Finanztransaktionssteuer ante portas?

RA/StB/WP Volker Bock, LL.M., Tax Partner Ernst & Young, Eschborn

Die Diskussion über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) hat in letzter Zeit deutlich angezogen: Ende Juni sprach sich die EU-Kommission für eine EU-eigene FTS als Teil ihrer Finanzplanung 2014–2020 aus. Mitte August gaben dann Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy ihre Zusage, den für den Herbst geplanten EU-Legislativvorschlag bis Ende September durch eigene Vorschläge zu unterstützen. Damit ist nun ein Rechtssetzungsprozess auf dem Weg, der es lohnt, die wesentlichen Aspekte der FTS näher zu betrachten.

Befürworter der FTS sehen deren Vorteile in einer „doppelten Dividende“: Einerseits soll die FTS zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen und andererseits selbst bei geringen Steuersätzen ein erhebliches Aufkommens-potential bergen.

Die Stabilisierungsthese führt den rasanten Anstieg des Handelsvolumens auf den Finanzmärkten (allein im Zeitraum 1990-2007 vom ca. 15-fachen auf das ca. 70-fache des globalen Bruttoinlandsprodukts) auf die starke Expansion spekulativer Derivatetransaktionen in Verbindung mit einer permanenten Beschleunigung des Handels zurück: Die Spekulation – so die Befürworter der FTS – erhöhe nicht nur die kurzfristige Volatilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen, sondern verursache auch langfristige krisenverschärfende Abweichungen dieser Preise von ihren jeweiligen theoretischen Gleichgewichtswerten (sog. „overshooting“). Die FTS wirke dem stabilisierend entgegen, weil sie insbesondere die destabilisierenden spekulativen Transaktionen belaste, und zwar umso mehr, je kürzer der Zeithorizont und je größer die Hebelwirkung bei den Derivaten sei, wenn der Wert des Basisinstruments als Steuerbemessungsgrundlage herangezogen werde.

Für die Gegner der FTS ist die Spekulation dagegen ein unverzichtbares Element der Preisbildung und daher nicht für das „overshooting“ verantwortlich. Die FTS würde dem Markt vielmehr Liquidität entziehen und gerade dadurch die Preisvolatilität erhöhen. Zudem werde ein erheblicher Teil der Derivate zur erwünschten Preis- und Kurssicherung („hedging“) eingesetzt.

Die Stabilisierungsthese erscheint insgesamt als zu umstritten, als dass sie in der steuerpolitischen Debatte eine entscheidende Rolle spielen könnte. Steuerfachleute stehen der Vorstellung einer Steuer als Marktkorrektiv ohnehin reserviert gegenüber. Einem modernen Steuerstaatsverständnis entspricht es hingegen, am Marktgeschehen maßvoll zu partizipieren, d. h. in einem als intakt vorausgesetzten Markt Quellen steuerlicher Leistungsfähigkeit schonend anzuzapfen.

Nach ihren Befürwortern bieten sich der FTS besonders viele Zapfstellen. Da eine generelle FTS sowohl Kassamarkttransaktionen wie Kauf/Verkauf von Währungen, Aktien oder Rohstoffen als auch Derivatetransaktionen, die sich z. B. auf Aktienkurse, Zinssätze, Wechselkurse oder Rohstoffpreise beziehen, erfassen würde, ergäbe sich bereits bei minimalen Steuersätzen ein immenses Steueraufkommen. Selbst bei Berücksichtigung des Rückgangs des Steueraufkommens aufgrund des (vermeintlichen) Stabilisierungseffekts beliefe sich der Steuerertrag für Deutschland bei einem Steuersatz von nur 0,01% auf jährlich 11,9 Mrd. € (sogar 39,1 Mrd. € bei einem Steuersatz von 0,1%).

Dieses Aufkommenspotential mag auch die EU-Kommission überzeugt haben. Allerdings muss auch das Einzugsgebiet für die Zapfstellen genügend groß sein, da andernfalls die Steuer leicht umgangen werden könnte, zumal Händler und Privatinvestoren per Mausklick den Ort der Durchführung einer Transaktion bestimmen können. Eine FTS nur im Euroraum wird daher nicht ausreichen. Eine EU-weite Einführung könnte jedoch am Widerstand Großbritanniens scheitern, das um die Attraktivität seines Finanzplatzes London fürchtet. Auch in Richtung Zürich könnten sich Abwanderungstendenzen ergeben, was die Frage der Einbeziehung der Schweiz aufwirft. Ohnehin glauben die Kritiker einer FTS, dass diese nur im globalen Maßstab wirklich Sinn macht, und weisen auf das Beispiel einer in den 1990er Jahren in Schweden gescheiterten FTS hin, die zu einem Umsatzeinbruch an der schwedischen Börse um 85% führte.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine FTS zwar nicht unmittelbar „ante portas“ steht. Schon der von der EU-Kommission selbst in ihrer Vorlage an den EU-Rat vorgesehene Zeitplan einer Einführung erst „bis spätestens zum 1. Januar 2018“ spricht dagegen. Dennoch könnten noch in 2011 zwei wichtige Weichenstellungen erfolgen, die durch ein Junktim der EU-Kommission eng miteinander verknüpft sind: 1. Die EU-Kommission verfolgt das Ziel, sich eigene Steuerquellen zu erschließen; 2. Eine der Steuerquellen soll die FTS sein (eine andere ein Anteil an der reformierten Mehrwertsteuer). Durch die Verknüpfung beider Positionen könnte die Diskussion über die FTS zur Grundsatzdebatte über die Finanzierung der EU werden. Dies könnte die Gegner der FTS von ihrer ablehnenden Haltung abbringen und stattdessen dazu bewegen, eine mögliche Kompensation in Form von Rabatten auf Beitragszahlungen an die EU durchzusetzen. Die EU-Kommission hat mit dem vorgeschlagenen Junktim jedenfalls einen interessanten politischen Schachzug gemacht, der die Wahrscheinlichkeit der Einführung der FTS erhöhen dürfte. Man darf mit Spannung erwarten, ob alle EU-Regierungschefs auf ihrem nächsten Gipfeltreffen im Herbst den Vorschlägen der EU-Kommission zustimmen werden.

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