Die Mysterien steuerlicher Rechnungsabgrenzung: Step-down-Gelder im Streit

WP StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Partner bei KPMG, Köln

WP StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Partner bei KPMG, Köln

Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) haben seit jeher besonderes Interesse in steuerlicher Rechtsprechung und Literatur gefunden. Dies gilt für aktive und passive RAP gleichermaßen, die in § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 u. 2 EStG steuerbilanziell tatbestandssymmetrisch formuliert sind. Für die Handelsbilanz haben sie mit § 250 HGB eigene Grundlagen mit europäischen Wurzeln. RAP sind primär Ausfluss eines dynamischen  Bilanzzwecks, der auf eine periodengerechte, willkürfreie Gewinnermittlung bei gleichzeitiger Beachtung von Vorsichts- und Realisationsgrundsätzen abzielt. RAP sind subsidiäre Bilanzposten eigener Art, keine Wirtschaftsgüter. Eine Bewertung gem. § 6 EStG erfolgt nicht.

 Zur periodengerechten Erfolgsermittlung werden RAP gebildet, verursachungsgerecht verteilt, ggf. auch plan-oder außerplanmäßig aufgelöst. Trotz ihrer steuerbilanziellen Besonderheiten sind RAP aus dem Blickwinkel der Besteuerungspraxis wichtig und bilden ein „Sammelbecken“ für unterschiedlichste Sachverhalte. Im Zusammenhang mit Finanzierungsfragen treten sie gehäuft auf. Die gestalterische Interessenlage wird meist so sein, dass der Steuerpflichtige einen aktiven RAP zu vermeiden trachtet, einen passiven RAP anstrebt. Eine umgekehrte Zielrichtung verfolgt der Fiskus. Steuerstreit ist vorprogrammiert.

Neue BFH-Entscheidung verlangt aktive RAP

Über die steuerbilanzielle Abbildung sog. Step-down-Gelder hat der I. Senat des BFH kürzlich in einem bemerkenswerten Urteil vom 27. 7. 2011 entschieden (DB0461152). Es ging um einen Interbanken Fall, bei dem ein Kreditinstitut (der Kläger) ein 10-jähriges Darlehen mit vereinbarungsgemäß sinkenden Zinssätzen (zunächst 7,5% mit jährlicher Minderung v. rd. 0,5%) und Einmaltilgung am Laufzeitende aufgenommen hat. Konkreter Hintergrund der Step-down-Gelder war weniger ein prognostiziertes Absinken des Marktzinssatzes, sondern vielmehr die Gewährung kontinuierlich steigender Sparzinsen während der Refinanzierungszeit an Kunden der Bank. Die Finanzverwaltung verlangte die Bildung eines aktiven RAP zu Beginn der Vertragslaufzeit in Höhe des den rechnerischen Durchschnittszins übersteigenden Anteils, der dann auf die feste Vertragslaufzeit aufwandsmäßig verteilt werden sollte.

Das erstinstanzliche FG Baden-Württemberg gab der Klage in seinem Judikat vom 21. 12. 2009 recht; für eine betriebswirtschaftliche Gleichverteilung  der Zinsaufwendungen sei kein Raum. Der BFH hebt die Entscheidung nun auf und verlangt eine verursachungsbezogene Aufwandsabgrenzung über einen aktiven RAP. In den Blick genommen wurde im Kern die Frage, ob der vereinbarte „anfängliche Überzins“ eine laufzeitbezogene Vorleistung für die längerfristige Darlehensgewährung darstellt und deshalb aktiv abzugrenzen ist. Der BFH unterscheidet dabei zwei Konstellationen, wobei er sich eng an sein Urteil vom 22. 6. 2011 (DB0458227) zu einem von einem Darlehensnehmer einmalig zu zahlenden „Bearbeitungsentgelt“ anlehnt. Zum einen ist danach ein aktiver RAP geboten, wenn der Darlehensnehmer der Step-down-Beträge bei vorzeitiger Vertragsbeendigung die anteilige Erstattung der bereits geleisteten Zinsen verlangen kann. Nach Ertragsrealisationsgrundsätzen wird die Gegenleistung durch den Darlehensgeber erst in künftigen Zeiträumen erbracht. Die Rückerstattungsmöglichkeit ist ein gewichtiges RAP-Indiz. Aber auch ohne rückforderbaren Zinsanteil fordert der BFH einen aktiven RAP, wenn das Darlehensverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann und die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragsauflösung faktisch nicht ernsthaft in Betracht kommt. Der stets möglichen außerordentlichen Kündigung ist dann nur eine „rein theoretische Bedeutung“ zuzumessen. Auf diese Überlegung stützt der BFH dann das Abgrenzungsgebot. Der Tatsache, dass während der Laufzeit stets eine einvernehmliche Vertragsauflösung oder Vertragsänderung in Betracht kommt, misst der BFH keine Bedeutung zu.

Besteuerungspraktische Konsequenzen

Das BFH-Urteil vom 27. 7. 2011 ist wegen seiner sprachlichen Mehrfachnegationen nicht ganz einfach verständlich. Das Gericht geht zwar zunächst von den zivilrechtlich vereinbarten Grundlagen aus, wertet sie dann aber hinsichtlich der „theoretischen Kündigungssituation“ wirtschaftlich und gelangt zu einer Gleichverteilung von Zinsaufwand entgegen den vertraglichen Absprachen. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG wird dadurch Instrument einer stark dynamisch geprägten Erfolgsmessung. So recht überzeugend finde ich dieses Abweichen von den zivilrechtlich getroffenen Vereinbarungen nicht, auch wenn man die Überlegungen des BFH im konkreten Sachverhalt nachvollziehen kann.

Falls der Steuerpflichtige allerdings die sinkenden Zinssätze mit dokumentierbaren Wirtschaftlichkeitsüberlegung nachweisen kann, ist für eine Rechnungsabgrenzung m. E. kein Raum. Insoweit besteht Gestaltungspotenzial für den Steuerpflichtigen. „Glücklicher Dritter“ im Rechtsstreit könnte die darlehensgebende Bank sein, die den Step-down-Zinsertrag passiv abzugrenzen hat. Hinweise darauf werden in der BFH-Entscheidung nicht gegeben. Hier zeigt sich die vom BFH in seinem Urteil von 22. 6. 2011 apostrophierte „RAP-Spiegelbildmethode“. M. E. sollte dies aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es ein „Korrespondenzprinzip“ zwischen aktiven und passiven RAP nicht gibt. Im Zweifel ist unter steuerlichen Vorsichtsgesichtspunkten nach wie vor ein „imparitätisches Verständnis“ des Zeitmoments in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 EStG trotz Tatbestandsparallelität geboten. Man sieht: Ungeachtet neuerer Judikate bleibt die steuerliche Rechnungsabgrenzung ein Mysterium!

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