Der weltweite Siegeszug der internationalen Rechnungslegungsregeln (IAS/IFRS) hat zahlreiche nationale Gesetzgeber veranlasst, ihre nationalen Rechnungslegungsregeln zu modernisieren und fortzuentwickeln, die insbesondere für die jeweiligen Einzelabschlüsse von Bedeutung sind.In diesem Zusammenhang war stets die Frage von Bedeutung, ob mit der Fortentwicklung des Handelsbilanzrechts der Gleichlauf mit den steuerlichen Gewinnermittlungsregeln gewahrt werden kann. Es ist interessant, zu beobachten, wie die Antworten auf diese Frage in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgefallen sind.
Deutschland hat mit dem Bilanzmodernisierungsgesetz (BilMoG) einen Weg gewählt, bei dem die Fortentwicklung des Handelsbilanzrechts im Mittelpunkt der Überlegungen stand und Abweichungen zur steuerlichen Gewinnermittlung bewusst in Kauf genommen wurden. Beispielhaft seien hier genannt die Rückstellungsbewertung, das Ansatzwahlrecht für selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, der steuerliche Wahlrechtsvorbehalt und die handelsrechtliche Möglichkeit, unrealisierte währungsbedingte Gewinne aus kurzfristigen Fremdwährungspositionen als Folge der Verwendung des Devisenkassa-Mittelkurses zu zeigen. Im Ergebnis vermehren sich durch das BilMoG die Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz mit der Folge, dass ein Festhalten an der Einheitsbilanz deutlich erschwert wird.
In Österreich sind im Zusammenhang mit dem Rechnungslegungsänderungsgesetz 2010 (RÄG 2010) die Alternativen einer abgekoppelten Steuerbilanz oder einer verstärkten Maßgeblichkeit erörtert worden. Der österreichische Standardsetter AFRAC hat sich nicht zuletzt unter dem Aspekt der Praktikabilität für eine verstärkte Maßgeblichkeit ausgesprochen und auch der Gesetzgeber hat mit der Abschaffung zahlreicher unternehmensrechtlicher Wahlrechte im RÄG 2010 einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Bei Mayr findet sich in jüngster Zeit der programmatische Hinweis „Österreich peilt mittlerweile eine einheitliche Bilanz für Handelsrecht und Steuerrecht an.“ Die weitere Umsetzung dieses Programms steht jedoch noch aus.
Auch in der Schweiz ist die Diskussion um ein neues Rechnungslegungsrecht im Obligationenrecht (OR) mit Blick auf das Zusammenwirken von Handels- und Steuerbilanz geführt worden. Dabei hat sich schon frühzeitig die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Festhalten an der traditionellen Maßgeblichkeit und der Möglichkeit einer grundlegenden Modernisierung der Rechnungslegung besteht. In der Schweiz hat man sich dazu durchgerungen, dass Rechnungslegungsrecht nur soweit zu modernisieren, wie man sich dies steuerlich leisten kann. Der Erhalt der Einheitsbilanz und das Festhalten am „Dual Use“ der privatrechtlichen Rechnungslegung auch für die Bemessung der Gewinnsteuern von Bund und Kantonen war von zentraler Bedeutung. Auch die zwischenzeitlich diskutierte revolutionäre Idee einer standardunabhängigen Maßgeblichkeit (Art. 962, Abs. 1 OR-E) ist mit der Entscheidung des Ständerats vom 16. März 2011 endgültig beerdigt worden.
Es ist sehr interessant zu beobachten, dass Österreich und die Schweiz am Modell der Einheitsbilanz festhalten und die Entwicklung von Handels- und Steuerbilanz parallel vorantreiben, während sich in Deutschland mit dem BilMoG die Steuerbilanz von der Handelsbilanz emanzipiert hat. Hier ist nicht der Ort, den Gründen für diese unterschiedliche Entwicklung nachzugehen. Auffallend ist jedoch in diesem Zusammenhang, dass in Österreich und der Schweiz die handelsrechtlichen und steuerlichen Aspekte von Beginn an parallel diskutiert worden sind, während in Deutschland zunächst primär auf die Modernisierung des Handelsbilanzrechts abgestellt wurde.