Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 7. 11. 2006 das alte Erbschaftsteuerrecht für verfassungswidrig erklärt hatte, hat der Gesetzgeber zum 1. 1. 2009 das Erbschaftsteuerrecht neu geregelt. Ob das neue Gesetz den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, ist bekanntlich höchst zweifelhaft. Zwar gilt auf der Bewertungsebene nun ein einheitlicher Maßstab, das führt aber nicht zu einer gleichmäßigen steuerlichen Belastung, vielmehr wird die einheitliche Bewertung durch diverse Steuerbefreiungen konterkariert. Die Steuerbefreiungen auf der nachfolgenden „Verschonungsebene“ sind so weitgehend, dass die Gleichheit im Belastungserfolg noch stärker verfehlt wird, als dies bei der Vorgängerregelung der Fall war. Wegen dieser verfassungsrechtlichen Bedenken hat ein Steuerpflichtiger die Aussetzung der Vollziehung des gegen ihn gerichteten Schenkungsteuerbescheids beantragt, was vom Finanzamt abgelehnt wurde. Der BFH hat die Ablehnung nun durch Beschluss vom 1. 4. 2010 (II B 168/09, BStBl. II 2010 S. 558 = DB 2010 S. 823) bestätigt. Ist dies schon als Vorentscheidung für den Ausgang des späteren Hauptsacheverfahrens zu verstehen?
Diese Frage kann man nach der Lektüre des Beschlusses eindeutig verneinen. Der BFH hat sich nämlich mit den vom Kläger vorgebrachten Argumenten gegen die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes gar nicht auseinandergesetzt, sondern aus rein formalen Aspekten die Beschwerde des Steuerpflichtigen gegen die vorangegangene (ebenfalls ablehnende) Entscheidung des FG München zurückgewiesen.
Im Streitfall erhielt der Kläger von seinem Bruder im Jahre 2009 25.000 € geschenkt. Die Erbschaftsteuer wurde auf rd. 4500 € festgesetzt. Der Kläger machte geltend, die Festsetzung sei rechtswidrig, da das Erbschaftsteuergesetz verfassungswidrig sei, und zwar insgesamt wegen der gleichheitswidrigen Verschonungsregeln, aber auch wegen der Diskriminierung der Geschwisterschenkungen.
Ob die verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen, ließ der BFH offen. Jedenfalls fehle es an dem besonderen Interesse des Antragstellers an der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes. Zwar habe der BFH in verschiedenen Fällen, in denen sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf die Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm gründeten, Aussetzung der Vollziehung gewährt. Alle diese Fälle seien aber dadurch gekennzeichnet gewesen, dass im Rahmen der Abwägung dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse gebühre. Berücksichtige man auf der einen Seite, dass bei Erfolg des Antrags praktisch das gesamte neue Erbschaftsteuergesetz außer Kraft gesetzt würde, da die Finanzbehörden in jedem Steuerfall Aussetzung der Vollziehung gewähren müssten, andererseits der Kläger aber nur mit 4500 € steuerlich belastet sei, so müsse diese Abwägung zu Lasten des Klägers ausgehen.
Natürlich hätte der BFH auch einen anderen Weg einschlagen können. Denn in der Entscheidung zur sog. Pendlerpauschale (BFH-Beschluss vom 23. 8. 2007 – VI B 42/07, BStBl. II 2007 S. 799 = DB 2007 S. 2011) hatte der BFH trotz der ebenfalls geringen steuerlichen Auswirkung im Einzelfall die Aussetzung der Vollziehung gewährt, was zur Nichtanwendung der gesetzlichen Neuregelung über die Abzugsfähigkeit der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz in millionenfachen Fällen führte oder führen konnte. Worin aber nun der Unterschied liegen soll, wenn ein ganzes Gesetz (Erbschaftsteuergesetz) oder eine gesetzliche Neuregelung im Einkommensteuergesetz nicht angewandt werden kann, ist aus dem nunmehr vorliegenden Beschluss nicht zu entnehmen. Denn bei der Pendlerpauschale war die Zahl der von der Aussetzung der Vollziehung mittelbar Betroffenen noch höher als sie bei der Erbschaftsteuer gewesen wäre. Auch die finanzielle Auswirkung zu Lasten der öffentlichen Haushalte war zumindest vergleichbar. In dem einen wie in dem anderen Fall wäre „dem Kläger die (vorläufige) Entrichtung der Steuer ohne weiteres zumutbar“ (Beschluss vom 1. 4. 2010 – II B 168/09, S. 8, BStBl. II 2010 S. 558 = DB 2010 S. 823) gewesen. Dass im nunmehr entschiedenen Fall ein ganzes Gesetz auf dem Prüfstand steht, ist doch nur ein formaler Aspekt und für die praktische Auswirkung der Aussetzung der Vollziehung auf die Belange des Haushalts nicht von Bedeutung.
Alle, die gehofft haben, das neue Erbschaftsteuergesetz werde im anhängigen AdV-Verfahren vor dem BFH ein rasches Ende finden, müssen sich nun gedulden und den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten. Dieses ist vom erstinstanzlichen Gericht, dem FG München noch nicht entschieden. Teilt das FG München die verfassungsrechtlichen Bedenken, wird es das Erbschaftsteuergesetz – voraussichtlich noch in diesem Jahr – dem BVerfG vorlegen. Schließt es sich den Bedenken nicht an, wird der Fall wieder beim BFH landen, der dann die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheiden und bejahendenfalls das Gesetz dem BVerfG vorlegen muss. Bei diesem sind bereits drei Verfassungsbeschwerden anhängig, die sich unmittelbar gegen das Gesetz richten. Bis wir Klarheit über das Schicksal des neuen Erbschaftsteuerrechts haben, wird aller Voraussicht nach aber noch einige Zeit – eher Jahre als Monate – vergehen.
Das inzwischen nicht mehr ganz so neue – und bereits im Zuge des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes einmal nachgebesserte – Erbschaftsteuerrecht wird wohl letztlich das gleiche Schicksal erleiden wie sein Vorgängermodell. Insbesondere die Regelungen zur Verschonung des Betriebsvermögens dürften im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als völlig verfehlt anzusehen sein. Schließlich bieten sich dem findigen Steuerbürger zahlreiche Möglichkeiten, die Vergünstigungen auch seinem Privatvermögen zugute kommen zu lassen. Im Ergebnis – da sind sich die meisten Berater einig – kann man sogar sagen, dass die Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer für wohlhabende Bürger durch die Gestaltungsmöglichkeiten praktisch abgeschafft wurde. Die Vorgaben der Verfassungsrichter an die Politik sahen anders aus…