Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge. Als solche müssen sie laut Grundgesetz durch Parlamentsbeschluss in deutsches innerstaatliches Recht transformiert werden, um gegenüber Steuerpflichtigen und Gerichten Bindungswirkung zu entfalten. Moderne DBA, die in ihrer Struktur heute ganz überwiegend dem Musterabkommen der OECD nachgebildet werden, sehen zur Streitbeilegung im Einzelfall, aber auch generell zur Beseitigung von Auslegungs- und Anwendungsproblemen Verfahren vor, in denen sich die Finanzverwaltungen der beiden Vertragsstaaten auf Lösungen im Sinne der Zielsetzung des DBA verständigen. Zielsetzung eines DBA ist die Vermeidung der (juristischen) Doppelbesteuerung, aus der Sicht der Verwaltung sicher auch die Vermeidung der Nichtbesteuerung, d.h. der Entstehung „weißer“ Einkünfte.
Haben die Verwaltungen eine Lösung vereinbart und wollen sie diese nun in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet gegenüber dem Steuerpflichtigen umsetzen, fragt sich, ob die Einigung der Verwaltungen untereinander als – von Steuerpflichtigen und Gerichten zu respektierende – Rechtsgrundlage ausreicht oder ob eine Rechtsnorm anderer, höherer Qualität erforderlich wäre, um rechtliche Bindungswirkung zu erzeugen. Um diese Frage ging es kürzlich in zwei BFH-Urteilen (zum DBA Schweiz und zum DBA Belgien).
Vordergründig betrafen diese Urteile die Besteuerung von Abfindungszahlungen, welche an einen nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aus Deutschland in den jeweiligen ausländischen Staat umgezogenen Arbeitnehmer geflossen waren. Nach dem Wortlaut des jeweiligen DBA können „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen“ aus unselbständiger Arbeit nur im Wohnsitzstaat des Beziehers besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt, dann kann dieser andere Staat die dafür bezogenen Einkünfte besteuern. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind danach Abfindungen aus Anlass der Beendigung eines Dienstverhältnisses von dem Staat steuerlich zu erfassen, in dem der (Ex-)Arbeitnehmer zur Zeit der Zahlung ansässig ist, weil die Abfindung nicht als Gegenleistung für eine konkrete im In- oder Ausland ausgeübte Tätigkeit, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt wird.
Dagegen hatten das BMF und die schweizerische bzw. die belgische Finanzverwaltung jeweils in einer Verständigungsvereinbarung danach differenziert, ob die Abfindung Versorgungscharakter habe oder ob sie eine Nachzahlung von Löhnen u.ä. aus dem früheren Arbeitsverhältnis darstelle bzw. allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt werde. Nur im Versorgungsfalle solle der Wohnsitzstaat, ansonsten der Tätigkeitsstaat besteuern dürfen.
An diese den Abkommenswortlaut modifizierenden Vereinbarungen der Behörden sind deutsche Steuerpflichtige und deutsche Gerichte nicht gebunden, entschied der BFH (Urteil vom 2. 9. 2009, I R 90/08, DB 2009 S. 2414 und I R 111/08, DB 2009 S. 6). Sie stellen keine ausreichende Rechtsgrundlage für entsprechende Bescheide gegen Steuerpflichtige dar, weil sie weder in dem vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren in deutsches innerstaatliches Recht transformiert worden sind, noch auf einer ihrerseits demokratisch legitimierten Verordnungsermächtigung beruhen und deswegen nach deutschem Recht rein verwaltungsinterne Regelungen ohne rechtliche Bindungswirkung für Steuerpflichtige und Gerichte sind.
Die Urteile zeigen klar und deutlich die Grenzen autonomen Verwaltungshandelns im internationalen Bereich auf. Sie sind deshalb unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedeutsam und fordern nicht nur eine technische Formalität ein. Die Finanzverwaltung möchte allerdings vermeiden, dass DBA-Verständigungsvereinbarungen einzeln in deutsches Recht transformiert werden müssen. Sie hat deshalb in den Entwurf des JStG 2010 eine Verordnungsermächtigung aufgenommen, aufgrund derer das BMF in Zukunft selbständig „insbesondere ergänzende Bestimmungen zur Auslegung und Anwendung“ eines DBA auf der Grundlage einer Verständigungsvereinbarung erlassen könnte. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob eine solche „Blankettermächtigung“ bestimmt genug wäre, um ihrerseits verfassungsrechtlich wirksam zu sein.