Auch an dieser Stelle sind wiederholt die Regelungen über den Untergang von Verlustvorträgen bei Körperschaften gegeißelt worden. Der Fairness halber ist jedoch zu erwähnen, dass auch Anzeichen gesetzgeberischer Vernunft zu erkennen sind. Dem maßgeblichen § 8c KStG wurde Ende 2009 durch das sog. „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ neben einer in der Praxis nur sehr begrenzt tauglichen Konzernklausel auch ein „Stiller-Reserven-Escape“ hinzugefügt. Vereinfacht ausgedrückt gehen Verlustvorträge einer Körperschaft trotz schädlicher Anteilsübertragung nicht unter, soweit die übertragene Körperschaft in ihrem Vermögen über stille Reserven verfügt.
Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Soweit in gleichem Umfange stille Reserven wie Verlustvorträge vorhanden sind, werden diese stillen Reserven künftig einmal aufgelöst und mit den Verlustvorträgen verrechnet werden. Es handelt sich quasi um eine „geschlossene Position“. Insoweit scheidet es aus, dass die Verlustvorträge im Mantel der Körperschaft zu einer neuen oder anderen Ertragsquelle gebracht werden. Hieraus erklären sich auch die Einschränkungen: Sofern nur ein Teil der Verlustvorträge unterzugehen droht, weil zwischen 25 und 50% der Anteile schädlich übertragen werden, kann auch nur der entsprechende Prozentsatz der stillen Reserven zur Rettung herangezogen werden. Stille Reserven, die nicht im Inland steuerpflichtig sind, können nicht angesetzt werden. (Das betrifft insbesondere stille Reserven in Beteiligungen an Tochterkapitalgesellschaften). Da diese stillen Reserven nicht zu in Deutschland steuerpflichtigen Gewinnen führen, können sie künftig Verlustvorträge nicht verbrauchen und damit auch nicht schützen.
Die Ermittlung der stillen Reserven erfolgt grundsätzlich sehr vereinfacht. Es ist nicht erforderlich, das gesamte Vermögen der übertragenen Körperschaft einzeln zu bewerten. Vielmehr ist der gemeine Wert der Anteile der Körperschaft ins Verhältnis zu setzen zu dem steuerbilanziellen Eigenkapital. In den meisten Fällen einer potentiell schädlichen Anteilsübertragung kann man den gemeinen Wert durch den Kaufpreis, der für die Anteile bezahlt wird, bestimmen. Mit anderen Worten: Der Kaufpreis der Anteile, hochgerechnet auf 100%, abzüglich des steuerbilanziellen Eigenkapitals ergibt den Gesamtbetrag der stillen Reserven im Vermögen der Gesellschaft. Liegt nur eine schädliche Anteilsübertragung zwischen 25 und 50% vor, so sind die stillen Reserven mit diesem Prozentsatz zu multiplizieren, um festzustellen, in welchem Umfang die ebenfalls nur anteilig betroffenen Verlustvorträge geschützt werden. Diese pauschale Ermittlung kann jedoch nicht vollständig durchgehalten werden, da, wie dargestellt, bestimmte stille Reserven nicht mitgerechnet werden können. Zumindest soweit solche möglicherweise vorliegen, ist eine Betrachtung der stillen Reserven in einzelnen Vermögensgegenständen unvermeidlich.
Dass die pauschale Vorgehensweise zur Ermittlung der stillen Reserven in Ausnahmefällen zu überraschenden Ergebnissen führen kann, war zu erwarten. So hätte in den Fällen, in denen das steuerbilanzielle Eigenkapital der Gesellschaft negativ ist, bereits ein Kaufpreis von einem Euro das Vorhandensein stiller Reserven bestätigt. Dabei drückt der Kaufpreis von einem Euro allenfalls aus, dass eine Kapitalgesellschaft für den nicht persönlich haftenden Gesellschafter keinen negativen Wert hat, selbst wenn deren Eigenkapital zu Verkehrswerten negativ ist. Der Kaufpreis von einem Euro ist also Folge der Haftungsbegrenzung, nicht jedoch der Ausweis stiller Reserven im Gesellschaftsvermögen. Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2011 hat der Gesetzgeber nachgesteuert. Im Fall eines negativen Eigenkapitals in der Steuerbilanz ist künftig nicht mehr der Wert der Geschäftsanteile die Vergleichsgröße, sondern der gemeine Wert des Betriebsvermögens. Es ist also in diesen Fällen wieder die Einzelanalyse des Betriebsvermögens erforderlich.
In der Praxis lässt sich beobachten, dass der Stille-Reserven-Escape zumindest in einem Teil der Fälle wirtschaftlich sinnvolle, nicht steuerlich getriebene Transaktionen ermöglicht und somit einen, wenn auch begrenzten, Beitrag leistet, der Wirtschaft den Gesundungsprozess nach der Krise zu ermöglichen. Leider bleibt allerdings auch festzuhalten, dass in vielen Fällen gerade § 8c KStG weiterhin ein erhebliches Hindernis darstellt, noch lebensfähige Unternehmen im Rahmen von Anteilsübertragungen und Umstrukturierungen zukunftstauglich zu machen.
Es bleibt deshalb zu wünschen, dass diesem ersten Zeichen der Vernunft weitere folgen. Überlebende Unternehmen würden es trotz Verrechnung ihrer Verlustvorträge durch zusätzliche Steuerzahlungen danken.