Irrungen und Wirrungen um die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung


Entwirrung: Der EuGH differenziert klar zwischen verschiedenen Systemen der Verlustverrechnung und stellt mit seinen Urteilen zur grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung (u.a. EuGH-Urteil vom 13.12.2005 – Rs. C-446/03, DB 2005 S. 27 – Marks & Spencer plc; vom 15. 5. 2008 – Rs. C-414/06, DB 2008 S. 1130 – Lidl Belgium; vom 23. 10. 2008 – Rs. C-157/07, DB0345926 – Krankenheim Wannsee) klar, dass grundsätzlich der Betriebsstättenstaat die Verantwortung für die Verlustverwertung trägt. Schließlich geht es um Verluste, die auf seinem Territorium erwirtschaftet werden und die daher primär auch die dortige Steuerlast mindern müssen. Eine Verlustverrechnung im Staat des Stammhauses ist als ultima ratio zu verstehen und als solche strikte Ausnahme. Sie muss nach Marks & Spencer bzw. Lidl Belgium allerdings dann gestattet werden, wenn sogenannte endgültige bzw. definitive Verluste vorliegen.

Trägt jedoch der Betriebsstättenstaat die Verantwortung für den Untergang der Verluste (analog zur Nichtberücksichtigung der Betriebsstättenverluste in Österreich der Rs. Wannsee oder durch zeitliche Verlustvortragsbeschränkungen), kann der (Wohn-)Sitzstaat den Import der Betriebsstättenverluste verweigern. Die grundlegende Pflicht zur Verlustberücksichtigung des Betriebsstättenstaates kann hier demnach nicht auf den Ansässigkeitsstaat abgeschoben werden. Dies bestätigte jüngst auch der BFH (BFH-Urteil vom 3.2.2010 – I R 23/09, DB 2010 S. 6).


Verirrung: Fraglich ist allerdings, wann Verluste, die der Ansässigkeitsstaat importieren muss, vorliegen. Müssen bei der Ausschöpfung aller innerstaatlichen Verrechnungsmöglichkeiten auch hypothetische, in ferner Zukunft liegende Möglichkeiten berücksichtigt werden? Oder sollte es nicht vielmehr ausreichen, dass aufgrund einer endgültigen Schließung der Betriebsstätte keine Gewinne mehr zu erwarten sind?

Das Bayerische Landesamt für Steuern (Argumentationspapier vom 19.2.2010) will auch hypothetische, fiktiv mögliche Verrechnungsmöglichkeiten einbeziehen. Selbst bei einer Schließung der Betriebsstätte soll daher kein endgültiger Verlust vorliegen. Dem Unternehmer stünde es theoretisch offen, jederzeit eine neue Betriebsstätte zu eröffnen und zukünftig vielleicht erzielbaren Gewinnen die jetzigen Verluste zu nutzen. Ob eine Wiedereröffnung betriebswirtschaftlich sinnvoll oder überhaupt geplant ist, ist vollkommen unerheblich! Endgültige im Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigende Verluste können durch die Brille der Finanzverwaltung daher nie entstehen. Das würde das Ende der Betriebsstätte bedeuten.


Zusätzliche Verwirrung: In den Wirrungen des deutschen Steuerrechts kommt es nun zu einem kuriosen Ergebnis. Das FG Niedersachsen (Urteil vom 11.2.2010 – 6 K 406/08, DB 2010 S. 1216) hat die Voraussetzungen der körperschaftsteuerliche Organschaft normerhaltend reduziert und dahingehend ausgelegt, dass der vorherige Abschluss eines rechtsverbindlichen Verlustübernahmevertrags für die Dauer von mindestens fünf Jahren eine Verlustverrechnung über die Grenze ermöglicht. Die Verwirrung um die Verrechnung grenzüberschreitender Verluste löst sich damit überaschenderweise zunächst einmal bei der haftungsbeschränkten Tochterkapitalgesellschaft, während Verluste einer rechtlich unselbständigen Betriebsstätte nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung klar abgeschottet sein sollen. Das klingt schon sehr nach Steuer-Wirrwarr.

Ein Ausweg aus diesem Irrgarten könnte sich aus der Implementierung des Authorized OECD Approach im deutschen Steuerrecht sein. Unter dem AOA wird die Betriebsstätte für steuerrechtliche Sachverhalte verselbstständigt. Insbesondere werden dann sogenannte „dealings“ als Vertragssurrogat zugelassen. Somit müsste das Stammhaus dann auch einen Verlustübernahmevertrag mit seiner Betriebsstätte abschließen und sie folglich zukünftig in eine grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung aufnehmen können, womit dann wohl unzweifelhaft der Gipfel der Verwirrung erreicht wäre. Aber vielleicht geht es ja auch deutlich einfacher. Den Anstoß dazu könnte der BFH mit seinen Entscheidungen über die anhängigen Revisionen der Urteile des FG Hamburg und des FG Düsseldorf geben. Auf Dauer führt jedenfalls kein Weg an einer umfassenden gesetzlichen Reform der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung vorbei.

Einstweilen gilt allerdings die einigermaßen überraschende Erkenntnis: Die Betriebsstätte ist tot, es lebe die Tochtergesellschaft! Manchmal, aber nur manchmal leben Totgesagte aber auch deutlich länger als der Arzt prognostiziert.

Kommentare sind geschlossen.