Die Generaldirektion Zölle und Steuern (TAXUD) hat am 5. 10. 2011 die im Beitrag vom 30. 5. 2011 angekündigten Erläuterungen veröffentlicht. Diese „explanatory notes“ liegen derzeit nur in englischer Sprache vor, die Hintergrundinformationen auf der Internetseite der TAXUD dagegen auch auf Deutsch. Zweck der Erläuterungen ist es gemäß ihrer Einleitung, den Mitgliedstaaten mehr als ein Jahr vor der verpflichtenden Umsetzung der Regelungen der RL 2010/45/EU zum 1. 1. 2013 eine einheitlichere Implementierung zu erlauben und der Wirtschaft die erforderlichen Informationen zu geben, um sich frühzeitig an die neuen Vorschriften anzupassen.
Sie ersetzen weder die Leitlinien des Mehrwertsteuer-Ausschusses noch eine Durchführungs-Verordnung. Sie sind rechtlich nicht bindend und geben die Sicht der TAXUD – nicht der Kommission – wieder, wie das EU-Recht angewendet werden sollte. Die Verantwortung für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht bleibt bei den Mitgliedstaaten.
Die Erläuterungen sind in gewisser Weise ein Gemeinschaftswerk, denn sowohl die Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten als auch Vertreter der Wirtschaft konnten zu Entwurfsfassungen Stellung nehmen und mit der TAXUD darüber diskutieren. Für die deutschen Wirtschaftsvertreter etwas ungewohnt legte TAXUD großen Wert darauf, dass die Kommentare sich ausschließlich mit dem Inhalt der Entwurfsfassungen auseinandersetzen sollten, aber nicht mit deren Wortlaut.
Die „explanatory notes“ verstehen sich auch als „work in progress“ – die Erläuterungen sind kein Endprodukt, sondern spiegeln die Sachlage zu einem gegebenen Zeitpunkt nach dem dann vorhandenen Wissen und der Erfahrung wider. Später können Judikate, Leitlinien des Mehrwertsteuer-Ausschusses und Praxis diese Sichtweisen ergänzen.
Sie umfassen sechzehn einzelne Unter-Dokumente, die in vier Gruppen mit einem Ober-Dokument eingeteilt sind (nichtamtliche freie Übersetzung):
A. Anforderungen an Papier- und elektronische Rechnungen
- Rechnungen müssen eine tatsächliche Leistung wiedergeben (zehnter Erwägungsgrund)
- Definition der elektronischen Rechnung (Art. 217)
- Zustimmung des Leistungsempfängers (Art. 232)
- Authentizität des Ursprungs (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 3)
- Unversehrtheit des Inhalts (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 4)
- Lesbarkeit (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2)
- Wahl der Mittel, Authentizität des Ursprungs, Unversehrtheit des Inhalts und Lesbarkeit sicherzustellen (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 2)
- Betriebliches Kontrollverfahren (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 2)
- Verlässlicher Prüfpfad (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 2)
- Fortgeschrittene elektronische Signatur und EDI (Art. 233 Abs. 2)
- Zeitpunkt der Rechnungsstellung und Ende des Aufbewahrungszeitraums (Art. 233 Abs. 1 Unterabs. 1)
- Aufbewahrung von Rechnungen – siehe Dokument D 3
B. Ausstellung von Rechnungen
- Die Regeln welchen Mitgliedsstaates sind anwendbar? (Art. 219a)
- Anwendbare Mitgliedstaats-Regeln für steuerfreie Leistungen (Art. 221 Abs. 3)
- Rechnungs-Regeln für steuerfreie Finanzdienstleistungen (Art. 220 Abs. 1 und Art. 221 Abs. 2 mit Art. 135 Abs. 1 Buchstabe a bis g)
- Gutschriften (Art. 224)
C. Rechnungsinhalt
- Fortlaufende Nummerierung (Art. 226 Abs. 2)
- Ist-Besteuerung (Art. 226 Abs. 7a)
- Steuerfreie Leistungen (Art. 226 Abs. 1)
- Umrechnung des Umsatzsteuerbetrages in die nationale Währung (Art. 91 und 230)
- Vereinfachte Rechnungen (Art. 226b)
D. Aufbewahrung von Rechnungen
- Aufbewahrungsfrist (Art. 247)
- Übersetzungen und auf Rechnungen verwendete Sprachen (Art. 248a)
- Aufbewahrungsmedium (Art. 247)
Das Oberdokument – etwa A – enthält im Titel den Gegenstand der Unterdokumente, hier also „Subject: Requirements for paper and electronic invoices“ (Anforderungen an Papier- und elektronische Rechnungen), die Rechtsgrundlage „Council Directive 2010/45/EU of 13 July 2010 amending Directive 2006/112/EC on the common system of value added tax as regards the rules on invoicing“ (RL 2010/45/EU des Rates vom 13. 7. 2010 zur Änderung der RL 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Rechnungsstellungsvorschriften) und die konkret angesprochene Bezugsnorm bzw. den Erwägungsgrund (References: Articles 217, 232 and 233, and recital 10).
Das Unterdokument A-1 zitiert die in Bezug genommene Vorschrift oder – hier – den Erwägungsgrund im Wortlaut und enthält unter „Comment“ die Ansichten von TAXUD.
TAXUD hat sich darauf beschränkt, in den Erläuterungen nur Fragen im Zusammenhang mit der RL 2010/45/EU anzusprechen und zu beantworten, aber keine anderen Themen zu Rechnungen oder anderen Bereichen der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie oder den Vergütungsrichtlinien.
Es bleibt abzuwarten, welche Wirkungen die „explanatory notes“ auf die Steuerpraxis in den Mitgliedstaaten haben. Sie ermöglichen – allerdings abhängig von den verfügbaren Sprachversionen – dem Unternehmen den Vergleich zwischen der Sicht „seiner“ nationalen Finanzverwaltung und der Sicht der Kommission und dadurch bei Unterschieden zwischen den Sichtweisen gezielte Rückfragen.
Trotz nicht der erheblichen Bindung von Arbeitskraft bei der Schaffung dieses völlig neuartigen „Produkts“ ist zu hoffen, dass die Generaldirektion Zölle und Steuern sich selbst hier hinreichend Zeit zur Bewertung gibt und die „notes“ nicht vorschnell als untauglichen Testballon abschreibt.