Deutsche „Anti-Treaty-Shopping“-Regelung auf dem Weg zum EuGH?

Die EU-Kommission hat die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens § 50d Abs. 3 EStG gezündet. Mit dieser Vorschrift soll die missbräuchliche Zwischenschaltung substanzschwacher Holdinggesellschaften zwecks Optimierung der Dividendenroute verhindert werden. Derartige Gestaltungen werden im Fachjargon als Treaty oder Directive Shopping bezeichnet und lohnen sich für Steuerpflichtige, die weder nach einem Doppelbesteuerungsabkommen noch nach der Mutter-/Tochter-Richtlinie berechtigt sind, Gewinnausschüttungen deutscher Kapitalgesellschaften quellensteuerfrei zu vereinnahmen.

Die Vorschrift fingiert eine missbräuchliche Gestaltung, die dann vorliegt, wenn nicht alle der folgenden drei Merkmale erfüllt sind:

  1. für die Einschaltung der ausländischen Zwischengesellschaft gibt es keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe;
  2. die ausländische Zwischengesellschaft erzielt weniger als oder genau 10% ihrer Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit;
  3. die ausländische Zwischengesellschaft verfügt über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb.

Die Kommission kritisiert nicht das mit der Maßnahme zur Missbrauchsbekämpfung verfolgte Ziel, sondern insbesondere, dass eine ausreichende eigene Wirtschaftstätigkeit auch dann vorliegen kann, wenn die vorgenannte 10 Prozent-Grenze nicht erfüllt wird. Nach Auffassung der Kommission muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, die Vermutungen durch einen Gegenbeweis zu widerlegen.

In der ersten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens hat die Kommission von Deutschland lediglich Auskunft über die Missbrauchsnorm verlangt. Mit der nun eingeleiteten zweiten Phase wird es schon deutlich ernster. Die Kommission fordert Deutschland förmlich auf, § 50d Abs. 3 EStG entsprechend zu ändern. Diese Aufforderung erging in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission (Az. 2007/4435, DB 2010 S. 20). Erhält die Kommission innerhalb von zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort auf diese Stellungnahme, kann sie den Europäischen Gerichtshof anrufen. Da dieser schon in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ (EuGH-Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04, DB 2006 S. 2045) herausgearbeitet hat, dass Normen zur Missbrauchsbekämpfung eng auszulegen, nur bei rein künstlichen Gestaltungen zulässig und stets mit der Möglichkeit eines Gegenbeweises zu versehen sind, wird Deutschland über kurz oder lang § 50d Abs. 3 EStG entschärfen. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, bei dieser Gelegenheit auch gleich einen Gegenbeweis für § 20 Abs. 2 AStG zuzulassen, weil dort dasselbe Problem besteht – mehr dazu demnächst.

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