Wegzugsbesteuerung: Gilt § 6 AStG auch bei Veräußerungsverlusten?

StB Dr. Michael Best, Partner bei Pöllath & Partners, München

Unterliegt eine Person mindestens zehn Jahre lang der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht und verändert diese Person Ihren Wohnsitz (bzw. Ansässigkeit) in der Weise, dass Deutschland das Recht verliert Gewinne aus der Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen zu besteuern, so kommt es im Zeitpunkt des Wegzugs zu einer fiktiven Realisierung von stillen Reserven in einer von dieser Person gehaltenen wesentlichen Beteiligung. Bei einem Umzug in ein anderes EU Land sowie bei einer vorrübergehenden Abwesenheit kann die hieraus geschuldete Steuer gestundet werden. Die Frage, ob diese fiktive Gewinnrealisierung auch dann gilt, wenn der Wert der wesentlichen Beteiligung gesunken ist, d. h. der Steuerpflichtige einen Verlust realisiert, würde man nach dem Rechtsgefühl wohl spontan bejahen. Ein Blick ins Gesetz, Literatur und Rechtsprechung belehrt jedoch eines Besseren.

Im Schrifttum wurde bereits für die alte Fassung des § 6 AStG kontrovers diskutiert, ob Wertverluste zu berücksichtigen seien. Die Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 14. 5. 2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004) und der BFH (Urteil vom 28. 2. 1990, BStBl. II 1990 S. 615 = DB 1990 S. 1597) waren der Ansicht, dass § 6 AStG a. F. nicht zur Realisierung von Verlusten führt. Der BFH leitete dies aus der Überschrift der Vorschrift sowie aus den Ersatzrealisationstatbeständen des § 6 Abs. 3 AStG a. F. ab.

Durch die Neufassung des § 6 AStG durch das SEStEG ist diese Rechtsfrage neu zu beurteilen. Die Literatur scheint sich in der Mehrheit für eine Verlustberücksichtigung auszusprechen, es gibt jedoch auch Gegenstimmen:

Literaturmeinungen gegen eine Verlustrealisierung

Kraft (in Kraft, AStG, § 6 Rdn. 291) vertritt die Auffassung, dass eine fiktive Verlustentstehung/Verlustverrechnung weiterhin nicht zulässig sei. Die Begründung des BFH zu § 6 AStG a. F. sei nach wie vor überzeugend. Dieser Meinung schließt sich auch Bron (IWB Fach 3 Deutschland Gruppe 2, S. 1413, Heft 9/2009) an. Er vertritt die Auffassung, dass für Zwecke der Gestaltungsberatung weiterhin davon auszugehen sei, dass § 6 AStG nur Wertzuwächse berücksichtige und keine Wertverluste. Er stützt diese Auffassung auf der insoweit unveränderten Überschrift sowie § 6 Abs. 6 AStG wonach Wertminderungen erst bei einer späteren tatsächlichen Veräußerung durch den Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. Von einer unveränderten Rechtslage geht auch Menck (in Blümich, AStG, § 6 Rdn. 40) aus. Er ist jedoch der Ansicht, dass ein Verlustausgleich im Rahmen des § 6 AStG zuzulassen ist, wenn beim Wegzug § 6 AStG auf mehrere Anteile anzuwenden ist und teils Gewinne und teils Verluste entstanden sind.

Literaturmeinungen für eine Verlustberücksichtigung

Namhafte Literatur (vgl. Strunk/Kaminski, in: Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rdn. 137 ff.; Wassermeyer, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 6 AStG Rdn. 51; Schlenker in Blümich, EStG, § 10 d Rdn. 47) vertritt zwischenzeitlich jedoch die Auffassung, dass die Neufassung des § 6 AStG umfassender sei und über die bisherige Regelung hinausgehe. Nunmehr müssen auch Veräußerungsverluste berücksichtigt werden, wenn der Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs gegenüber den Anschaffungskosten gesunken ist. Zwar werde in der Überschrift von § 6 AStG unverändert von einem Vermögenszuwachs gesprochen. Jedoch bestehe die Rechtsfolge in einer uneingeschränkten Anwendung des § 17 EStG. Da dieser aber auch Veräußerungsverluste erfasst, müsse ein solcher Verlust auch im Anwendungsbereich des § 6 AStG realisiert werden können.

Dies folge einerseits aus § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG und im Übrigen auch aus der Abgrenzung zwischen den Besteuerungsrechten verschiedener Staaten. Außerdem seien die Ersatztatbestände des § 6 Abs. 3 AStG a. F. durch § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 AStG ersetzt worden. Damit werde aber stärker auf die Steuerentstrickung und die damit verbundene Abgrenzung der Besteuerungsrechte der beteiligten Staaten als auf die persönlichen Verhältnisse des Anteilseigners abgestellt (vgl. Wassermeyer, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 6 AStG Rdn. 51, der allerdings darauf hinweist, dass § 6 Abs. 6 Satz 3 AStG auch für eine gegenteilige Auslegung sprechen könnte). Der Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten stehe nach dieser Literatur auch  nicht entgegen, dass der Gesetzgeber regelmäßig von einem Veräußerungsgewinn spricht. Hierunter seien auch in anderen steuerlichen Regelungen nicht nur positive Einkünfte zu verstehen, so dass aus dieser Begrifflichkeit kein Argument für einen Ausschluss der Verlustberücksichtigung abgeleitet werden könne (vgl. Strunk/Kaminski, in: Strunk/Kaminski/Köhler, § 6 AStG Rdn. 139).

Gestaltungsempfehlung

Zumindest solange die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist, sollten Steuerpflichtige im Fall von Wertverlusten in wesentlichen Beteiligungen in Betracht ziehen, die Anteile zu veräußern um damit den Verlust noch vor dem Wegzug zu realisieren und mit anderen positiven Einkünften zu verrechnen. Das FG Saarland sieht in einer solchen Vorgehensweise auch keinen Gestaltungsmissbrauch. In seinem Urteil vom 17. 6. 2008 (EFG 2008, S. 1803) hat das Gericht entschieden, dass der zu einem Verlust nach § 17 führende, rechtswirksam erfolgte und einem Fremdvergleich standhaltende Verkauf von Aktien durch das Gründungsmitglied einer AG an seine Ehefrau auch dann nicht gestaltungsmissbräuchlich im Sinne von § 42 AO ist, wenn die Aktien fast vollständig ihren Wert verloren haben und die Eheleute wegen des einem Monat nach Verkauf erfolgten Wegzugs nach Frankreich den Verlust ansonsten später nicht mehr in Deutschland hätten geltend machen können.

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