Schenkungsteuerpflicht bei zinslosen Darlehen

RA/StB/FAStR Dr. Jens Escher LL.M., Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

Die Gewährung zinsloser Darlehen ist gerade unter verwandten oder befreundeten Personen eine weit verbreitete Praxis. Nur selten werden sich die Beteiligten hierbei Gedanken über mögliche schenkungsteuerliche Implikationen der Darlehensvergabe machen. Zu Unrecht, wie eine im März getroffene Entscheidung des FG Münster (Urteil vom 29. 3. 2012 – 3 K 3819/10 Erb, EFG 2012 S. 772) einmal mehr belegt. Die Entscheidung macht aber zugleich deutlich, dass die bislang angewandten Besteuerungsregeln gerade in der heutigen Niedrigzinsphase zu unangemessenen Ergebnissen führen.

Vorliegen einer freigebigen Zuwendung

Im vom FG Münster (a.a.O.) entschiedenen Fall hatte der Darlehensgeber seiner Lebensgefährtin ein unbefristetes und unverzinsliches Darlehen gewährt, das nach etwa sechs Jahren zurückgezahlt wurde. Das FG Münster sah hierin eine freigebige Zuwendung i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, also eine grds. steuerpflichtige Schenkung. Dies entspricht der ständigen Rspr. des BFH, wonach sowohl ein zinsloses, als auch ein niedrig verzinsliches Darlehen eine freigebige Zuwendung darstelle und folglich der SchenkSt unterliege. Begründet wird dies mit dem vom Darlehensgeber unentgeltlich gewährten Recht, das als Darlehen überlassene Kapital zu nutzen, welches der Darlehensgeber ansonsten selbst ertragbringend einsetzen könne (vgl. BFH-Beschluss vom 20. 9. 2010 – II B 7/10, BFH/NV 2010 S. 2280; Urteil vom 29. 6. 2005 – II R 52/03, BStBl. II 2005 S. 800 = DB 2005 S. 2280; vom 17. 4. 1991 – II R 119/88, BStBl. II 1991 S. 585 = DB 1991 S. 1709.

Bewertung des Nutzungsvorteils mit 5,5% p. a.

Die sich im Anschluss stellende Frage, wie der bei der Darlehensnehmerin entstehende Nutzungsvorteil zu bewerten sei, beantwortete das FG Münster in der zitierten Entscheidung auf Grundlage der §§ 12 ff. BewG unter Berücksichtigung der effektiven Darlehenslaufzeit von sechs Jahren. Das Gericht stellte hierbei auf § 12 Abs. 3 Satz 1 BewG ab, wonach der Wert unverzinslicher Forderungen oder Schulden, deren Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, dem Betrag entspricht, der vom Nennwert nach Abzug von Zwischenzinsen unter Berücksichtigung von Zinseszinsen verbleibt. Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG ist dabei von einem Zinssatz von 5,5% auszugehen.

Den Kapitalwert des Nutzungsvorteils ermittelte das FG Münster dementsprechend auf der Basis eines Zinssatzes von 5,5%. Ausdrücklich hielt das Gericht in der Urteilsbegründung fest, dass ein entsprechender Zinssatz in den maßgeblichen Streitjahren „jedenfalls bei seriöser Geldanlage“ nicht erzielbar gewesen wäre. Nach Überzeugung des Gerichts („keine Zweifel“) hätte am Markt unter Berücksichtigung von Laufzeit und Darlehenssumme lediglich ein Zinssatz von 4,5% erzielt werden können. Gleichwohl sah sich das FG Münster gehindert, bei der Bemessung des Nutzungsvorteils der Beschenkten den am Markt erzielbaren Zins zugrunde zu legen. Denn nach dem BewG komme der Ansatz eines anderen Zinssatzes als 5,5% nicht in Betracht, wie auch der Rechtsgedanke des § 13 Abs. 3 Satz 2 BewG belege. Offensichtlich fühlte sich das Gericht dennoch im Ergebnis nicht wirklich wohl mit der getroffenen Entscheidung. Zur Fortbildung des Rechts wurde daher die Revision zugelassen (Az. beim BFH: II R 25/12).

Die Ermittlung des Nutzungsvorteils auf der Basis eines Zinssatzes von 5,5% kann sich allerdings zumindest im Grundsatz auf die bisherige Rspr. des BFH stützen, wobei der BFH – anders als das FG Münster in der zitierten Entscheidung – im Rahmen der Bewertung regelmäßig auf § 15 Abs. 1 BewG abstellt. Der Jahreswert der Nutzung einer Geldsumme ist danach, wenn kein anderer Wert feststeht, mit 5,5% anzunehmen (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 15. 3. 2001 – II B 171/99, BFH/NV 2001 S. 1122). Bei niedrig verzinslichen Darlehen ergebe sich der Jahreswert des Nutzungsvorteils regelmäßig aus der Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz und 5,5% (vgl. BFH-Urteil vom 27. 10. 2010 – II R 37/09, BStBl. II 2011 S. 134 = DB0399158, m. w. N.). Obwohl § 15 Abs. 1 BewG ausdrücklich die Möglichkeit des Ansatzes eines abweichenden Zinssatzes zulässt („wenn kein anderer Wert feststeht“), hat der BFH in seiner bisherigen Rspr. keine Ausnahme zugelassen; ein nachgewiesener abweichender „Marktzins“ wurde in den Entscheidungen aber soweit ersichtlich auch nicht festgestellt, sodass die Frage nicht zu entscheiden war. Der BFH hat allerdings bereits klargestellt, dass ein „anderweitig feststehender gemeiner Wert“ ein „anderer Wert“ i. S. des § 15 Abs. 1 BewG sein könne (BFH vom 15. 3. 2001, a.a.O.). In einer früheren Entscheidung wurde hingegen noch die Ansicht vertreten, dass die Wertermittlung nach § 15 Abs. 1 BewG mit 5,5% gerade nicht durch einen abweichenden „Marktpreis“ ausgeschlossen werden könne (BFH vom 17. 4. 1991, a.a.O.).

Kritische Würdigung

Die vom FG Münster vertretene Ansicht kann nicht überzeugen. Überraschend ist zunächst, dass das Gericht sich bei der Wertermittlung auf § 12 Abs. 3 BewG und nicht auf § 15 Abs. 1 BewG stützte. Denn § 12 BewG betrifft die Bewertung der Kapitalforderung selbst, wohingehend § 15 Abs. 1 BewG die – im Entscheidungsfall eigentlich maßgebliche – Bewertung der Nutzung einer Geldsumme betrifft. § 15 Abs. 1 BewG eröffnet aber seinem Wortlaut nach gerade die Möglichkeit der Ermittlung eines abweichenden gemeinen Werts der Nutzungen, der im vom FG Münster zu entscheidenden Fall nach Überzeugung des Gerichts mit 4,5% p. a. anzusetzen war.

Es ist zu wünschen, dass der BFH im Rahmen des Revisionsverfahrens die Gelegenheit nutzt, zu den Möglichkeiten der Feststellung eines abweichenden Marktzinses im Rahmen des § 15 Abs. 1 BewG Stellung zu nehmen und den Stpfl. die Option zu eröffnen, den schenkungsteuerlich maßgebenden Nutzungsvorteil auf der Basis der Differenz zwischen dem nachgewiesenen marktüblichen Kapitalzinssatz und dem vereinbaren Zinssatz zu berechnen (in diesem Sinne bereits FinMin. Baden-Württemberg, Erlass vom 20. 1. 2000 – S 3104-6, DStR 2000 S. 204 – gleichlautende Ländererlasse). Ein Zinssatz von 5,5% kann nicht als Maßstab für die Bewertung des unentgeltlich überlassenen Vorteils herangezogen werden, wenn am Markt nachweisbar nur ein niedrigerer Zinssatz zu erzielen gewesen wäre. Würde man dies anders sehen, müssten Darlehensgeber in der heutigen Zeit zur Vermeidung schenkungsteuerlicher Folgen von ihren Verwandten und Freunden wohl stets einen erheblich höheren Zins verlangen als denjenigen, den sie am Markt bei „seriöser Geldanlage“ würden erzielen können. Dies wird den betroffenen Darlehensnehmern nicht immer leicht vermittelbar sein.

Aufgrund des sicherlich erheblichen Vollzugsdefizits bei der Besteuerung zinsloser bzw. niedrigverzinslicher Darlehen könnte man überdies die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller bzw. eventuell aus gleichheitsrechtlichen Gründen (Art. 3 Abs. 1 GG) sogar geboten sein könnte, auf eine Erfassung zinsloser oder niedrigverzinslicher Darlehen im Rahmen der SchenkSt zu verzichten. Für den jedenfalls wirtschaftlich vergleichbaren Fall der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung einer Wohnung entspricht diese Sichtweise i. Ü. der ganz herrschenden Auffassung; nach der BFH-Rspr. ist hierin im Regelfall keine Schenkung zu sehen (BFH-Urteil vom 29. 11. 1983 – VIII R 184/83, BStBl. II 1984 S. 371). Dogmatisch mag die abweichende Behandlung der Wohnraumüberlassung zu begründen sein (zivilrechtlich liegt eine Leihe vor, was eine Schenkung ausschließt; vgl. BGH-Beschluss vom 11. 7. 2007 – IV ZR 218/06, DB0225487 = ZEV 2008 S. 192, zur Einräumung eines unentgeltlichen schuldrechtlichen Wohnrechts). Den Stpfl. ist dies aber im Allgemeinen nur schwer begreiflich zu machen.

(Zitiervorschlag: Escher, Steuerboard DBo560918)

 

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