Die Finanztransaktionssteuer rückt näher

 

Nachdem sich zehn Mitgliedsländer der EU auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer geeinigt haben, hat die Europäische Kommission im Rahmen der sog. Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 326 ff des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Zehn Mitgliedsländer, darunter Deutschland und Frankreich, werden sich an diesem Verfahren beteiligen, dem das Europäische Parlament und der Rat noch zustimmen müssen. Danach wird die Europäische Kommission wohl einen entsprechenden Richtlinienvorschlag erlassen, dem dann nur noch die Vertreter der an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Das Institut der Verstärkten Zusammenarbeit reduziert also das für das Steuerrecht geltende Einstimmigkeitsprinzip auf die beteiligten Staaten; deshalb scheint der Weg für die Einführung der Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene nun geebnet zu sein.

Die EU-Kommission hat bereits am 28. September 2001 einen Richtlinienentwurf zur Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer vorgelegt, der allerdings wegen der erforderlichen Einstimmigkeit aller Mitgliedsländer chancenlos war. Der jetzige neuerliche Versuch nutzt das im Lissabonner Vertrag 2009 eingeführte neue Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit. An der heftigen Zerstrittenheit der EU-Länder zu diesem Thema ändert das natürlich nichts. Sie war vielmehr Anlass, um eine Ermächtigung für ein Verstärkte Zusammenarbeit nachzusuchen, die der Rat als „letztes Mittel“ einräumen kann, „wenn dieser feststellt, dass die mit dieser Zusammenarbeit angestrebten Ziele von der Union in ihrer Gesamtheit nicht innerhalb eines vertretbaren Zeitraums verwirklicht werden kann“ (Art. 20 Abs. 2 Vertrag über die Europäische Union).

Die Finanztransaktionssteuer ist aber nicht nur in der EU, sondern auch in  Deutschland rechtspolitisch sowie verfassungs- und europarechtlich umstritten. 2011 war sie bereits zweimal Gegenstand des HB-Steuerblogs, und allein 2012 gibt es eine kaum übersehbare Flut von Veröffentlichungen in den steuerrechtlichen und finanzwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Politisch wird die Finanztransaktionssteuer zumeist damit begründet, dass sich durch eine Abgabe auf Bank- und Börsengeschäfte auch der Finanzsektor an der Bewältigung der Finanzkrise beteiligen würde. Sie sei, so die Bundesregierung, „ein wichtiges Element der Wachstums- und Konsolidierungsstrategie in Europa“. Teilweise wird auch von einer „Steuer gegen die Armut“ gesprochen, würde man denn die Erträge weltweit zur Armutsbekämpfung einsetzen.

Die Botschaft der Fachleute ist aber ziemlich klar: Sie raten von der Einführung der Finanztransaktionssteuer ab. Ökonomisch gibt es Bedenken, dass die damit verbundenen steigenden Transaktionskosten die Marktliquidität reduzierten, so dass es zu verstärkten Preisschwankungen kommen könne, die ja gerade durch die Einführung der Steuer bekämpft werden sollten (Fuest, HB-blog vom 28. 1. 2011). Auch die mögliche Verlagerung der Transaktionen und die damit verbundene Schwächung der wenigen steuererhebenden Staaten werden immer wieder angeführt.

Verfassungsrechtlich ist fraglich, wie sich die Steuer in den Katalog der Steuerarten des Art. 106 GG einreiht. Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG nennt zwar die „Kapitalverkehrsteuer“, ob aber darunter auch der Handel mit Derivaten, Termingeschäften und ähnlichen Finanzprodukten fällt, ist zumindest offen. Materiell-verfassungsrechtlich stellt sich vor allem die Frage, ob die Belastung privater Anleger, die schnell kumulieren kann und die sich von der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes („finanzielle Beteiligung des Finanzsektors an der Krisenbewältigung“) entfernt, mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar ist.

Europarechtlich wird gegen die Finanztransaktionssteuer u.a. vorgebracht, dass die EU in Art. 135 Abs. 1 MwSt-Richtlinie Finanztransaktionen weitgehend von der USt ausgenommen hat. Durch die ausdrückliche Anordnung der Nichtbesteuerung habe die EU ihre Kompetenz zur Harmonisierung der indirekten Steuern (Art. 113 AEUV) auf dem Gebiet der Finanztransaktionssteuer für alle Mitgliedsländer bindend ausgeübt. Für eine Fragmentierung des Marktes, die überdies dem Gebot einheitlicher Wettbewerbsverhältnisse im Binnenmarkt entgegensteht, gebe es keinen Raum mehr (dazu näher: Sester, WM 2012, S. 529 ff).

Trotz aller Warnungen von Ökonomen, Verfassungsjuristen und Europarechtlern wird sich der politische Wille, die Steuer einzuführen, wohl durchsetzen. Aber das letzte Wort sprechen in Europa nicht die Finanzministerien, auch nicht die Parlamente, sondern bekanntlich die Gerichte. Ob die Finanztransaktionssteuer die nach Inkrafttreten wohl bald folgenden Verfahren vor dem EuGH und dem BVerfG überstehen wird, wird sich noch zeigen müssen. Von der Hand zu weisen, sind die vielfach geäußerten Bedenken jedenfalls nicht.

(Zitiervorschlag: Birk, Steuerboard DB0538077)

 

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