Die steigende Bedeutung der elektronischen Kommunikation in der Lebenswirklichkeit beschäftigt derzeit im Steuerrecht Judikative, Exekutive und Legislative. Die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs gegen Steuerbescheide per E-Mail hat dabei nicht nur eine hohe praktische Bedeutung für viele Stpfl. Daneben besteht v. a. die Frage, ob die bisher standardmäßig in Bescheiden von der Finanzverwaltung verwendeten Rechtsbehelfsbelehrungen, die nicht auf die Möglichkeit der Einlegung des Einspruch per E-Mail hinweisen, u. U. unvollständig bzw. unrichtig i. S. des § 356 AO sind, sodass statt der Monats- eine Jahresfrist für die Einlegung des Einspruchs gelten würde.Von Bedeutung waren in diesem Zusammenhang zuletzt v. a. der Referentenentwurf vom 5. 3. 2012 für das E-Government-Gesetz (EGovG, vgl. DB0469473) und ein wegweisendes Urteil des Niedersächsischen FG (Urteil vom 24. 11. 2011 – 10 K 275/11, DB0465261; vgl. hierzu Kreft, StRkom DB0465270); zum Hintergrund vgl. Renger (Steuerboard vom 22. 3. 2012).
Nun ein Schritt vorwärts…
Die Ressortabstimmung des EGovG dauert länger als geplant und wird nunmehr erst im laufenden III. Quartal 2012 in die Kabinettsbefassung münden. In der Abstimmung ist aktuell ein überarbeiteter Referentenentwurf („Bearbeitungsstand 26. 6. 2012“), der begrüßenswert nunmehr ausdrücklich klarstellt, dass ein Einspruch per einfacher E-Mail, d. h. ohne sog. qualifizierte elektronische Signatur, möglich sei und zur geplanten (klarstellenden) Ergänzung des Gesetzeswortlauts feststellt: „Eine Rechtsänderung ist hiermit nicht verbunden.“. Der Entwurf geht also davon aus, dass der Einspruch per einfacher E-Mail bereits bisher zulässig war. Im Entwurf wird zudem auf die bestehende Erlasslage der Finanzverwaltung, die Einsprüche per einfacher E-Mail akzeptiert, verwiesen und festgestellt, die bisherige Erlasslage hätte sich „bewährt“.
…und einer zurück
Wer nun denkt, damit seien alle Zweifel an der Möglichkeit des Einspruchs per E-Mail ausgeräumt und mit dem Niedersächsischen FG und der überwiegenden Literatur der Auffassung ist, die bisherige standardmäßige Rechtsbehelfsbelehrung sei unrichtig und führe mithin zur Anwendbarkeit der Jahresfrist für die Einlegung eines Einspruchs, dem verpasst der 11. Senat des FG Münster einen Dämpfer. In einem Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 6. 7. 2012 (11 V 1706/12 E) stellt das Gericht fest, dass die bisher gängige Rechtsbehelfsbelehrung diesbezüglich nicht unrichtig sei und deshalb im Streitfall der nach Ablauf der Monatsfrist eingelegte Einspruch des Stpfl. keinen Erfolg haben könne.
Die Begründung des Gerichts verwundert. Zunächst wird darauf verwiesen, dass ein etwaiger Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail in der Rechtsbehelfsbelehrung schon deshalb problematisch wäre, da die Frage, ob mit einfacher E-Mail überhaupt rechtlich zulässig Einspruch eingelegt werden kann, noch gar nicht (höchstrichterlich) geklärt sei. Weiterhin würden neben der einfachen E-Mail noch weitere Möglichkeiten zur „elektronischen“ Einlegung des Einspruchs bestehen. Würde man aber die Rechtsbehelfsbelehrung um den Hinweis auf die E-Mail erweitern, müsse man gleichzeitig so viele weitere Hinweise und Regelungen mit aufnehmen (z. B. etwaige Verschlüsselung der E-Mail, Dateiformate für Anhänge), dass die Belehrung derartig kompliziert würde, dass sie den Bescheidempfänger nur verwirren würde. Deshalb sei es nach Abwägung nicht zu beanstanden, wenn gleich jeglicher Hinweis unterbliebe.
Dem ist jedoch u. a. zu entgegnen, dass, ebenso wie nicht jede denkbare Möglichkeit der Fristberechnung in einer Rechtsbehelfsbelehrung enthalten sein muss (vgl. BFH-Urteil vom 7. 3. 2006 – X R 18/05, DB0139675), auch nicht jedes denkbare „exotische“ Dateiformat geregelt sein muss. Der einfache und für den Bescheidempfänger wichtige und verständliche Hinweis, wie ihn das Niedersächsische FG vorschlägt, der Einspruch sei „schriftlich oder per E-Mail einzureichen“ passt hier besser in die Lebenswirklichkeit der Jahre 2011/12.
Schlussfolgerungen für die Praxis
Die Frage nach der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ist für die (Beratungs-)Praxis insofern von hoher Bedeutung, da die Monatsfrist für (i. Ü. begründete) Einsprüche – aufgrund verschiedenster Ursachen – nicht immer eingehalten wird. Stehen dann nicht sonstige Mittel (z. B. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 110 AO) zur Verfügung, sind inhaltliche Argumente gegen einen unrichtigen Steuerbescheid abgeschnitten.
Ein Datum für die Revisionsentscheidung des BFH zum o. g. Urteil des Niedersächsischen FG (Az. des BFH: X R 2/12) ist nach Auskunft des Gerichts noch nicht absehbar. Bis dahin sollten entsprechende Fälle offen gehalten und z. B. ein Ruhen des Verfahrens unter Verweis auf das anhängige BFH-Verfahren beantragt werden. Im Einzelfall ist es sogar möglich, auch nach Ablauf der Jahresfrist noch von der o. g. Entwicklung zu profitieren und das Einspruchsverfahren zu eröffnen, z. B. dann, wenn der Stpfl. binnen Jahresfrist noch nicht endgültig beschiedene (Änderungs-)Anträge gestellt hat, die einer Umdeutung in einen Einspruch zugänglich sind. In der Praxis ist auch für solche Fälle von verschiedenen FÄ zumindest ein Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH gewährt worden.
(Zitiervorschlag: Reckwardt, Steuerboard DB0490888)