Steuerbilanzielle Rückstellungsverbote gibt es mittlerweile trotz materieller Maßgeblichkeit zuhauf. Das Verbot der Drohverlustrückstellung (§ 5 Abs. 4a EStG) ist ein prominentes Beispiel. Sie sind steuersystematisch fragwürdig, da objektivierbare wirtschaftliche Lastentragung nach dem Nettoprinzip gewinnmindernd zu berücksichtigen ist, und stellen ein „besteuerungspraktisches Ärgernis“ dar. Unternehmen und ihre Berater suchen mitunter – jedenfalls in Gewinnzeiten – Wege zur „Vermeidung“ der Rückstellungsverbote, ansonsten sind Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Zwei neuere Gerichtsentscheidungen, die sich mit der „Anschaffung von Rückstellungen“ befassen, könnten Lösungsperspektiven aufzeigen, die allerdings stets auf den Einzelfall zugeschnitten werden müssen.
Da ist zum einen die BFH-Entscheidung vom 16. 12. 2009 (Az. I R 102/08, DB 2010 S. 309), die sich aus Erwerbersicht anlässlich einer als asset deal ausgestalteten Geschäftsbereichsübernahme mit der Anschaffung einer beim Veräußerer nicht abziehbaren Drohverlustrückstellung (Verpflichtungsüberhang aus Mietverträgen) befasst. Es wurde eine interne Schuldfreistellung vereinbart, die sich letztlich im Kaufpreis niedergeschlagen hat. Die verlustbedrohte Verpflichtungsposition beim Veräußerer aus den Mietverträgen blieb erhalten. Bei einer solchen rechtlichen Verpflichtungsstruktur als Ausgangspunkt gelangt der BFH zu dem Ergebnis, dass das Passivierungsverbot für Drohverlustrückstellungen beim Erwerber weder zum Erwerbszeitpunkt noch zu den folgenden Bilanzstichtagen gilt. Anschaffungsvorgänge sind wegen ihres vermögensumschichtenden Charakters – auch wenn sie auf der Passivseite erfolgen – erfolgsneutral zu behandeln. Ein „Erwerbsgewinn“ entsteht nicht. Aus einem schwebenden Geschäft auf Veräußererseite wird durch die interne Schuldfreistellung (= Erfüllungsübernahme gemäß § 329 BGB) ein Anschaffungsgeschäft auf Erwerberseite. Die vertraglich übernommene Schuld ist als Verbindlichkeitsrückstellung für den Zugangs- und etwaige Folgezeitpunkte gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG stichtagsbezogen zu bewerten.
Das Gestaltungspotenzial dieses Grundsatzurteils ist evident, auch wenn die Folgen der internen Schuldfreistellung auf Veräußererseite nicht ganz klar sind. M.E. wird der bestehende Verpflichtungsüberhang aus den Mietverträgen durch den Freistellungsanspruch steuerneutral kompensiert. Stellt man sich einen solchen fremdüblich ausgestalteten asset deal in einem Unternehmensverbund vor, so mutiert die (nicht abziehbare) Drohverlustrückstellung zu einer (abziehbaren) Verbindlichkeitsposition. Nicht schlecht – meint der Steuergestalter! Allerdings wird nur das erreicht, was ohnehin steuerbilanziell geboten wäre!
Aufgenommen und „weitergespinnt“ wird der Erwerbsaspekt vom FG Düsseldorf in seinem Urteil vom 29.06.2010 (DB 0363293), wo es um die außenwirksame Schuldübernahme von Jubiläumsrückstellungen und Rückstellungen für Verpflichtungen gegenüber dem Pensionssicherungsverein (PSV) geht. Verglichen mit der „echten Schuld“ waren die Rückstellungen beim Veräußerer unterdotiert oder abzugsgesperrt; durch die Anschaffung im asset deal wurde die stille Last beim Erwerbsvorgang realisiert. Das Prinzip der „Neutralität von Anschaffungsvorgängen“ gilt nach Meinung des FG Düsseldorf auch bei derartigen befreienden Schuldübernahmen und berechtigt beim Erwerber zur Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung; die Schuldpositionen beim Veräußerer entfallen. Aber Vorsicht: Die Finanzverwaltung hat gegen das FG-Judikat Revision beim BFH unter dem Az. I R 72/10 eingelegt. Der I. Senat hatte in seinem Drohverlustrückstellungsurteil vom 16. 12. 2009 die Wirkungen des Eintritts in die schuldbehaftete Vertragsposition durch den Erwerber ausdrücklich offen gelassen. Der Ausgang des Revisionsverfahrens ist damit ungewiss.
Man merke: Durch einen Erwerbsakt angeschaffte Rückstellungen in einem Unternehmensverbund haben ihre gestalterischen Reize. Die interne Schuldfreistellung ist aus Erwerbersicht geeignet, eine abziehbare Verbindlichkeitsrückstellung zu begründen. In der Praxis begegnet einem mitunter auch das Modell einer Rentner-GmbH, bei dem ausfinanzierte Pensionslasten meist für nicht mehr aktive Beschäftigte steuerwirksam in eine Beteiligungsgesellschaft ausgegliedert werden. Die latente § 6a EStG-Last lässt sich möglicherweise heben. Ein sachgerechter Zuschnitt des Einzelfalls ist entscheidend!
So wie sich der Sachverhalt darstellt, wiederspricht das ganze doch dem Vorsichtsprinzip das prinzipiell handels- wie steuerrechtlich zu befolgen ist. Hier wurde anscheinend durch ein Urteil eine Rechtsnorm ausgehebelt.