Schon die Carolina von 1532 unterschied zwischen schwerwiegenden (causae maiores)und minderschweren Fällen (causae minores) für eine Tat, und richtete danach die Höhe der Strafe aus. Dabei orientiert sich das deutsche Recht bei der Bewertung der Tat immer nach dem Gesetz (nulla poena sine lege). Dass der Volksmund Steuerhinterziehung oftmals als „Kavaliersdelikt“ klassifiziert, ist strafrechtlich irrelevant. Wesentlich ist vielmehr, unter welchen Umständen eine Gefängnisstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Gerade bei Wirtschaftsdelikten ist dies entscheidend; denn sitzt der Unternehmer im Gefängnis, ist oftmals auch der Fortbestand des Betriebs und der Arbeitsplätze in Gefahr. Es geht also bei der Strafzumessung nicht um Fragen der Ehre, sondern u. a. um Umstände und Schaden der Tat.
Dass der BGH von den Instanzgerichten mit Nachdruck eine schärfere Gangart im Steuerstrafrecht einfordert, hat er bereits in seinem Grundsatzurteil vom 2. 12. 2008 – 1 StR 416/08 (DB0322447) zur Strafhöhe bei Steuerdelikten deutlich gemacht. Tenor: Bei sechsstelligen Beträgen liege eine Hinterziehung „in großem Ausmaß“ vor, eine Geldstrafe sei regelmäßig nicht mehr schuldangemessen. Bei Steuerschäden von 1 Mio. € oder mehr sei eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu verhängen, soweit nicht ausnahmsweise besonders gewichtige Milderungsgründe vorliegen. Nun hat Karlsruhe mit zwei Entscheidungen vom 7. 2. 2012 (1 StR 525/11) und 15. 12. 2011 (1 StR 579/11) nochmals seine Haltung bekräftigt.
Das Urteil vom 7. 2. 2012, zu dem bisher nur eine Pressemitteilung vorliegt, stellt klar, dass es für die Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe auf den Gesamtschaden ankommt. Der Angeklagte hatte zunächst 890.000 € ESt sowie später (mittels Steuergestaltung und unter Fertigung falscher Unterlagen) 240.000 € LSt hinterzogen. Das zuständige Gericht verurteilte ihn zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Der BGH hob das Urteil wegen fehlerhafter Strafzumessung auf und betonte dabei erneut, dass bei einem Steuerschaden von über 1 Mio. € eine Bewährungsstrafe nur ausnahmsweise möglich sei. Die damit wohl bezweckte Ohrfeige für das Instanzgericht lässt sich erahnen. Wer also beispielsweise viermal je 300.000 € ESt hinterzieht, dem droht Gefängnis. Der BGH mahnt damit die Instanzgerichte nochmals dazu, seine Strafzumessungsgrundsätze einzuhalten.
Spannend ist in diesem Kontext der fast zeitgleich veröffentlichte Beschluss vom 15. 12. 2011. Der BGH konkretisiert darin die Schwellenwerte für eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“, bei der i. d. R. keine Geldstrafe mehr verhängt werden kann: Bei einer bloßen Gefährdung des Steueranspruchs liege die Wertgrenze bei 100.000 €, z. B. weil der Täter in der Steuererklärung Einkünfte verschweigt. Unternimmt er hingegen einen „Griff in die Kasse“ des Fiskus, gelte eine Wertgrenze von nur 50.000 €, z. B. wenn nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend gemacht werden. Dass Fälle dieser Art empfindlicher zu bestrafen sind als die bloße Gefährdung des Steueranspruchs, leuchtet ein.
Doch ein „Griff in die Kasse“ soll auch im Fall vorgetäuschter Betriebsausgaben vorliegen, weil dies „zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuerforderung führen soll“. Das überzeugt nicht: Wer ESt von 70.000 € hinterzieht, indem er Betriebseinnahmen verschweigt, kann demnach noch mit einer Geldstrafe rechnen. Wer mit fingierten Betriebsausgaben denselben Steuerschaden verursacht, hat hingegen eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe zu befürchten. Diese Unterschiede bei der Sanktionierung sind angesichts des Gesetzeswortlauts nicht gerechtfertigt. Das Bild eines „Griffs in die Kasse“ passt auf keinen der beiden Fälle. Zudem wäre die Ermittlung, ob der Steuerschaden auf verschwiegenen Betriebseinnahmen, fingierten Betriebsausgaben oder einer Mischung aus beidem beruht, in der Praxis schwierig bis unmöglich.
Ärgerlich ist, dass es im vorliegenden Fall wohl gar nicht um fingierte Betriebsausgaben ging. Der BGH postuliert hier also Grundsätze, auf die es in dem konkreten Fall nicht ankommt, und die weit über diesen hinausweisen. Die daraus resultierenden Praxisprobleme werden erst viel später erkennbar.
Fazit: Das Engagement des BGH für härtere Strafen im Steuerstrafrecht muss man nicht teilen, ist aber nachvollziehbar. Trotzdem sollte nicht der Eindruck entstehen, die Instanzgerichte würden mit Steuersündern zu lax umgehen. Eine Bewährungsstrafe kann im Einzelfall der Tat schuldangemessen sein, da sie dem Täter u. a. die Begleichung der Steuerschuld ermöglicht. Die Strafzumessung sollte daher immer eine Gratwanderung des Einzelfalls durch die Instanzgerichte bleiben. Problematisch bleibt, dass der BGH die Strafverschärfung nicht nur anmahnt, sondern überdies „ohne Not“ eine Marschrichtung vorgibt, die im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Strafrechts zumindest bedenklich anmutet.