Teilwertansatz von Aktien bei gesunkenen Börsenkursen zum Bilanzstichtag

StB Dr. Thomas Töben, Partner bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

Seit Jahren streiten Finanzverwaltung und Steuerpflichtige heftig darüber, ob und wann unter die Anschaffungskosten gesunkene Börsenkurse von Aktien eine Teilwertabschreibung rechtfertigen. Es geht um die Frage, wann bei börsennotierten Aktien von einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG auszugehen ist. 

Der BFH hat in zwei Urteilen vom 21. 9. 2011 (I R 89/10, DB0463938  und I R 7/11, DB0463937) über die Zulässigkeit von Teilwertabschreibungen bei börsennotierten Aktien entschieden. Er bestätigte und präzisierte damit seine bisherige Rechtsprechung. Von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung sei bei an der Börse gehandelten Aktien „typisierend“ bereits dann auszugehen, wenn der Kurs am Bilanzstichtag unter den Kurs im Zeitpunkt des Aktienerwerbs gesunken ist und die Kursdifferenz eine Bagatellgrenze von 5% überschreitet. Die beiden Urteile sind von großer Bedeutung für alle Unternehmen, bei denen Teilwertabschreibungen auf Anteile steuerwirksam sind, weil entweder § 8b Abs. 3 KStG noch nicht galt oder nicht gilt (Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen, Finanzunternehmen, Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen; § 8b Abs. 7, 8 KStG).  

Dieser erfreulichen Präzisierung ging ein langer „Leidensweg“ voraus. Nach früherer Auffassung des BMF (Schreiben v. 25. 2. 2000, Tz 11) stellten Kursschwankungen von börsennotierten Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens stets eine nur vorübergehende Wertminderung dar und berechtigten deshalb nicht zu einer Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert. Zugegeben: wirtschaftlich wird es in der Regel wünschenswert sein, wenn sich Wertminderungen im Vermögen als nur vorübergehend erweisen. Das vermag aber nicht zu erklären, worauf die Finanzverwaltung ihre geradezu „hellseherische Weisheit“ über die Zukunft von Aktienkursen stützte. Wäre das BMF zu solchen Aussagen tatsächlich fähig, dürfte es um die Staatsfinanzen besser bestellt sein und die dafür zuständigen Beamten würden sich vermutlich andere Betätigungsfelder suchen.  

Der BFH trat dieser BMF-Auffassung bereits im sog. Infineon-Urteil vom 26. 9. 2007 (I R 58/06, DB0274432) entgegen: Von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung sei bei börsennotierten Aktienauszugehen, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter die Anschaffungskosten gesunken ist und zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung keine konkreten Anhaltspunkte für eine alsbaldige Wertaufholung vorliegen. Der BFH ließ sich dabei nicht von Zukunftsvisionen leiten, sondern von der Weisheit eines informationseffizienten Kapitalmarktes: In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Marktes sei davon auszugehen, dass der aktuelle Börsenwert eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige Kursentwicklung zu prognostizieren, als dies die historischen Anschaffungskosten könnten.  

Jedoch war der Urteilssachverhalt auch von einigen Besonderheiten geprägt, weshalb insbesondere zwei wichtige Aspekte damals unbeantwortet bleiben konnten: Sind Kursänderungen nach dem Bilanzstichtag wertaufhellende oder wertbeeinflussende Tatsachen? Muss bereits jedwedes Absinken des Kurswertes unter die Anschaffungskosten in der Bilanz nachvollzogen werden oder sind Wertveränderungen – aus Gründen der Verwaltungsökonomie – nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie eine gewisse „Bandbreite“ verlassen?  

Der zweite Punkt war im Infineon-Urteil nicht zu entscheiden, weil der BFH eine solche, nur möglicherweise maßgebliche Bandbreite offensichtlich als weit überschritten ansah.  

Gleichwohl nahm das BMF den Hinweis im Urteil auf den Sachverhalt (nicht die Urteilsgründe), nämlich die um 40% – 50% gesunkenen Börsenkurse, zum Anlass, an seiner bisherigen rigorosen Einschränkung bzgl. der Zulässigkeit von Teilwertabschreibungen im Ergebnis weitgehend festzuhalten. Zwar sollten – so das ergänzende BMF-Schreiben vom 26. 3. 2009 – vermeintlich generös, die Grundsätze des Urteils „prinzipiell“ über den entschiedenen Infineon-Fall hinaus anzuwenden sein. Jedoch – so das BMF weiter – sei von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung nur dann auszugehen sein, wenn der Börsenkurs von börsennotierten Aktien zum jeweiligen Bilanzstichtag um mehr als 40 % oder an zwei aufeinander folgenden Bilanzstichtagen um jeweils mehr als 25 % unter die Anschaffungskosten gesunken ist. Praktisch entsprach dieses BMF-Schreiben damit einem Nichtanwendungserlass.  

Dieser befremdlichen Interpretation des Infineon-Urteils hat nun der BFH mit seinen beiden Urteilen vom 21.9.2011 eine klare Absage erteilt.

  1. Maßgebend für die Bewertung ist grundsätzlich der unter den Kurs im Zeitpunkt des Aktienerwerbs gesunkene Börsenkurs am Bilanzstichtag. 
  2. Kursänderungen nach dem Bilanzstichtag sind wertbegründend, nicht werterhellend. Auf die Kursentwicklung nach dem Bilanzstichtag kommt es grundsätzlich nicht an. Über dem Bilanzstichtagskurs liegende Börsenkurse im Bilanzaufstellungszeitraum begrenzen die Teilwertabschreibung nicht. 
  3. Nur mit Rücksicht auf die gebotene Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erscheine es sachgerecht, „Kursverluste innerhalb einer Bandbreite minimaler und in ihre Höhe zu vernachlässigender Wertschwankungen außer Ansatz zu lassen“. Diese „Wesentlichkeitsschwelle“ begrenzt der BFH auf 5% der Notierung im Erwerbszeitpunk (Bagatellgrenze). 
  4. Der BFH geht davon aus, dass eine einzelfallbezogene Prüfung der voraussichtlichen Dauer von Kursdifferenzen sowohl die Finanzbehörden als auch die Steuerpflichtigen überfordern würde (offenbar aber nicht die für die Handelsbilanzsaufstellung zuständigen Personen). Im Interesse eines möglichst einfachen und gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs sei von dem grundsätzlich maßgeblichen Börsenkurs zum Bilanzstichtag nur ausnahmsweise abzurücken, z.B. wenn in Fällen eines sog. Insiderhandels oder aufgrund äußerst geringer Handelsumsätze konkrete und objektiv nachprüfbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Börsenkurs nicht den tatsächlichen Anteilswert widerspiegelt. 

Gleichermaßen hat der BFH in der Sache I R 7/11 für die Teilwertabschreibung auf Investmentanteile entschieden, wenn das Vermögen des Investmentfonds überwiegend aus Aktien besteht, die an Börsen gehandelt werden (sog. Aktienfonds). 

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