Kosten der allgemeinen Lebensführung dürfen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist der Abzug außergewöhnlicher Belastungen in Härtefällen bei Beeinträchtigung der individuellen Leistungsfähigkeit. Mit einem aktuellen Urteil hat der BFH seine langjährige Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen überraschend geändert. In dem zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin einen Zivilprozess gegen eine Versicherung auf Fortzahlung von Krankentagegeld nach Feststellung ihrer Berufsunfähigkeit verloren und die dadurch angefallenen Kosten in ihrer Steuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht.
Bislang hatte die Rechtsprechung Kosten eines Zivilprozesses nur ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung anerkannt, wenn es sich um Rechtsstreitigkeiten handelte, denen der Steuerpflichtige aus rechtlichen, sittlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausweichen konnte. Dies konnte der Fall sein, wenn der Steuerpflichtige ohne den Prozess Gefahr lief seine Existenzgrundlage zu verlieren (z. B. bei einem Arzthaftungsprozess) oder wenn es sonst um den Kernbereich des menschlichen Lebens ging (z. B. dem Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern). In ständiger Rechtsprechung ging der BFH davon aus, dass es bei Zivilprozessen im Allgemeinen an der Zwangsläufigkeit der im Fall des Unterliegens von dem Steuerpflichtigen zu tragenden Kosten fehle. Das mit Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen verbundene Risiko gehe der Steuerpflichtige aus freier Entscheidung ein und es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast bei Verwirklichung des Risikos zu erleichtern.
Diese enge Differenzierung gilt nun nicht mehr. Nach dem aktuellen Urteil sind Kosten eines Zivilprozesses unabhängig von dessen Gegenstand als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, da der Steuerpflichtige das Prozessrisiko aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols nicht freiwillig übernehme. „Zwangsläufig“ seien Zivilprozesskosten aber nur, wenn die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Davon sei auszugehen, wenn der Erfolg des Zivilprozesses mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg sei.
Das Urteil ist für die Steuerpflichtigen ebenso überraschend wie erfreulich. Angesichts der seit Jahren bestehenden und ständig steigenden Überlastung der Zivilgerichte und der Streitfreudigkeit der Gesellschaft, sind die Auswirkungen auf das Steueraufkommen wohl nicht gering. Im Hinblick auf die Debatte um Steuersenkungen wirkt das Urteil fast wie ein Steuergeschenk des BFH. In der Praxis wird das vom BFH eingeführte Merkmal der hinreichenden Erfolgsaussichten kaum jemanden von der Geltendmachung der Kosten abhalten, da angenommen werden kann, dass niemand mutwillig einen Zivilprozess mit schlechten Erfolgsaussichten führt. Verbleibt die Frage, wie der Sachbearbeiter beim Finanzamt die Erfolgsaussichten beurteilen will. Hier hilft auch die vom BFH herangezogene Sicht des “verständigen Dritten“ nicht weiter. Der BFH führt in seiner Urteilsbegründung selbst aus, dass es riskant ist, vorherzusagen, wie ein Gericht entscheidet, da sich der Sachverhalt nur selten im Gesetz deutlich wieder findet, so dass der Richter seine Entscheidung mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Insoweit ist der Fall auch noch nicht abgeschlossen. Der BFH hat den Fall an das FG zurückverwiesen, damit dieses prüfe, ob die Führung des Prozesses gegen die Krankenversicherung aus damaliger Sicht hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Mit Spannung und Interesse kann der Begutachtung durch das FG entgegengesehen werden. Bis auf Weiteres kann jedem Steuerpflichtigen nur geraten werden, Zivilprozesskosten abzusetzen. Zuletzt verbleibt die Hoffnung, dass der Gesetzgeber die Finanzgerichte durch eine Gesetzesänderung von der zusätzlichen zivilrechtlichen Prüfung entlastet und die steuerliche Absetzbarkeit grundsätzlich anerkennt.