Als vor rund vier Jahren erstmals über die Einführung einer Besteuerung von sogenannten Funktionsverlagerungen diskutiert wurde, hätte sich keiner der Beteiligten ausmalen können, welchen Verlauf das Projekt Funktionsverlagerungen nehmen würde. Nachdem nunmehr der vorerst letzte Verfahrensschritt mit dem veröffentlichten BMF-Schreiben vorgenommen wurde, ist es angebracht ein Zwischenfazit zu ziehen.
Ausschlaggebend für die Neuregelung der Funktionsverlagerung war eine entstandene Spannung zwischen Finanzverwaltung und Unternehmen auf Grund eines ausgeprägten Misstrauens bei grenzüberschreitenden Aktivitäten; auf der einen Seite der Verdacht der unversteuerten Substratverlagerung auf der anderen Seite die übermäßigen Anforderungen der Dokumentation und die Befürchtung der Besteuerung nichtrealisierter, zukünftiger Gewinne.
Am Ende steht nunmehr eine gesetzliche Erweiterung des § 1 Abs. 3 AStG, mit ergänzender Rechtsverordnung und kommentierendem BMF-Schreiben im Bundessteuerblatt. Fraglich bleibt indes, wie die Neuregelungen zu verstehen sind. Soll die neu eingeführte Besteuerung von Funktionsverlagerungen letztlich nur eine Klarstellung des bisher geltenden Rechts sein? So zeichnet zumindest das BMF-Schreiben die gesetzliche Entwicklung der Besteuerung von Funktionsverlagerungen und kann sich in diesem Punkt sogar zum Teil auf die Gesetzesbegründung berufen. Wäre dann die Rechtsverordnung zu den gesetzlichen Regelungen nur die präzisierende Klarstellung und das BMF-Schreiben die detaillierte Ausgestaltung der präzisierenden Klarstellung? Folgte man dieser These hätten die zahlreichen Fachveröffentlichung zur Funktionsverlagerung vermeintlich ihr Thema verfehlt; hätten Vertreter der Finanzverwaltung, Rechtsprechung, Wissenschaft und Wirtschaft seit vier Jahren über die Funktionsverlagerung in Foren, Anhörungen und Podiumsdiskussionen so kontrovers wie selten nur über eine Klarstellung diskutiert; hätte das erwartete Mehraufkommen aus der „Klarstellung“ sicherlich nicht mit knapp 2 Mrd. € taxiert werden dürfen.
Das simple Beispiel „Klarstellung“ spiegelt das Gezerre über die Ausgestaltung der Besteuerung von Funktionsverlagerungen wider: einerseits erscheint es als reine Wortklauberei, andererseits hat die Formulierung folgenreiche Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der Regelung. Nunmehr sieht das BMF-Schreiben vor, dass die Besteuerung von Funktionsverlagerungen auch in den besonders umstrittenen Punkten, wie beispielsweise die Transferpaketbewertung, entgegen der gesetzlichen Anwendungsregelung bereits rückwirkend für Sachverhalte vor 2008 gelten soll.
Dies verwundert umso mehr, als im laufenden Gesetzgebungsverfahren keine international vergleichbare Regelung angeführt werden konnte; vielmehr wurde zunächst eingeräumt, die Neuregelung finde ihre internationale Grundlage in einem Arbeitspapier der OECD. Auch wenn das OECD-Arbeitspapier nunmehr anderthalb Jahre nach der deutschen Regelung veröffentlicht wurde, besteht nach wie vor ein wesentlicher Unterschied mit Blick auf die Grenzen der Bildung von Gesamtheiten. So stellt der neue Teil neun der internationalen OECD-Verrechnungspreisrichtlinien auf einen „ongoing concern“ als übergehendes Objekt ab. Es wird mehr als eine Funktion benötigt, um die Transferpaketbewertung anwenden zu können. „Funktionen (functions)“ als mögliche Bestandteile eines „ongoing concern“ werden nur im Plural genannt. In Deutschland hingegen werden von § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG mit Funktionen sehr viel kleinere Einheiten erfasst. Unter diesen Umständen fällt es schwer zwischen dem deutschen Ansatz der funktionsbezogenen Transferpaketbewertung und dem der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien nennenswerte Übereinstimmungen sehen zu wollen.
Dass die deutsche Regelung jedoch auch sehr kleinteilige Funktionen erfassen will, ist auf die eingangs beschriebene Sorge der Finanzverwaltung zurückzuführen, Steuersubstrat würde von der Steuer unbehelligt ins Ausland verlagert. Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass bereits durch die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung eine überarbeitete Pflicht zur ausreichenden Dokumentation besteht. In den Fällen fehlender Dokumentation übertragener immaterieller Wirtschaftsgüter greift § 1 Abs. 1 Satz 4 GAufZ, mit dem festgelegt wird, dass „Aufzeichnungen, die im Wesentlichen unverwertbar sind, […] als nicht erstellt zu behandeln“ sind. Damit gelten die Mitwirkungspflichten aus § 90 Abs. 3 AO als verletzt und führen zur Anwendung der speziellen Schätzungsvorschriften in § 162 Abs. 3 und 4 AO (Ausschöpfung von Preisspannen zu Lasten des Steuerpflichtigen sowie Festsetzung eines Zuschlags). Unbehelligte Funktionsverlagerungen sollten damit ausgeschlossen sein. Umso fragwürdiger erscheint die Entscheidung, das BMF-Schreiben als Vehikel für eine rückwirkende Anwendung der umstrittenen Transferpaketbewertung zu nutzen; zumal sich der Gesetzgeber nach eingehenden Diskussionen für eine generelle Anwendung ab dem 1. 1. 2008 entschieden hat.
Das Fazit kann nur ein Zwischenfazit sein. Durch die rückwirkende Anwendung der Transferpaketbewertung auf dem Verwaltungswege wird der Ausgangskonflikt zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem eher verstärkt; die positiven Entwicklungen im BMF-Schreiben treten in den Hintergrund. Eine Antwort auf die nunmehr zusätzlichen offenen Fragen kann wohl nur über den Rechtsweg erreicht werden.