Verbrauchsteuern in einem reformierten Steuersystem

Überschattet von der aufziehenden Eurokrise hat Paul Kirchhof im Frühsommer dieses Jahres sein Bundessteuergesetzbuch vorgelegt, das nach rund zehnjähriger Vorarbeit das überkomplizierte bestehende Steuerrecht auf nur noch vier Bundessteuern mit insgesamt 146 Paragraphen zusammenfasst. Sicherlich eine gewaltige Vereinfachungsleistung, die in der steuerpolitischen Diskussion angesichts der gegenwärtigen drängenden Probleme leider viel zu wenig gewürdigt wird. Neben der Reform der Einkommensbesteuerung liegt ein Schwerpunkt in der Vereinfachung der Umsatzbesteuerung, für deren Abwicklung Unternehmen bis zu 60 % ihres Verwaltungsaufwands einsetzen.

Das Umsatzsteuerrecht mit gegenwärtig über 70 Paragraphen wird auf 30 Vorschriften reduziert. Kirchhof rückt wieder den Grundgedanken in den Vordergrund, nämlich den Staat an der eingesetzten Kaufkraft des Konsumenten teilhaben zu lassen und sieht in der reinen Konsumbesteuerung mit möglichst wenigen Ausnahmen, mit nur einem Steuersatz und minimalen Erhebungskosten das Ziel, das anzustreben sei. Dieses Ziel möchte der Entwurf u.a. mit folgenden Elementen erreichen:

–       Nichtbesteuerung der Leistungen an Unternehmer, also Aufgabe des Vorsteuerabzugs,

–       Nichtbesteuerung der Leistungen an die öffentliche Hand,

–       Istbesteuerung statt Sollbesteuerung,

–       Entfall der vielen Sonderregelungen, insbesondere zum Ort der Leistung, Beschränkung auf einen Steuersatz,

–       keine Integration der besonderen Verbrauchsteuern in die Umsatzbesteuerung.

Die umsatzsteuerlichen Belastungen des Unternehmers, die durch das System des Vorsteuerabzugs wieder  zurückgenommen werden, verursachen einen gigantischen Aufwand ohne fiskalischen Ertrag („Nullsummenspiel“). Der Entwurf vermeidet dies, indem er im Regelfall unbarer Zahlung die Umsatzsteuer erst bei Leistung an den Verbraucher entstehen lässt. Die öffentliche Hand gilt nicht als Verbraucher, es sei denn, sie tritt am Markt als Unternehmer auf. Dies ist konsequent, denn es macht wenig Sinn, dass die öffentliche Hand Steuern, die sie als Gläubiger einfordert, vorher bezahlt. Nur im marktwirtschaftlichen Wettbewerb rechtfertigt sich ihre Steuerpflicht.

Die Reduzierung des Steuertatbestands auf die Leistung an den Verbraucher bedingt eine klare und eindeutige Abgrenzung des Verbrauchers vom Unternehmer. Der Entwurf löst dieses Problem dadurch, dass er die Zweifelsfälle steuerpflichtig macht (§ 105: „Die Leistung eines Unternehmers an einen anderen Unternehmer im Inland unterliegt nur dann der Umsatzsteuer, wenn sie nicht ersichtlich ausschließlich dem unternehmerischen Handeln des Leistungsempfängers dient.“). Es liegt am Unternehmer selbst, den Zweifelsfall auszuschließen, indem die Leistungspartner ihre Umsatzsteueridentifikationsnummern verwenden und die Zahlung über Bankkonten abwickeln. Trotzdem werden noch viele Zweifelsfragen geklärt und Hinterziehungsmöglichkeiten eingedämmt werden müssen. Tritt dennoch Steuerpflicht ein, so kann der unternehmerische Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend machen.

Der Entwurf verzichtet nicht auf die besonderen Verbrauchsteuern, die zur Umsatzsteuer hinzutreten. Für bestimmte Güter verbleibt es mithin bei der verbrauchsteuerpflichtigen Doppelbelastung. Diese Doppelbelastung rechtfertigt Kirchhof mit den unterschiedlichen Belastungsgründen. Während die Umsatzsteuer den Staat ganz allgemein und zur Zeit willkürlich differenzierend nach zwei unterschiedlichen Steuersätzen an der Kaufkraft  des Konsumenten (im Kirchhofschen Entwurf nach einem einheitlichen Steuersatz in Höhe von 19 Prozent) teilhaben lässt, erfüllen besondere Verbrauchsteuern noch zusätzlich Lenkungszwecke, indem sie z.B. zum sparsamen Energieverbrauch anhalten (Energiesteuer) oder suchtanfälligen Genuss drosseln wollen (Alkoholsteuer). Einer zusätzlichen Finanztransaktionssteuer steht Kirchhof grundsätzlich positiv gegenüber, soweit sie die „Gegenseitigkeit von Hilfen in der Finanzkrise“ sichere. „Wenn der Staat mit einem ‚Rettungsschirm‘ große Finanzinstitute und den Finanzmarkt stabilisiert, sollten die stabilisierten privatwirtschaftlichen Unternehmen den Staat als einen der Hauptschuldner des Finanzsystems stabilisieren.“ Ob allerdings nationale Finanzmarktsteuergesetze unter den Bedingungen globaler Finanzmarktbewegungen funktionieren können, wird nicht beantwortet.

Dass das geltende Verbrauchsteuerrecht und insbesondere die Umsatzsteuer reformbedürftig sind, wird wohl niemand bezweifeln. Der Entwurf enthält bedenkenswerte Vereinfachungsvorschläge, die in eine vertiefte Reformdiskussion auf nationaler und europäischer Ebene einmünden müssten. Bisher führte jede Änderung zu einer Verkomplizierung des Rechts. Es ist an der Zeit, dass der Zug endlich in die entgegengesetzte Richtung fährt.

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