In einer Zeit, in der die Zollstationen abgebaut sind, versucht der Gesetzgeber den Wegzug von Steuersubstrat mit allen Mitteln zu verhindern. So verständlich dieses Ziel auch ist, so problematisch und unklar ist die derzeitige Rechtslage. Der Bundesrat will mit seiner Empfehlung vom 28. 6. 2010 zum Jahressteuergesetz einen neuen Anlauf starten, um den Tatbestand präziser zu formulieren. Doch auch die neue Formulierung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Nach § 4 Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) steht „der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts“ einer Entnahme gleich. Eine ähnliche Regelung gilt nach § 12 Abs. 1 Köperschaftsteuergesetz für Körperschaften. Das besondere an diesen Regelungen ist, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge nicht an eine Handlung des Steuerpflichtigen knüpft, sondern an eine rechtliche Wertung. Es kommt also nicht darauf an, dass ein konkreter Gewinn, z. B. durch eine Veräußerung realisiert wird. Entscheidend ist allein, ob ein solcher Gewinn, wenn er den erzielt würde, von der Besteuerung in Deutschland ganz oder teilweise ausgeschlossen ist. Das ist mehr als unbestimmt und nicht gemeinschaftsrechtskonform. Das geltende Recht verstößt zudem gegen das Realisationsprinzip, berücksichtigt nicht die zahlreichen möglichen Fällen, in denen ein solcher Gewinn tatsächlich nie erzielt wird und konfligiert mit der Rechtsprechung des BFH, die eine nachgelagerte Besteuerung im späteren Realisationszeitpunkt auch dann für möglich hält, wenn das Wirtschaftsgut in eine ausländische Betriebsstätte überführt wurde.
Vor diesem Hintergrund versucht der Bundesrat in seiner Empfehlung den Hauptanwendungsfall der Entnahmefiktion klarzustellen, indem er einen neuen Satz anfügt, wonach der Tatbestand insbesondere dann vorliegt, „wenn das Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet wird“. Damit wird das Problem leider nicht gelöst, sondern neue Zweifelsfragen aufgeworfen. Ungeklärt bleibt vor allem, wer über die Zuordnung entscheidet, wie sich eine solche Zuordnung manifestiert und wann der Tatbestand realisiert ist. Im Dunkeln bleibt zudem, warum der Gesetzgeber weiterhin an eine rechtliche Wertung und nicht an den Akt der Überführung anknüpft. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen führt dies zu kaum kalkulierbaren steuerlichen Belastungen. Würde der Entstrickungstatbestand dagegen an eine Zuordnungshandlung des Steuerpflichtigen anknüpfen, wäre der Überführungsfall aus steuerlicher Sicht nicht mehr ein Wagnis mit ungewissem Ausgang.
Wie man diesen Sachverhalt steuersystematisch besser lösen kann, zeigt ein Blick in das österreichische Recht. § 6 Ziffer 6 des österreichischen EStG stellt auf die Überführung eines Wirtschaftsguts oder die Verlegung des Betriebs ab und gewährt auf Antrag eine Stundung der Steuerschuld bis zu tatsächlichen Realisierung. Diese Regelung hat gleich mehrere Vorzüge: sie ist deutlich klarer, vermeidet eine vorzeitige Besteuerung ebenso wie eine Doppelbesteuerung und steht daher in Einklang mit dem höherrangigen Normen des Unionsrechts.