Die Finanzbehörden können sich bei rechtswidrigem Vollzug der Steuergesetze schadensersatzpflichtig machen. Anspruchsgrundlage dafür sind der Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG) und – bei Verstößen gegen EU-Recht – der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch. Der Stpfl. muss Rechtsschutz gegen fehlerhaftes Handeln der Finanzbehörden regelmäßig zunächst vor den Finanzgerichten suchen (Vorrang des Primärrechtsschutzes). Bestätigen diese der Finanzbehörde rechtmäßiges Handeln, entfällt zugleich die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch. Nach einem erfolgreichen Finanzgerichtsprozess dagegen muss die Finanzbehörde ihr rechtswidriges Handeln korrigieren, also etwa den angefochtenen Steuerbescheid ändern. Daraufhin fällige Steuererstattungen muss sie grds. mit immerhin 6% jährlich verzinsen. Außerdem hat der obsiegende Stpfl. einen Kostenerstattungsanspruch gegen das FA, allerdings beschränkt auf die gesetzlichen Gebühren. Für darüberhinausgehende Schäden steht ihm ggf. ein Schadensersatzanspruch zu. Ein mögliches Hindernis für die Geltendmachung von Schadensersatz dürfte darin liegen, dass der Stpfl. das Dauerverhältnis zu seinem FA nicht (zusätzlich) belasten will. Auch der steuerliche Berater mag wenig Neigung verspüren, etwa im Anschluss an einen erfolgreichen Finanzgerichtsprozess zu einem Schadensersatzprozess vor den Zivilgerichten zu raten und diesen durchzuführen oder zu begleiten.
Amtshaftungsanspruch bei schuldhafter Pflichtverletzung
Der Amtshaftungsanspruch verlangt die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht durch einen Amtswalter in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes. Eine solche Verletzung liegt bei einem fehlerhaften Vollzug der Steuergesetze durch die FÄ grds. vor. Denn die Finanzbeamten sind von Amts wegen verpflichtet, auch im Interesse der Stpfl. die Steuergesetze rechtmäßig anzuwenden (Drittbezug der Amtspflicht).
Die Pflichtverletzung muss schuldhaft – also zumindest fahrlässig – begangen worden sein. Dafür gilt ein objektivierter Maßstab; es ist auf das Verhalten eines sorgfältigen, pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten abzustellen. Die häufig entscheidende Frage nach dem Verschulden ist angesichts der Komplexität des Massenfallrechts Steuerrecht nicht ganz einfach zu beantworten. So ist bei Rechtsanwendungsfehlern vom Landgericht zu überprüfen, ob die Rechtsauffassung des FA unter Heranziehung höchstrichterlicher Rspr. vertretbar war.
Schließlich muss die Pflichtverletzung beim Stpfl. einen Schaden verursacht haben, z. B. durch Vollstreckungsmaßnahmen, notwendige Aufwendungen (Beratungskosten, Finanzierungskosten) oder entgangenen Gewinn. Die Amtshaftung ist aber ausgeschlossen, wenn der Stpfl. es zumindest fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (Vorrang des Primärrechtsschutzes). Außerdem kann ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren ein Mitverschulden begründen, das den Schadensersatzanspruch einschränkt (§ 254 BGB).
Staatshaftungsanspruch bei hinreichend qualifiziertem Verstoß gegen EU-Recht
Der EuGH hat im Wege der Rechtsfortbildung einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geschaffen. Im Steuerrecht erlangt dieser v. a. in harmonisierten Bereichen wie dem USt-Recht Bedeutung. Dieser eigenständige Anspruch greift bei einer Verletzung von EU-Recht durch einen Mitgliedstaat bzw. seine Behörden, wenn die verletzte Vorschrift bezweckt, dem Geschädigten subjektive Rechte zu verleihen und der Verstoß gegen EU-Recht „hinreichend qualifiziert“ ist. Im Gegensatz zum nationalen Amtshaftungsanspruch setzt der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch zwar kein Verschulden voraus. Die Vorwerfbarkeit des Verstoßes wird aber bei der Frage berücksichtigt, ob der Verstoß „hinreichend qualifiziert“ ist. Das setzt voraus, dass der Mitgliedstaat die unionsrechtlichen Grenzen seiner Befugnisse „offenkundig und erheblich“ überschritten hat. Dieses Merkmal dürfte bei der Beurteilung durch die Zivilgerichte regelmäßig gewisse Schwierigkeiten bereiten.
Die Frage eines hinreichend qualifizierten Verstoßes stand auch im Mittelpunkt einer Entscheidung des BGH zur Amtshaftung wegen Nichtanerkennung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft. Der BGH hielt einen haftungsbegründenden Verstoß anders als das OLG aufgrund der einschlägigen Rspr. des EuGH für möglich, wies den Fall aber mangels hinreichender Feststellungen an das OLG zurück (BGH-Urteil vom 12. 5. 2011 – III ZR 59/10, DB 2011 S. 1503). Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Beurteilung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen EU-Recht unter Berücksichtigung der Rspr. des EuGH ist die Ablehnung der Amtshaftung wegen der USt-Pflicht privater Spielhallen (BGH-Beschluss vom 26. 4. 2012 – III ZR 215/11, DB0474676).
(Zitiervorschlag: Specker, Steuerboard DB0481947)