Das Verhältnis von Ertrag- und Erbschaftsteuer ist seit Jahren höchst umstritten. Unumstritten ist nur eine grundsätzliche, systemimmanente Doppelbelastung. Beim Erblasser unterliegen die Vermögenszuwächse der Ertragsteuer. Das ertragsversteuerte Vermögen unterliegt beim Erben sodann der Erbschaftsteuer. Diese Doppelbelastung ist unzweifelhaft verfassungsgemäß.
Darüber hinaus gibt es jedoch einige Fallgruppen, bei denen die Doppelbelastungen nicht systemimmanent sind. Sie ergeben sich dadurch, dass ein und derselbe Lebenssachverhalt sowohl von Seiten der Ertragsteuer als auch von Seiten der Erbschaftsteuer für besteuerungswürdig gehalten wird. Steuersystematisch dürfte dies eigentlich nicht vorkommen. Denn die Ertragsteuer erfasst entgeltliche Leistungsfähigkeitssteigerungen, die durch auf den Markt gerichtete Verhaltensweisen erzielt werden. Der Erbschaftsteuer unterliegen demgegenüber unentgeltliche Leistungsfähigkeitssteigerungen. Folgt man diesem maßgeblich von Prof. Crezelius begründeten Ansatz müssten sich beide Steuerarten ausschließen, da ein und derselbe Vorgang nicht zugleich entgeltlich und unentgeltlich sein kann. Aktuell scheint es aber so, dass sich die Doppelbelastungen eher erhöhen als verringern.
In diesem Zusammenhang ist zunächst der Erlass zur disquotalen Einlage vom 20. 10. 2010 zu nennen (vgl. auch Viskorf, Steuerboard DB0421622 und Fuhrman, Steuerboard DB0421623). Die Finanzverwaltung vertritt darin die Auffassung, dass verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) einer Körperschaft, die beim Anteilseigner mit Abgeltungssteuer besteuert werden, zusätzlich (teilweise) der Erbschaftsteuer unterliegen. Die Finanzverwaltung schießt hier über ihr Ziel hinaus. Sie verkennt, dass Kapitalgesellschaften im Rahmen einer vGA gar nicht Schenker im Sinne des Erbschaftsteuergesetzes sein können, da ihnen das Bewusstsein der Unentgeltlichkeit fehlt. Dieses wird ausschließlich von den Gesellschaftern gebildet. Die Kapitalgesellschaft setzt den von den Gesellschaftern gebildeten Willen lediglich um.
Aus Sicht der Kapitalgesellschaft erfolgt die vGA daher nicht unentgeltlich, sondern mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis und damit entgeltlich. Eine vGA unterliegt zumindest im Verhältnis Kapitalgesellschaft und Gesellschafter ausschließlich der Ertragsteuer. Vermögensverschiebungen zwischen den Gesellschaftern, die aus einer vGA resultieren, können demgegenüber unentgeltlich sein. Gleichwohl unterliegen sie derzeit nicht der Erbschaftsteuer, da es an einer ausreichenden gesetzlichen Regelung fehlt. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ist der Erbschaftsteuer anders als der Ertragsteuer fremd.
Eine weitere Fallgruppe der Doppelbelastung bilden unentgeltliche Zuwendungen an Gesellschaften. Der BFH hatte bereits im Jahr 2006 (VIII R 60/03, DB 2006 S. 1590) einen mit Erbschaftsteuer belasteten Vermögenszugang von Todes wegen an ein in der Rechtsform der GbR betriebenes Altenheim für ertragsteuerpflichtig gehalten. Aktuell hat das FG Nürnberg mit Urteil vom 29. 7. 2010 (4 K 392/2009) die lebzeitige Zuwendung an eine GmbH, die einen Verlag zur Verbreitung religiöser Schriften betrieb, nach der bereits erfolgten Belastung mit Körperschaftsteuer auch der Schenkungsteuer unterworfen.
Diese Vorgänge sollten ausschließlich der Erbschaftsteuer unterliegen, da es sich eindeutig um unentgeltliche Zuwendungen und nicht um das Ergebnis einer Marktteilnahme handelt. Bei unentgeltlichen Zuwendungen an eine Gesellschaft verneint die Ertragsteuer bisher dann eine steuerbare Vermögensmehrung, wenn der Schenker oder Erblasser selbst Gesellschafter der begünstigten Gesellschaft ist oder war. In diesem Fall kommen Einlagegrundsätze zur Anwendung (BFH-Urteil vom 24.3.1993 – I R 131/90, DB 1993 S. 1751). Anerkannt ist ferner, dass die Ertragsteuer auch dann nicht eingreift, wenn eine Zuwendung an die Gesellschafter erfolgen soll und nur zur Abkürzung des Zahlungsweges direkt an die Gesellschaft geleistet wird.
Wirtschaftlich betrachtet ist die Zuwendung eines Dritten an eine Gesellschaft stets (zumindest auch) eine unentgeltliche Zuwendung an die Gesellschafter. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht die mittelbare unentgeltliche Bereicherung der Gesellschafter unter einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine entsprechende Anwendung der Einlagegrundsätze rechtfertigt, wenn die Zuwendung bereits der Erbschaftsteuer unterliegt . Der Kläger hat im Fall des FG Nürnberg vermutlich mangels entsprechender Erfolgsaussichten keine Revision eingelegt. Der II. Senat des BFH hat daher leider keine Chance, die vorgenannte Doppelbesteuerung aus Sicht der Erbschaftsteuer zu kommentieren.
Beide aktuellen Fälle zeigen, dass durch eine schärfere Abgrenzung nach den Merkmalen unentgeltlich und entgeltlich eine Doppelbesteuerung vermieden werden könnte. Die in der Praxis wohl relevanteste Fallgruppe einer Doppelbelastung, die Nichtberücksichtigung der latenten Ertragsteuerbelastung (insbesondere im Hinblick auf ertragsteuerlich verstrickte stille Reserven) des erworbenen Vermögens, lässt sich aber auch dadurch nicht verhindern. Zu einer latenten Doppelbelastung kommt es immer dann, wenn der für die Erbschaftsteuer maßgebende Wert des Vermögens dessen steuerliche Anschaffungskosten übersteigt. Dieses Problem wurde bis 2009 durch die Maßgeblichkeit der Steuerbilanzwerte bei der Erbschaftsteuer deutlich abgemildert.
Durch die deutlich verkehrswertnähere Bewertung nach der Erbschaftsteuerreform hat die Doppelbelastung stiller Reserven neue Brisanz erfahren. Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen der Erbschaftsteuerreform eine partielle Anrechnung gezahlter Erbschaftsteuer geschaffen. Diese findet Anwendung, wenn der Vorgang, der Ertragsteuer auslöst, innerhalb von fünf Jahren nach einem Vermögensübergang von Todes wegen verwirklicht wird (§ 35b EStG). Die Anrechnungsvorschrift greift jedoch nicht bei Schenkungen ein.
Auf Seiten der Erbschaftsteuer steht einer Vermeidung der Doppelbesteuerung das strenge Stichtagsprinzip (§ 11 ErbStG) entgegen. Es verbietet die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten, die im Besteuerungszeitpunkt noch nicht entstanden sind. So hat der BFH erst im Jahr 2010 entschieden, dass Stückzinsen aus festverzinslichen Wertpapieren, die bis zum Tod des Erblassers angefallen sind aber erst nach dem Tod zufließen, zu dem erbschaftsteuerlichen Erwerb zählen (BFH vom 17. 2. 2010 – II R 23/09, DB 2010 S. 1217). Dies gelte auch für Fälle, die in einen Zeitraum fallen, in dem § 35b EStG abgeschafft war.
Die Entscheidung des BFH muss allerdings nicht das letzte Wort sein. Der Kläger hat Verfassungsbeschwerde eingereicht (1 BvR 1432/10). Das BVerfG hat damit die Möglichkeit, grundsätzlich zum Verhältnis von Ertrag- und Erbschaftsteuer Stellung zu nehmen. Dem Vernehmen nach prüft das BVerfG den Fall sehr intensiv. Es besteht daher die Hoffnung, dass das BVerfG neue Ansätze zur Lösung des Problems der Doppelbelastung mit Ertrag- und Erbschaftsteuer findet.