Zehn Jahre es ist her, dass der BFH Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des alten ErbStG äußerte (Beschluss vom 24. 10. 2001 – II R 61/99, BStBl. II 2001 S. 834). Zunächst hatte der BFH das BMF zum Beitritt aufgefordert. Nur sieben Monate später (Beschluss vom 22. 5. 2002 – II R 61/99, BStBl. II 2002 S. 598 = DB 2002 S. 1747) kam es zu einer Vorlage an das BVerfG. Das BVerfG hat daraufhin im Jahr 2006 das ErbStG als verfassungswidrig verworfen und den Gesetzgeber aufgefordert, bis spätestens Ende 2008 ein neues ErbStG zu verabschieden (Beschluss vom 7. 11. 2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007 S. 192 = DB 2007 S. 320). Dies wurde auch umgesetzt, so dass zum 1. 1. 2009 das neue geltende ErbStG in Kraft getreten ist.
Dieses gewährt weitreichende Begünstigungen für schenkweise oder im Rahmen einer Erbschaft übertragenes Betriebsvermögen in Form einer 85%-igen oder sogar vollständigen Steuerbefreiung. Dafür darf beim übertragenen Vermögen das so genannte Verwaltungsvermögen bestimmte Quoten nicht überschreiten. Darüber hinaus muss das Vermögen für eine bestimmte Mindestdauer (fünf bzw. sieben Jahre) fortgeführt werden; die Lohnsumme muss in dieser Zeit eine bestimmte Mindesthöhe erreichen.
Nun hat der BFH (Beschluss vom 5. 10. 2011 – II R 9/11, DB 2011 S. 2581) ziemlich genau zehn Jahre nach dem damaligen Beschluss das BMF erneut zum Verfahrensbeitritt aufgefordert. In Frage steht – wie auch in 2001 – die Verfassungsmäßigkeit des – neuen – ErbStG. Man könnte sich verwundert die Augen reiben: War die Verabschiedung des neuen ErbStG nicht gerade deswegen nötig gewesen, weil schon das alte ErbStG verfassungswidrig war? Genau, das war auch der Grund. Nur hat aber der Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz im Wesentlichen nur ein Problem beseitigt, nämlich die unterschiedliche Bewertung verschiedener Vermögensarten. Die Bewertung orientiert sich im neuen Recht inzwischen weitgehend am Verkehrswert. Problematisch erscheinen dem BFH aber die sehr weitreichenden Begünstigungen, welche grundsätzlich (nur) dem Betriebsvermögen zustehen sollten, das gewissen Gemeinwohlverpflichtungen unterliegt.
Der BFH führt Gestaltungen auf, mit denen man nach geltender Rechtslage erreichen kann, dass auch anderes Vermögen in den Genuss der Begünstigungen gelangt. Wenn sich z. B. ein Festgeldkonto im Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft oder einer gewerblich geprägten Personengesellschaft befindet, muss der Erwerber darauf ggf. gar keine Steuer zahlen. Befindet sich das Festgeldkonto dagegen im Privatvermögen (ähnlich wie im Sachverhalt, der dem BFH-Beschluss zu Grunde liegt), muss der Erwerber seinen Erwerb voll versteuern. Der BFH möchte nun überprüfen, ob das aktuelle ErbStG „deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil die §§ 13a und 13b ErbStG es ermöglichen, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die Steuerfreiheit des Erwerbs vom Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.“ Als besonderes problematisch erscheint dem BFH wohl die Tatsache, dass die Grenze zwischen dem nicht begünstigten Privatvermögen und dem begünstigten Betriebsvermögen mit einfachen Gestaltungen übersprungen werden kann.
Das BMF soll gegenüber dem BFH nun zu der Frage Stellung nehmen, inwieweit die vom BFH beschriebenen Gestaltungen in der Praxis tatsächlich genutzt werden. Nach dem Erhalt und der Auswertung der Stellungnahme des BMF wird der BFH den Fall wohl dem BVerfG vorlegen.
Was bedeutet diese Situation für den Steuerpflichtigen? Unabhängig von steuerpolitischen Überlegungen einzelner Parteien für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl erhöht der BFH-Beschluss nunmehr den politischen Druck, die Begünstigungen für Betriebsvermögen zielgenauer zu gestalten. Damit ist in überschaubarer Zeit sowohl mit einer volumenmäßigen Einschränkung der möglichen Begünstigungen als auch mit deren zielgenaueren Ausgestaltung zu rechnen. In den Fällen, in denen eine vorweggenommene Erbfolge ohnehin auf der Tagesordnung steht, sollte in Erwägung gezogen werden, die Vermögensübertragung ggf. vorzuziehen, um noch in den Genuss der noch geltenden Begünstigungen zu kommen. Denn das Leben (bzw. hier: der Fiskus) bestraft bekanntlich denjenigen, der zu spät kommt (hier: überträgt).