Die Europäische Kommission hat Deutschland förmlich aufgefordert, seine Mehrwertsteuervorschriften zu ändern und die MwSt-Befreiung für Dienstleistungen auszudehnen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, deren Tätigkeiten nicht vorsteuerabzugsfähig sind, ihren Mitgliedern erbringen. Der deutsche Gesetzgeber beschränkt diese Möglichkeit auf Dienstleistungen im Gesundheitsbereich; nach EU-Recht hingegen muss sie in allen Wirtschaftsbereichen gegeben sein. Die Aufforderung der Kommission ergeht in Form einer „mit Gründen versehenen Stellungnahme“, dem zweiten Schritt eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens. Sollte die Kommission innerhalb von zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort erhalten, kann sie Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagen“ (PM vom 6. 4. 2011, IP 11/428).
Weiter heißt es: „Die gegenwärtigen deutschen Rechtsvorschriften beziehen sich jedoch lediglich auf Zusammenschlüsse im Gesundheitsbereich. Dies ist mit der MwSt-Richtlinie unvereinbar, die Befreiungen nicht auf besondere Berufsgruppen beschränkt“.
Die Bundesregierung hatte zwar schon einmal einen Anlauf unternommen, den Anwendungsbereich dieser speziellen Steuerbefreiung für selbstständige Unternehmenszusammenschlüsse zu erweitern, doch ist noch keine Umsetzung erfolgt.
Aus dem Jahr 2009 stammt eine „Formulierungshilfe Nr. 1“ zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, mit welchem in § 4 UStG eine neue Nr. 29 eingeführt werden sollte. Nach dieser Vorschrift wären steuerfrei „sonstige Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder überwiegend steuerfreie Leistungen der in Nr. 8 oder Nr. 10 bezeichneten Art erbringen, gegenüber ihren Mitgliedern, soweit diese sonstigen Leistungen für unmittelbare Zwecke der Ausführung von steuerfreien Leistungen der in Nr. 8 oder Nr. 10 bezeichneten Art verwendet werden und die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert“ (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des UStG vom 10. 12. 2008, BT-Drucks. 16/11340, LEXinform Nr. 0173902 – dort aber ohne diese Regelung). Hiermit sollten die Leistungen sog. „Kreditfabriken“ (vgl. dazu Menner/Herrmann, Kreditgeschäft ausgelagert, Steuern gespart, Handelsblatt.com vom 25. 4. 2003) von der Umsatzsteuer befreit werden.
In der Begründung der Formulierungshilfe hieß es: „Die Steuerbefreiung beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. 11. 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (sog. Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie — MwStSystRL). Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von natürlichen oder juristischen Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Unternehmer sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt. Bislang ist diese Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur partiell in nationales Recht umgesetzt (§ 4 Nr. 14 Buchst. d UStG – Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder Angehörige der dort genannten Heilberufe sind). Ein weiterer Umsetzungsbedarf war für den Gesetzgeber bislang nicht erkennbar“.
Diesen Mangel an Umsetzungsbedarf wurde früher damit begründet, dass sich Art. 132 nach der Überschrift zu dem Kapitel der MwStSystRL, in welchem die Vorschrift steht, auf „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ beziehe, und dass unternehmerische Tätigkeiten anderer Berufsgruppen als der Ärzte – insbesondere der Finanzdienstleister – nicht dem Gemeinwohl dienten.
Daher darf man gespannt sein, wie die Bundesregierung auf die Aufforderung der Kommission reagieren wird. Offenbar besteht – oder bestand zumindest – eine Bereitschaft, unter bestimmten Voraussetzungen Umsätze bestimmter Zusammenschlüsse im Finanzdienstleistungs-Sektor von der Umsatzsteuer zu befreien. Es gibt bisher aber keine Hinweise für eine solche Bereitschaft, die EU-Vorgabe komplett umzusetzen, das heißt, allen Zusammenschlüssen steuerbefreiter Unternehmer eine Steuerbefreiung zu gewähren.