wert einer fondsgebundenen Rentenversicherung für Zwecke der Schenkungsteuer mindern. Dies gilt nach Auffassung des FG Münster auch, wenn der Nießbrauch auf den Fall beschränkt ist, dass die Versicherung vorzeitig aufgelöst wird (Urteil vom 23.06.2022 – 3 K 606/21 Erb). Der Wert der geschenkten Versicherung ist deshalb um den Wert des Nießbrauchs zu mindern.
Sachverhalt
Die Mutter des Klägers schloss bei der C-Versicherung eine fondsgebundene Rentenversicherung ab, bei der die Mutter als Versicherungsnehmerin und der Kläger als versicherte Person angegeben war. Der Versicherungsvertrag sollte eine Laufzeit von 49 Jahren haben, und sah eine einmalige Beitragszahlung zu Beginn der Vertragslaufzeit i.H.v. 2,5 Millionen € vor, die von der Mutter des Klägers erbracht wurde. Mit privatschriftlicher Vereinbarung übertrug die Mutter des Klägers diesem den Kapitallebensversicherungsvertrag unentgeltlich im Wege der Vertragsübernahme. Die Mutter des Klägers wird im Vertrag als „Alt-Versicherungsnehmer“ oder „Nießbraucher“ und der Kläger als „Neu-Versicherungsnehmer“ bezeichnet. Die Übertragung sollte am Tag der Genehmigung der Vertragsübernahme durch die C-Versicherung wirksam werden, die die C-Versicherung noch am gleichen Tag mündlich erklärte. Ausweislich des Nachtrags zum Versicherungsschein wurde der Kläger als Versicherungsnehmer eingetragen.
Nach der Präambel der privatschriftlichen Vereinbarung beabsichtigte die Mutter des Klägers, diesem „den Kapitallebensversicherungsvertrag unter Vorbehalt des Nießbrauchs an der Rückkaufsleistung“ zu übertragen. § 4 des Vertrags ist mit „Schenkungsabrede, Nießbrauchsvorbehalt“ überschrieben und regelt in Absatz 2, dass sich die Mutter des Klägers „den Nießbrauch an der Rückkaufsleistung nach Maßgabe des § 5“ vorbehält. Nach § 5 Abs. 1 des Vertrags können sowohl der Kläger als auch seine Mutter den Versicherungsvertrag ganz oder teilweise kündigen, ohne dass es der Zustimmung des jeweils anderen bedürfte. § 5 Abs. 2 enthält für den Fall der als „Rückkauf“ bezeichneten Kündigung des Versicherungsvertrags folgende Regelung: „Im Falle des Rückkaufs, gleich durch wen er veranlasst ist, steht die Nutzung des vom Versicherer ausgezahlten Rückkaufswerts dem Nießbraucher zu. Der Nießbraucher zieht den Rückkaufswert ein und das eingezogene Geld geht in sein Eigentum über. Ihm stehen die Erträge aus der Anlage dieses Geldes zu. Der Nießbraucher ersetzt dem Neu-Versicherungsnehmer jedoch zum Ablaufdatum der Kapitallebensversicherung oder, falls der Nießbraucher vorher verstirbt, an seinem Todestag, den Nominalwert des Stichtags-Rückkaufswerts.“ Der „Stichtags-Rückkaufswert“ ist als der Rückkaufswert des Kapitallebensversicherungsvertrags definiert, den dieser am Tag der Genehmigung der Vertragsübernahme durch die C-Versicherung hatte. Nach § 5 Abs. 6 endet der Nießbrauch, wenn das versicherte Ereignis eintritt oder das vereinbarte Ablaufdatum des Kapitallebensversicherungsvertrags erreicht ist. Die C-Versicherung teilte den Gesamtwert in Vertragswährung mit 2.460.093,12 € mit. In der vom Beklagten angeforderten Schenkungsteuererklärung gab der Kläger den Wert des Erwerbs mit 630.820 € an.
Auffassung der Finanzverwaltung
Im Rahmen des Veranlagungsverfahrens erläuterte das beklagte Finanzamt, dass der Nießbrauch zugunsten der Mutter des Klägers nicht erwerbsmindernd berücksichtigt werden könne. Aus den Regelungen in §§ 4 und 5 der Vereinbarung ergebe sich, dass der Nießbrauch nur aufschiebend bedingt auf einen tatsächlichen Rückkauf des Versicherungsvertrags vereinbart worden sei. Der Mutter des Klägers stünden nur für den Fall des Rückkaufs die Nutzungen des dann von dem Versicherer auszuzahlenden Rückkaufswerts zu. Aufschiebend bedingte Lasten seien nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 BewG erst mit Eintritt der Bedingung, hier also erst mit dem Rückkauf des Versicherungsvertrags, zu berücksichtigen.
Das beklagte Finanzamt setzte daraufhin Schenkungsteuer i.H.v. 391.400 € fest. Es berücksichtigte den Wert des Erwerbs mit 2.460.093 € und zog den persönlichen Freibetrag i.H.v. 400.000 € ab. Ein Nießbrauch zugunsten der Mutter des Klägers wurde nicht erwerbsmindernd angesetzt.
Entscheidung des FG
Einleitend bestätigt das FG, dass das beklagte Finanzamt die unentgeltliche Übertragung der Versicherungsnehmerstellung im Zeitpunkt der Zustimmung des Versicherers zutreffend der Schenkungsteuer unterworfen hat. Der Schenkungsteuer unterliegt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert ist. Aufgrund der zwischen Mutter und Kläger getroffenen Vereinbarung und der am gleichen Tag erteilten Zustimmung des Versicherers ist der Kapitallebensversicherungsvertrag auf den Kläger im Wege der Vertragsübernahme übergegangen. In diesem Zeitpunkt hat der Kläger die Versicherungsnehmerstellung seiner Mutter unentgeltlich übernommen. Zuwendungsgegenstand ist vorliegend die Versicherung selbst. Hinsichtlich ihrer Stellung als ursprüngliche Versicherungsnehmerin ist die Mutter des Klägers dadurch entreichert, dass sie diese Stellung und damit sämtliche Ansprüche aus der Versicherung unwiderruflich mit Zustimmung des Versicherers auf den Kläger übertragen hat. Spiegelbildlich stellt die Übernahme der Versicherungsnehmerstellung mit sämtlichen gegen die Versicherung gerichteten Ansprüchen die Bereicherung des Klägers dar.
Soweit das beklagte Finanzamt argumentierte, dass der Nießbrauch nur aufschiebend bedingt auf einen tatsächlichen Rückkauf des Versicherungsvertrags vereinbart worden sei, hat sich das FG dieser Argumentation nicht angeschlossen. Es handelt sich vielmehr um einen unbedingten Nießbrauch. Für diese Auslegung spricht insbesondere § 5 Abs. 6 des Vertrags, wonach der Nießbrauch der Mutter endet, sobald das versicherte Ereignis eintritt oder das vereinbarte Ablaufdatum des Kapitallebensversicherungsvertrags erreicht ist. Diese Ereignisse sind für den vorliegenden Kapitallebensversicherungsvertrag nur relevant, wenn der Vertrag nicht vorab gekündigt wurde. Die Regelung, dass der Nießbrauch der Mutter des Klägers mit dem Eintritt eines dieser – sich gegenseitig ausschließenden – Ereignisse enden soll, erfährt nur dann einen Sinn, wenn der Nießbrauch unabhängig von der Kündigung der Versicherung – die denknotwendig die anderen beiden Ereignisse ausschließt – vorab wirksam entstanden ist. Auch im Übrigen lässt sich dem Vertragstext die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung nicht entnehmen. Der Nießbrauch ist dabei mit einem Wert von 1.829.463 € abzuziehen.
Das FG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Fazit
Da der Wert eines Nießbrauchsvorbehalts steuermindernd von der schenkungsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden kann, stellt die Vereinbarung eines Nießbrauchs für die Praxis ein beliebtes Gestaltungsmittel gerade im Zusammenhang mit der Übertragung von Privatvermögen dar. Das Urteil des FG Münster ordnet sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, die die Abgrenzung von Lasten, die steuermindernd zu berücksichtigen sind von aufschiebend bedingten Lasten gem. § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 BewG, die die schenkungsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage nicht mindern, zum Gegenstand haben (exemplarisch BFH vom 06.05.2020 – II R 11/19, BStBl. II 2020 S. 746 = DB 2020 S. 1941). Die Entscheidung verdeutlicht der Beraterschaft wie wichtig es ist, Vereinbarungen über die Einräumung eines Nießbrauchsvorbehalts präzise zu formulieren, da dies im Zweifelsfall erhebliche Auswirkungen auf die Schenkungsteuerbelastung haben kann. Eine „auf der Kippe“ stehende gerichtliche Entscheidung sollte nach Möglichkeit vermieden werden.