Schicksal von nachrangigen Gesellschafterdarlehensforderungen bei Liquidation

StB Dr. Thomas Töben, Partner bei Pöllath + Partners, Berlin

Einige Finanzämter sollen die Auffassung vertreten, dass ein faktischer Verzicht von Gesellschafterdarlehen oder der “Wegfall“ einer entsprechenden Schuld aus sonstigen Gründen anzunehmen sei, wenn eine GmbH ihr „letztes Vermögen“ verkauft, um mit dem Erlös alle bestehenden Drittschulden vollständig zu tilgen. Dieser fiktive Verzicht solle bei der GmbH zu einem steuerbaren Gewinn führen, der oft wegen gesetzlicher Verrechnungsbeschränkungen (Mindestbesteuerung / Verlustwegfall gem. § 8c KStG) nicht uneingeschränkt mit Verlustvorträgen verrechnet werden könnte. Es entstünde dann eine Steuerforderung des Fiskus, die unter Umständen mit den Forderungen von Drittgläubigern konkurrieren könnte. Diese Auffassung ist unzutreffend. Sie führt zu zweifelhaften wirtschaftlichen Ergebnissen; vor allem aber kann sie die Geschäftsführer unnötig verunsichern.

Vereinfachter Sachverhalt

Eine GmbH, deren Mindeststammkapital voll eingezahlt wurde, kaufte vor mehreren Jahren verschiedene Gewerbeimmobilien mit dem Ziel einer gewinnbringenden Weiterveräußerung. Den Gesamtkaufpreis von 100 Mio. € finanzierte die GmbH mit einem Bankdarlehen von 70 Mio. € und mit einem Gesellschafterdarlehen von 30 Mio. €. Nur den Drittgläubigern steht das erworbene Grundvermögen als Sicherheit zur Verfügung (Grundschulden).

In der Folgezeit sank der Wert des Grundvermögens erheblich. Der Wertverlust wurde bereits in den Vorjahren bilanziell durch außerplanmäßige Abschreibungen (angenommen 30 Mio. €) verlustwirksam berücksichtigt, was auch steuerlich zu Verlustvorträgen führte. Die Gesellschafter haben zur Abwendung einer Überschuldung und Insolvenzantragspflicht einen wirksamen Rangrücktritt bezüglich ihrer Forderungen erklärt. Die Gesellschaft befindet sich nicht in Zahlungsverzug und kommt nach wie vor allen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten fristgerecht nach.

Die Drittdarlehensgeber stellen die Darlehen fällig. Da der aktuelle Verkehrswert des Grundvermögens dem geminderten Buchwert (70 Mio. €) entspricht, kann der Geschäftsführer nach Verkauf des Vermögens die fällig gestellten Drittschulden vollständig zurückzahlen. Danach wird die GmbH über kein weiteres Vermögen mehr verfügen und auch keine Drittschulden mehr haben.

Träfe die eingangs erwähnte Auffassung zu, müsste sich der GmbH-Geschäftsführer fragen, ob er das Grundvermögen der GmbH als deren gesamtes (letztes) Aktivvermögen zum Verkehrswert von 70 Mio. € freihändig verkaufen darf, um den Verkaufserlös zur Tilgung der fälligen Drittschulden zu verwenden oder ob er sich dadurch schadensersatzpflichtig, ggf. sogar strafbar macht.

Denn die Annahme eines faktischen Forderungsverzichts auf die Gesellschafterdarlehen von im Beispiel 30 Mio. € würde wegen der Verlustverrechnungsbeschränkungen mindestens zu einer Steuerverbindlichkeit von rd. 3,5 Mio. € führen [= rd. 30% Steuer auf 30 Mio. € Gewinn abzüglich 1 Mio. € Verlustsockelbetrag abzüglich 60% x (30 Mio. € ./. 1 Mio. €)]. Diese rechnerische Schuld von 3,5 Mio. € zuzüglich der Drittschulden von 70. Mio. € übersteigen den Wert des Aktivvermögens von 70 Mio. €.

Dennoch: Natürlich kann, ja muss, der Geschäftsführer, soweit er keine Anschlussfremdfinanzierung und/oder neue finanzielle Mittel von den Gesellschaftern bekommt, auch in dieser Situation das Vermögen der GmbH verkaufen können. Nur so kann die GmbH ihrer Verpflichtung zur Tilgung ihrer realen Drittschulden nachkommen. Das jedenfalls sagt der gesunde Menschverstand. Sollen etwa in dieser Situation die Drittgläubiger auf eine Zwangsversteigerung verwiesen sein und/oder muss erst einmal ein Insolvenzantrag gestellt (und ggf. abgelehnt) werden, obwohl doch die GmbH über ausreichend Vermögen und nach Verkauf ihres Vermögens auch über ausreichend Liquidität zur Schuldentilgung verfügt? Diese Folge wird angesichts der eingangs erwähnten Auffassung der Finanzverwaltung befürchtet.

Der Verkauf des gesamten Aktivvermögens rechtfertigt weder die Annahme, die Gesellschafter hätten zugleich, gewissermaßen fiktiv auf ihre Gesellschafterdarlehensforderungen verzichtet, noch einen sonstigen „Wegfall“ der Schuld aus heiterem Himmel. So auch die Verfügung der OFD Münster vom 21. 10. 2005 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Verbindlichkeiten in Fällen der Unternehmensinsolvenz; dort wird zutreffend ausgeführt, dass „…zu dem Zeitpunkt, zu dem das Vorliegen eines Insolvenzgrundes (vgl. § 16 InsO) zu prüfen ist, und auch während des Insolvenzverfahrens von einer wirtschaftlichen Belastung des Schuldners in Höhe des Nennbetrages der Verbindlichkeit auszugehen“ (ist).

Sodann weiter: Erst „das tatsächliche Erlöschen der Schuld im Rahmen des Insolvenzverfahrens ist gewinnwirksam. Daher kann eine erfolgswirksame Minderung der Verbindlichkeiten (erst) erfolgen, wenn ein Gläubiger wirksam auf seine Forderung verzichtet. (Hinweis: bei einem gesellschaftsrechtlich veranlassten Verzicht wird regelmäßig in Höhe des noch werthaltigen Teils der Forderung eine verdeckte Einlage anzunehmen sein…)“. Also: Nur ein tatsächliches Erlöschen der Schuld kann gewinnwirksam sein. Das gilt nicht nur für Drittschulden, sondern auch, wie aus dem Klammerhinweis folgt, für Schulden gegenüber dem Gesellschafter. Für eine Differenzierung zwischen Drittschulden und Schulden gegenüber dem Gesellschafter sind keine Begründungen ersichtlich.

Der Besteuerung eines nur fiktiven Verzichtsgewinns, wenn es denn einen solchen geben würde, stehen im Übrigen auch verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber, jedenfalls dann, wenn die vollständige Kompensation eines solchen Verzichtsgewinns allein an der Verlustverrechnungsbeschränkung durch die sog. Mindestbesteuerung scheitert. So ist nach dem BFH-Beschluss vom 26. 8. 2010 (I B 49/10, DB 2010 S. 2366) ernstlich zweifelhaft, ob die sog. Mindestbesteuerung verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine „Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen endgültig ausgeschlossen ist“. Im Fall des BFH-Beschlusses ging es um den Wegfall („Verbrauch“) von Verlustvorträgen als Folge eines Gesellschafterwechsels (§ 8c KStG). Hier geht es um die nicht mehr mögliche Nutzung unverbrauchter Verlustvorträge als Folge der Liquidation einer GmbH nach Verkauf sämtlichen Vermögens.

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