Ab 2011 werden sich GmbH-Gesellschafter in bestimmten Fällen nach der Motivation ihrer Beteiligung fragen lassen müssen. Auf die im Strafrecht entwickelte Dogmatik zu den Formen des Vorsatzes wird zurückgegriffen werden können. Denn mit dem JStG 2010 kann es für die vollständige Geltendmachung eines Veräußerungsverlustes darauf ankommen, ob ein Steuerpflichtiger die Absicht hatte, aus einer GmbH-Beteiligung Dividenden oder Veräußerungserlöse zu erzielen.
Grundsätzlich sind Dividenden und Veräußerungsgewinne bzw. -verluste aus Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nur zu 60% (bis 2008 zu 50%) steuerpflichtig, § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG (Teileinkünfteverfahren, bis 2008 Halbeinkünfteverfahren). Der vollständige Abzug eines Veräußerungsverlustes war bis Ende 2010 in Ausnahmefällen möglich, da die Einschränkung des Verlustabzuges in § 3c Abs. 2 EStG voraussetzt, dass die Verluste in „wirtschaftlichem Zusammenhang“ mit teilweise steuerbefreiten Einnahmen erfolgten. Gab es aus der entsprechenden GmbH keine Einnahmen, bestand nach der Logik des BFH ein solcher Zusammenhang nicht, der Verlustabzug blieb vollständig möglich.
§ 3c Abs. 2 EStG wurde durch das JStG 2010 dergestalt ergänzt, dass ein Verlustabzug auch dann nur noch teilweise möglich ist, wenn „die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 40“ vorliegt.
Dieses Kriterium der „Absicht“ dürfte in Zukunft für Diskussionen sorgen. Das Strafrecht hat hierzu eine feinsinnige Dogmatik entwickelt, auf die zurückgegriffen werden kann. Denn der Gesetzgeber hat den Begriff der Absicht in Kenntnis des Umstandes verwendet, dass es sich um einen juristisch belegten Begriff handelt.
Bei der „Absicht“ (Dolos Directus I. Grades) kommt es dem Täter gerade darauf an, den Erfolg herbeizuführen oder einen bestimmten Umstand zu verwirklichen. Hiervon unterschieden wird der „direkte Vorsatz“ (Dolos Directus II. Grades), bei dem der Täter weiß oder es als sicher vorhersieht, dass er einen bestimmten Tatbestand verwirklicht, es ihm auf diesen speziellen Erfolg jedoch nicht ankommt. Bei dem Eventualvorsatz („Dolos Eventualis“) nimmt der Täter den Erfolgseintritt lediglich billigend in Kauf.
Wenn man sich diese Definition der Absicht vor Augen führt, erkennt man, dass keineswegs alle Fälle einer GmbH-Beteiligung erfasst sind. Man denke an einen Unternehmer, der sich an einer Vertriebsgesellschaft beteiligt. Ihn treibt die Absicht, einen Absatzkanal für seine Produkte zu erschließen. Ob diese Betriebsgesellschaft Dividenden ausschüttet, ist ihm nicht wichtig. Oder man denke an den Manager, dem nahegelegt wird, einen Teil seiner Vergütung in das Unternehmen zu investieren. Ob er sich jemals Dividenden oder einen Veräußerungserlös erwartet, kann manchmal bezweifelt werden. Jedenfalls sichert er sich sein Gehalt. Die Praxis wird hier in Zukunft weiteres Anschauungsmaterial bieten.
Eine weitere, ungeklärte Frage ist der Zeitpunkt, zu dem die Absicht vorzuliegen hat. Denkbar wäre, dass die entsprechende Absicht noch im Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsverlustes vorliegen müsste. Dieses Verständnis ließe allerdings die neue Regelung weitgehend leerlaufen, denn eine Veräußerung ohne Erlös dürfte wohl regelmäßig in einer Situation erfolgen, in der auch die Absicht, noch Einnahmen zu erzielen, ausgeschlossen ist.
Sinnvoller ist, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Anschaffungskosten geleistet werden, denn diese führen später zum Veräußerungsverlust. Auch damit würde die zeitliche Komponente nicht in jeden Fall erfassen. Ein Beispiel: Der Gesellschafter hat sich bei der Bank für einen Kredit seiner GmbH verbürgt. Die GmbH gerät in Insolvenz, ohne dass der Gesellschafter jemals eine Dividende erhalten hätte. Die Bank nimmt ihn aus der Bürgschaft in Anspruch. Das führt grundsätzlich zu nachträglichen Anschaffungskosten, die einen Veräußerungsverlust erhöhen. In dem Zeitpunkt, in dem die Bank durch den Gesellschafter befriedigt wird, liegt keine Absicht mehr vor, Dividenden oder Veräußerungsgewinne aus der Beteiligung zu erzielen.
Ein anderes spannendes Thema ist die Beweislast. Nach der Gesetzesformulierung trägt die Finanzverwaltung die Beweislast, da es sich um ein steuerverschärfendes Tatbestandsmerkmal handelt. Es ist zu erwarten, dass ein Anscheinsbeweis dergestalt postuliert werden wird, dass jemand, der sich an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, auch die entsprechende Einnahmeerzielungsabsicht hat. Für die Erschütterung dieses Anscheinsbeweises sollte m. E. der Beleg subjektiver Gründe ausreichen, die eine auf ein anderes Ziel gerichtete Absicht als gleichfalls möglich erscheinen lassen. Dem Steuerpflichtigen die Pflicht eines vollständigen Gegenbeweises aufzuerlegen, wäre mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar.
Es ist vorhersehbar, dass diese Fragen zunächst die Rechtsbehelfsstellen der Finanzämter, die Finanzgerichte und voraussichtlich auch den BFH beschäftigen werden.