Deutschland braucht eine moderne Gruppenbesteuerung

Die Fortentwicklung der mehr als 100 Jahre alten Organschaft hin zu einer modernen Gruppenbesteuerung ist überfällig. Die deutsche Wirtschaft leidet unter einem übergroßen Formalismus und den Risiken, die sich aus der Anknüpfung an das Gesellschaftsrecht ergeben. Die Finanzverwaltung steht dem im Einzelfall bestehenden Gestaltungspotenzial verständlicherweise skeptisch gegenüber und bindet unnötig Kapazitäten mit der Prüfung gesellschaftsrechtlicher Details. Die Verletzung höherrangigen europäischen Rechts sind bei der national begrenzten Organschaft eklatant, sodass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann der Europäische Gerichtshof Grenzen setzen wird. Die Fachwelt wartet daher gespannt auf die konkrete Umsetzung des im Koalitionsvertrag vorgegebenen Ziels.

Gruppenbesteuerungssysteme

Das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten für den deutschen Gesetzgeber reicht dabei auf der einen Seite von einer konsolidierten Konzernbesteuerung nach dem Einheitskonzept bis hin zu einem Ergebnisausgleich in Form von Zuschüssen (group contribution). Dazwischen steht bzw. stand die Organschaft, wie sie derzeit in Deutschland und bis einschließlich 2004 in Österreich praktiziert wurde. Beide Systeme basieren auf der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und des Reichsfinanzhofs und haben sich ­- mit einer steuersystematisch gewichtigen Ausnahme – im Zeitablauf weitgehend parallel entwickelt. Anders als nach deutschem Recht konnten in Österreich nur Körperschaften, aber keine natürlichen Personen oder Personengesellschaften Organträger sein.

Gruppenbesteuerung schafft Wachstum

Diesen Unterschied muss man beachten, wenn man die österreichischen Regelungen darauf hin untersucht, ob bzw. in welcher Hinsicht sie als Vorbild für eine Reform der deutschen Organschaft geeignet sind. Besonderes Augenmerk verdient darüber hinaus die Frage, welche Erfahrungen die Österreicher in den letzten fünf Jahren mit ihrer neuen Form der Gruppenbesteuerung gemacht haben. In diesem Zusammenhang verdient eine aktuelle Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung besondere Aufmerksamkeit, wonach sich die Einführung der Gruppenbesteuerung signifikant positiv auf die Ansiedlung von Headquarter-Funktionen in Österreich ausgewirkt hat. Dies überrascht nicht, schließlich ist der zeitnahe Verlustausgleich eines der wichtigsten Ziele von Konzernsteuerabteilungen. Unter all den Ländern, die prinzipiell als Standorte für eine geplante Investition in Betracht kommen, wird daher das Land, mit einem modernen Gruppenbesteuerungssystem, das auch grenzüberschreitend eine beschleunigte Verlustverrechnung ermöglicht, den Zuschlag bekommen. Dieser Umstand wird von vielen Skeptikern häufig übersehen: Gruppenbesteuerung schafft zunächst einmal Wirtschaftswachstum. Nur wer im Staat des Gruppenträgers Gewinne erwirtschaftet, kann dann im zweiten Schritt auch Auslandsverluste verrechnen. Ebenfalls vergessen die meisten Skeptiker zu erwähnen, dass die Verlustverrechnung nur temporären Charakter hat. Die strengen Nachversteuerungsmechanismen im österreichischen Recht stellen sicher, dass immer dann, wenn die ausländische Tochter wieder Gewinne erwirtschaftet, die zuvor verrechneten Verluste neutralisiert werden. Und finale Verluste müssen innerhalb der EU nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowieso im Ansässigkeitsstaat der Spitzeneinheit verrechnet werden.

Begrenzung der Verlustverrechnung bei Verzicht auf den Gewinnabführungsvertrag

Das augenfälligste Element einer Reform der Organschaft wird sicher der Wegfall des Gewinnabführungsvertrags sein. Nachdem auch Österreich auf dieses Tatbestandsmerkmal für die Zurechnung des körperschaftsteuerlichen Einkommens der Gruppengesellschaften verzichtet hat, ist Deutschland das einzige Land auf der Welt, das ein solches Merkmal noch verlangt. Da die Steueraufkommen in all den anderen Staaten nicht vollkommen erodiert sind, wird man kaum argumentieren können, der Gewinnabführungsvertrag sei ein unverzichtbares Element der Gruppenbesteuerung. Darüber hinaus sprechen eine ganze Reihe steuersystematischer Argumente gegen dieses veraltete Tatbestandsmerkmal. Dies heißt allerdings nicht, dass man den Grundsatz, wonach Verluste nur von demjenigen steuerlich geltend gemacht werden dürfen, der sie auch wirtschaftlich getragen hat, aufgeben muss. Vielmehr gilt es nach intelligenten und vor allem einfachen Lösungen zu suchen. Denkbar wäre z. B., eine vollständige Verlustverrechnung nur zuzulassen, wenn der Gruppenträger sich vertraglich zur Verlusttragung verpflichtet (§ 302 AktG) und als Regelfall der Gruppenbesteuerung „nur“ eine auf die Höhe des Eigenkapitals der Tochtergesellschaft begrenzte Verlustverrechnung einzuführen. Dies spiegelt die ökonomische Situation wider, wonach der Gesellschafter bei einer Kapitalgesellschaft grds. nur mit seiner Einlage (=Eigenkapital der Tochter) haftet. Soweit die Obergesellschaft dagegen unbegrenzt haftet und damit alle Gläubiger vor einem Verlust ihrer Forderungen schützt, muss das Steuerrecht dem Rechnung tragen und eine unbegrenzte Verlustverrechnung zulassen. Eine solche Regelung hätte zudem den Charme, rechtsformneutral zu sein, weil eben dieser Grundsatz für beschränkt haftende Gesellschafter, z. B. für die Kommanditisten einer KG, in § 15a EStG kodifiziert ist. Diese können Verluste zunächst nur bis zu Höhe ihrer Einlage verrechnen und darüber hinausgehende Verluste nur mit zukünftigen Gewinnen, es sei denn, sie übernehmen im Außenverhältnis eine erweiterte Haftung. Zur technischen Ausgestaltung einer solchen Regelung bietet sich ein Blick in die österreichische Literatur an, die im Vorfeld der Einführung der Gruppenbesteuerung ähnliche Überlegungen angestellt hat.

Weitere offene Fragen

Der Verzicht auf den Gewinnabführungsvertrag als Tatbestandsvoraussetzung der Gruppenbesteuerung wirft darüber hinaus recht komplexe Fragen hinsichtlich des tatsächlichen Gewinntransfers via Gewinnausschüttung auf. Hier drohen mannigfache und zum Teil erhebliche Doppelbelastungen, insbesondere im Personengesellschaftskonzern. Zudem gibt es eine Vielzahl weiterer Fragen, die sicher zum Teil auch erst im Laufe der fortschreitenden Diskussion auftreten werden. Aktuell gehören dazu neben den eingangs angesprochenen unionsrechtlichen Aspekten insbesondere die Fragen nach der Administrierbarkeit, der Anhebung der Beteiligungsquote auf ggf. 75% (faktisch bereits heute für den Abschluss des Gewinnabführungsvertrags notwendig), der Einbeziehung von Personenunternehmen als Gruppenträger, die Wiedereinführung der Mehrmütter-Organschaft, der Notwendigkeit sowie der Steuerneutralität von Steuerumlagen und der Eliminierung von Zwischengewinnen, insbesondere bei der konzerninternen Übertragung von Wirtschaftsgütern. Es bleibt also viel Stoff für weitere Blogs.

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