Berücksichtigung von Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen?

RA/StB/FAStR Dr. Jens Escher LL.M., Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

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Seit 2009 sind Werbungskosten im Bereich der Kapitaleinkünfte nicht mehr abzugsfähig. Jedenfalls für bestimmte Fälle stellt ein aktuelles Urteil des FG Baden-Württemberg dies nun aus verfassungsrechtlichen Gründen infrage.

Abzugsverbot für Werbungskosten im Bereich der Kapitaleinkünfte

Mit der Abgeltungsteuer 2009 wurde ein pauschaler Steuersatz i. H. von 25% für Kapitalerträge eingeführt. Aufgrund dieser (gemessen am Höchststeuersatz) moderaten steuerlichen Belastung hielt es der Gesetzgeber für gerechtfertigt, den Abzug von Werbungskosten im Bereich der Kapitaleinkünfte auszuschließen; es kann nur der Sparer-Pauschbetrag i. H. von 801 € (1.602 € für Ehegatten bei Zusammenveranlagung) geltend gemacht werden (§ 20 Abs. 9 EStG). Zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung kann jedoch auf Antrag eine sog. Günstigerprüfung durchgeführt werden. Die nach § 20 EStG ermittelten Kapitaleinkünfte werden dann in die Einkommensermittlung nach § 2 EStG einbezogen und der tariflichen ESt unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren ESt führt (§ 32d Abs. 6 Satz 1 EStG). Es kommt dann statt des Abgeltungsteuertarifs der im Einzelfall anwendbare (niedrigere) progressive ESt-Tarif zur Anwendung. Nach bislang herrschendem Verständnis bleibt es allerdings auch im Rahmen dieser Günstigerprüfung bei dem in § 20 Abs. 9 EStG statuierten Abzugsverbot für Werbungskosten, und es kommt nur der Sparer-Pauschbetrag zum Ansatz.

Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 17. 12. 2012

Dem ist das FG Baden-Württemberg nun in einer bislang wenig beachteten Entscheidung entgegen getreten (Urteil vom 17. 12. 2012 – 9 K 1637/10, juris). Im Streitfall waren bei der Klägerin infolge der Fremdverwaltung ihres Kapitalvermögens Werbungskosten angefallen, die über die Höhe des Sparer-Pauschbetrags hinausgingen. Schon bei Ansatz des Sparer-Pauschbetrags ergab sich im Rahmen der Günstigerprüfung ein tariflicher Steuersatz unterhalb des Abgeltungsteuertarifs von 25%. Jedenfalls unter diesen Umständen gebiete nach Ansicht des Gerichts eine verfassungskonforme Auslegung des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG, den Abzug der tatsächlich angefallenen Werbungskosten bei der Ermittlung der Kapitaleinkünfte im Rahmen der Günstigerprüfung zuzulassen. Ein absolutes Abzugsverbot sei in diesem Fall verfassungswidrig. Dies entspreche dem Sinn und Zweck der Günstigerprüfung, welche vermeiden solle, dass sich im Rahmen der Abgeltungsteuer eine höhere steuerliche Belastung als nach der tariflichen ESt ergebe. Auch den Gesetzesmaterialien sei nicht eindeutig zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Werbungskostenabzug auch im Rahmen der Günstigerprüfung ausschließen wollte.

Zur Begründung führte das FG Baden-Württemberg aus, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebiete eine folgerichtig am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgestaltete Besteuerung. Der ESt unterliege nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung nur das Nettoeinkommen unter Abzug insbesondere von Erwerbsaufwendungen. Das hieraus abzuleitende „objektive Nettoprinzip“ gelte auch im Rahmen der Abgeltungsteuer. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bedürfe daher eines besonderen sachlichen Grundes.

Ein hinreichender Grund für den Ausschluss des Abzugs von Erwerbsaufwendungen bei den Kapitaleinkünften sei aber jedenfalls im Bereich der unteren Einkommensgruppen nicht ersichtlich. Zwar sei der Gesetzgeber nicht grds. gehindert, typisierend einen Sparer-Pauschbetrag einzuführen und den Abzug tatsächlich höherer Werbungskosten auszuschließen. Eine typisierende Regelung bedürfe zu ihrer Rechtfertigung allerdings einer hinreichenden Begründung. Vorliegend sei jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung des Sparer-Pauschbetrags überhaupt geprüft habe, ob tatsächlich in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle mit einem Durchschnittssteuersatz von 25% oder weniger nur Werbungskosten von maximal 801 € entstünden. Der Streitfall zeige, dass es auch in den unteren Einkommensgruppen Fälle gebe, in denen höhere Werbungskosten als 801 € anfielen; auch seien Fälle denkbar, in denen bei Ansatz der tatsächlichen Kosten überhaupt keine Steuer zu zahlen wäre. Gerade Zinsaufwand aus einer Fremdfinanzierung von Kapitalanlagen müsse ggf. abziehbar sein.

Die Finanzverwaltung hat gegen das Urteil Revision eingelegt (anhängig beim BFH: VIII R 13/13). Der BFH wird in diesem Verfahren Gelegenheit haben, grds. zur Einordnung der Abgeltungsteuer in das Steuerrechtssystem und zur Gebotenheit einer Abzugsfähigkeit von Werbungskosten im Bereich der Kapitaleinkünfte Stellung zu nehmen. Sollte der BFH die verfassungsrechtlichen Bedenken des FG Baden-Württemberg teilen, ist allerdings fraglich, ob er den Abzug von Aufwendungen ebenfalls im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zulässt oder ob er wegen Verfassungswidrigkeit der Norm eine Vorlage beim BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG für geboten hält. Das FG Baden-Württemberg vertritt die Ansicht, der Wortlaut des § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG stehe der gewählten Auslegung nicht entgegen. Allerdings nimmt die Norm ausdrücklich Bezug auf die „nach § 20 ermittelten Kapitaleinkünfte“, was einen Verweis auf § 20 Abs. 9 EStG einschließen dürfte. Insoweit ist der vom FG Baden-Württemberg gewählte Weg jedenfalls als mutig zu bezeichnen.

Fazit

Ausdrücklich offengelassen hat das FG Baden-Württemberg, ob das Abzugsverbot für Werbungskosten jedenfalls in den Fällen verfassungsgemäß ist, in denen der Nachteil aus dem Abzugsverbot dadurch ausgeglichen wird, dass die Kapitaleinkünfte nur mit 25% statt mit einem höheren individuellen Steuersatz besteuert werden. Dies dürfte m. E. der Fall sein, denn wenn sich durch die Abgeltungsteuer (inkl. Abzugsverbot) insgesamt eine niedrigere Steuerlast ergibt als bei Anwendung des progressiven ESt-Tarifs, tritt für den Stpfl. keine Belastungswirkung ein, die gemessen an seiner subjektiven Leistungsfähigkeit zu hoch ist. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob die gemessen an der Leistungsfähigkeit dieses Stpfl. letztlich zu geringe steuerliche Belastung durch die mit der Abgeltungsteuer verfolgten Zwecke (Vereinfachung der Steuererhebung; Sicherung des Steueraufkommens) gerechtfertigt werden kann. Dies ist aber eine Grundfrage der Abgeltungsteuer als „flat tax“.

Unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips ist es jedenfalls geboten, dass jeder Stpfl. im Rahmen der Günstigerprüfung eine Besteuerung auf der Basis seiner Nettoeinkünfte (nach Abzug aller Werbungskosten) mit dem persönlichen ESt-Tarif erreichen kann, soweit dies für ihn günstiger ist. Dies sollte durch den Gesetzgeber in § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG klargestellt werden, noch bevor der BFH und ggf. das BVerfG sich mit den vom FG Baden-Württemberg zu Recht aufgeworfenen Fragen beschäftigen. Denn insbesondere im letzteren Fall könnten bis zu einer endgültigen Klärung noch Jahre vergehen.

 

 

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