Präsident Obama hat am 17. 12. 2010 das Gesetzgebungsverfahren über ein umfassendes Konjunkturpaket mit einem Volumen von ca. 890 Mrd. Dollar, der sog. „Tax Relief, Unemployment Insurance Reauthorization, and Job Creation Act of 2010” („Tax Relief Act“), durch seine Unterschrift abgeschlossen. Ausgewiesenes Ziel dieses Reformgesetzes ist die Stabilisierung der US-Wirtschaft. Vom Grundsatz her knüpft es an die von der seinerzeitigen Regierung Bush im Jahre 2001 erlassenen und in dem „Economic Growth and Tax Relief Reconciliation Act of 2001“ („EGTRRA“) verankerten Steuererleichterungen an. Erhebliche Modifikationen erfolgten allerdings im Bereich des Erbschaftsteuerrechts.
Nach EGTRRA (vom 7. 6. 2001) sollte die Erbschaftsteuer, die in den USA grundsätzlich als Nachlasssteuer ausgestaltet ist, ab dem Jahre 2001 über zehn Jahre sukzessive abgebaut werden. Während der Steuersatz zwischen 2002 und 2009 kontinuierlich von 55% (vor EGTRRA) auf 45% abgesenkt worden ist, wurden gleichzeitig die Freibeträge für Nachlässe von 1 Mio. US-Dollar im Jahre 2002 auf 3,5 Mio. US-Dollar im Jahre 2009 angehoben. Ab dem 1. 1. 2010 unterlagen Nachlässe schließlich überhaupt keiner Besteuerung mehr. Gleiches galt für die sog. „generation skipping tax“, eine dem deutschen Erbschaftsteuerrecht unbekannte Steuer. Sie findet bei Vermögensübertragungen an Enkel und entfernte Abkömmlinge Anwendung und dient als Ausgleich dafür, dass beim Vermögenstransfer unmittelbar auf die übernächste Generation ein Steueranfall bei der nächsten Generation vermieden wird.
Dieses Reformgesetz war jedoch einer Befristungsklausel, einer sog. „sunset provision“, unterworfen, wonach haushaltswirksame Gesetze in den USA lediglich für zehn Jahre Rechtswirkungen entfalten können. Dies bedeutet, dass ohne eine gesetzliche Neuregelung ab dem 1. 1. 2011 wieder die bis 2002 geltende Rechtslage gegolten hätte. Die Bundes-Nachlasssteuer wäre wie zuletzt für das Jahr 2001 (vor EGTRRA) mit einem Freibetrag von maximal 1 Mio. US-Dollar zu einem steuerlichen Höchstsatz von 55% erhoben worden, wodurch ein Erbfall im Jahr 2011 steuerlich ganz erheblich schlechter behandelt worden wäre als im Jahr 2010. Die Regierung Obama sah sich daher verpflichtet, die Auslaufregelungen des EGTRRA zumindest bis Ende 2012 in modifizierter Form durch den Tax Relief Act von 2010 zu verlängern.
Der Tax Relief Act enthält daher eine Neuregelung der Nachlasssteuer auf Bundesebene, die für das Jahr 2010 eine rückwirkende Wiedereinführung bedeutet. Danach werden Nachlässe in den Jahren 2010, 2011 und 2012 mit einem Steuersatz von 35% besteuert. Im Gegenzug gewährt das Reformgesetz den Erben einen historisch hohen Freibetrag in Höhe von 5 Mio. US-Dollar. Dieser Freibetrag ist zwischen Ehegatten übertragbar; mithin kann der von dem verstorbenen Ehegatten nicht ausgeschöpfte Freibetrag von dem überlebenden Ehegatten zusätzlich genutzt werden (insgesamt: 10 Mio. US-Dollar). Für Erbfälle des Jahres 2010 besteht ein Wahlrecht, ob sie nach den Vorschriften des EGTRRA oder den neuen Bestimmungen des Tax Relief Act besteuert werden sollen. Auch wenn diese Rechtswahl insbesondere bei Nachlässen, die einen signifikant höheren Wert als 5 Mio. US-Dollar aufweisen, im Regelfall zugunsten der Vorschriften des EGTRRA ausfallen wird, kann sich unter Umständen aber eine Entscheidung zugunsten einer Anwendung der Vorschriften des Tax Relief Act als steuerlich vorteilhaft erweisen.
Das Gesetz führt nämlich auch den bereits früher geltenden „step-up“ im Hinblick auf die erbschaftsteuerlichen Werte für Zwecke der Einkommensteuer wieder ein; d. h., wenn geerbte Nachlassgegenstände später veräußert werden, entsteht keine Einkommensteuer auf die Differenz zwischen den Anschaffungskosten des Erblassers und dem Veräußerungspreis, sondern nur auf die Differenz zwischen dem Wert des Gutes beim Erbfall und dem Veräußerungspreis. Die Übernahme dieses Konzeptes sollte auch der deutsche Gesetzgeber in Erwägung ziehen. Denn da seit der Erbschaftsteuerreform 2009 infolge der Bewertung aller Vermögensarten mit dem gemeinen Wert auch alle stillen Reserven grundsätzlich der Erbschaftsteuer unterliegen, der Erbe aber für Einkommensteuerzwecke die Anschaffungskosten des Erblassers übernimmt („Fußstapfentheorie“), kommt es im Fall einer späteren Veräußerung gegebenenfalls zu einer doppelten Besteuerung der zum Erwerbszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven durch Erbschaft- und Einkommensteuer. Die unzureichende Anrechnungsvorschrift des § 35b EStG kann die Doppelbesteuerung aufgrund ihres engen Anwendungsbereichs nur in den wenigsten Fällen mildern.
Die Bestimmungen des Tax Relief Act sind aufgrund der nur verlängerten Auslaufregelungen lediglich bis zum 31. 12. 2012 wirksam. Der Kongress muss also im Jahre 2012 erneut ein Gesetz erlassen, um den Eintritt des alten Rechtszustandes (vor EGTRRA) und den damit verbundenen hohen Steuersätzen (55%) zu vermeiden. Es bleibt zu beobachten, ob der nunmehr gefundene Kompromiss bezüglich der Besteuerung von Nachlässen in Zukunft eine Basis für weitreichendere und stabilere Reformen darstellen kann oder wieder nur eine Übergangslösung gefunden wird. Die ersehnte Herbeiführung von Rechtssicherheit auf dem Gebiet des US-Erbschaftsteuerrechts ist durch das Reformgesetz jedenfalls nicht erreicht worden.