Das ErbStG steht bekanntlich wieder einmal auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand. Der BFH ist von der Verfassungswidrigkeit überzeugt und hat daher – wie allgemein erwartet – das BVerfG angerufen (BFH-Beschluss vom 27. 9. 2012 – II R 9/11, DB0524035). Davon sind alle Steuerfestsetzungen seit 2009 betroffen. Denn der mögliche Verfassungsverstoß erfasst über die Tarifvorschrift des § 19 ErbStG sämtliche Steuerfälle. Die Finanzverwaltung hat bereits darauf reagiert und versieht alle Steuerfestsetzungen mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG (Oberste Finanzbehörden der Länder, gleichlautende Erlasse vom 14. 11. 2012 – 2012/0987650, DB 2012 S. 2661). Soweit sie dies auch in Steuerbescheiden nachholt, gegen die bereits finanzgerichtliche Klagen anhängig sind, stellt sich die Frage, ob der Kläger sich einer vom Finanzamt ausgesprochenen Erledigungserklärung anschließen soll.
Erledigung von ErbSt-Prozessen nach Vorläufigkeitsvermerk
Für die Finanzämter ergibt sich dadurch die Möglichkeit, bereits anhängige Klageverfahren nach Erlass des Vorläufigkeitsvermerks zu erledigen. Stimmt der Kläger zu, entscheidet das FG nur noch über die Kosten des Verfahrens. Als pragmatische Kostenentscheidung kommt in solchen Fällen in Betracht, dass der Kläger einerseits keine Gerichtskosten tragen muss, andererseits aber auch keinen Anspruch auf eine Kostenerstattung hat. Das Finanzamt übernimmt pro forma die Gerichtskosten, von deren Zahlung es aber tatsächlich befreit ist.
Mit diesem Vorgehen ist allerdings der Verlust des Anspruchs auf Prozesszinsen verbunden. Dies hat – gerade der für ErbSt zuständige – Zweite Senat des BFH jüngst bestätigt (BFH-Urteil vom 29. 8. 2012 – II R 49/11, DB0567116).
Die Klägerin hatte Vermögen von ihrer Lebenspartnerin geerbt und sich mit einer Klage gegen die Anwendung der Steuerklasse III gewehrt. Im Hinblick auf eine Verfassungsbeschwerde in einem Musterverfahren nahm das Finanzamt einen Vorläufigkeitsvermerk in den Steuerbescheid auf. Daraufhin erklärten beide Seiten das Klageverfahren übereinstimmend für erledigt. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich (BVerfG-Beschluss vom 21.7.2010 – 1 BvR 611/07, DB0362953); der Gesetzgeber ordnete rückwirkend die Geltung der Steuerklasse I für eingetragene Lebenspartnerschaften an. Das Finanzamt änderte den Steuerbescheid der Klägerin und erstattete die gezahlte Steuer. Auf den erstatteten Betrag verlangte die Klägerin Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit ihrer früheren Klage (6% p. a. auf der Grundlage des § 236 AO). Während das Niedersächsische FG ihr Recht gab (FG Niedersachsen, Urteil vom 21. 7. 2011 – 3 K 203/11), hob der BFH das Urteil auf und lehnte den Anspruch auf Prozesszinsen ab.
Hätte die Klägerin das Klageverfahren nicht für erledigt erklärt, wäre ihre Klage letztlich erfolgreich gewesen. Dann hätte sie auch einen Anspruch auf Prozesszinsen i. H. von 6% p. a. seit Klageerhebung gehabt. Die Prozesszinsen haben gerade für die ErbSt eine besondere Bedeutung, weil hier – anders als bei den laufend veranlagten Jahressteuern – die Regelverzinsung des § 233a AO nicht gilt. Nach Auffassung des BFH verliert ein Kläger diesen Zinsanspruch jedoch, wenn zwar das Ergebnis des Musterverfahrens in seinem Sinne ausgeht, sein eigenes Klageverfahren aber (nach einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk im Steuerbescheid) durch beiderseitige Erledigungserklärung beendet wurde. Denn die Änderung des Steuerbescheides und die anschließende Steuererstattung beruhen dann nur mittelbar auf dem (nicht mehr anhängigen) Klageverfahren, unmittelbar und maßgeblich aber auf dem Vorläufigkeitsvermerk und der Entscheidung des BVerfG.
Anspruch auf Prozesszinsen hängt von der Entscheidung des BVerfG ab
Es wird allgemein erwartet, dass das BVerfG das ErbStG erneut für verfassungswidrig hält. Will der Kläger also seine Chancen auf Prozesszinsen und eine Kostenerstattung wahren, sollte er den Rechtsstreit nicht für erledigt erklären. Die Erledigung wäre insbesondere dann nachteilig, wenn das BVerfG das ErbStG diesmal – wie sogar von einigen Experten erwartet – rückwirkend für verfassungswidrig erklären sollte. Dann erhielte der Kläger neben der Steuererstattung Prozesszinsen und einen Kostenerstattungsanspruch. Sollte das BVerfG dagegen wie häufig bei Steuergesetzen (anders als z. B. im o. g. Verfahren um die Besteuerung der Lebenspartnerschaften) die Verfassungswidrigkeit nur für die Zukunft erklären, wäre die Klage erfolglos; Prozesszinsen entstünden nicht. Der Kläger müsste nicht nur die verfassungswidrige Besteuerung hinnehmen. Er müsste dann grds. auch die Gerichtskosten tragen und hätte keinen Anspruch auf Kostenerstattung, was allerdings zu Recht kritisiert wird. Neben den Aussichten auf Prozesszinsen müssen also auch diese Kostenfolgen bedacht werden. Das Urteil des BFH macht die Entscheidung nicht einfacher.
(Zitiervorschlag: Specker, Steuerboard DB0573684)