EuGH: Pauschalbesteuerung gemäß Investmentsteuergesetz verstößt gegen Unionsrecht

RA Dr. Peter Bujotzek, LL.M., Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Frankfurt

RA Dr. Peter Bujotzek, LL.M., Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Frankfurt

Erträge aus Investmentfonds im Sinne des Investmentsteuergesetzes (InvStG) unterliegen bei den Anlegern der sog. transparenten Besteuerung. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Investmentfonds die Besteuerungsgrundlagen rechtzeitig gegenüber den Anlegern bekannt macht und im Bundesanzeiger veröffentlicht (§ 5 Abs. 1 InvStG). Kommt ein Investmentfonds den Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten nicht nach und handelt es sich dabei nicht um einen Spezial-Investmentfonds (sog. intransparenter Fonds), wird der Anleger in Bezug auf seine Investmentanteile pauschal besteuert (§ 6 InvStG). Danach muss der Anleger sämtliche Ausschüttungen, den sog. Zwischengewinn und einen Mehrbetrag von 70 Prozent der Wertsteigerung (d.h. der positiven Differenz zwischen dem letzten und dem ersten Rücknahmepreis des Investmentanteils) versteuern, mindestens jedoch einen Betrag von 6 Prozent des letzten Rücknahmepreises.

Obwohl die Bekanntmachungs- und Veröffentlichungsplichten sowie die Pauschalbesteueurung formal gleichermaßen für ausländische wie inländische Investmentfonds gelten, wurde die Vereinbarkeit der Pauschalbesteueurung mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) seit Längerem bezweifelt und beschäftigte bereits mehrfach deutsche Gerichte. Mit Urteil vom 9. Oktober 2014 entschied der EuGH (EuGH vom 9. Oktober 2014 – Rs. C-326/12, van Caster = DB0681342), dass die Pauschalbesteueurung gemäß § 6 InvStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße und folglich europarechtswidrig sei.

Sachverhalt

Deutsche Anleger (Mutter und Sohn) hielten in den Jahren 2004 bis 2008 Anteile an intransparenten ausländischen Investmentfonds. Sie erklärten die Erträge aus ihren Anteilen an diesen Investmentfonds im Wege der Schätzung oder auf Grundlage von Belegen und Informationen aus der Börsenzeitung.

Das Finanzamt war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, sondern ermittelte die Erträge pauschal nach der Regel des § 6 InvStG. Die so ermittelten Erträge betrugen mehr als das Dreifache der von den Anlegern erklärten Erträge.

Die Anleger zogen vor das FG Düsseldorf. Dieses setzte – anders als das FG Berlin und das FG Hamburg, die sich in den Urteilen vom 23. Mai 2012 bzw. 13. Juli 2012 eingehend mit der Frage der Europa- und Verfassungswidrigkeit der Pauschalbesteuerung befassten, diese aber verneinten – das Verfahren aus. Es legte dem EuGH die Frage vor, ob die pauschale Besteuerung von Erträgen aus intransparenten Investmentfonds gegen das Unionsrecht verstoße, weil es eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs (Art. 63 AEUV) darstelle.

Argumentation des EuGH

Diese Frage bejaht der EuGH in seinem Urteil vom 9. Oktober 2014 mit im Wesentlichen folgender Argumentation:

Die Pauschalbesteuerung nach § 6 InvStG stelle eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Die Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten gemäß § 5 InvStG würden typischerweise von solchen Investmentfonds nicht erfüllt, die nicht aktiv auf den deutschen Markt abzielten; dies seien vor allem ausländische Investmentfonds. Die nachteiligen Folgen der Pauschalbesteuerung und das Fehlen einer Möglichkeit, die Höhe der tatsächlichen Einkünfte durch Beibringung von Unterlagen oder Informationen nachzuweisen, seien geeignet, „einen deutschen Anleger davon abzuhalten, Anteile an einem ausländischen Investmentfonds zu zeichnen“.

Die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs ist nach Auffassung des EuGH nicht gerechtfertigt. Zwar diene die bei Nichterfüllung der Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten eingreifende Pauschalbesteuerung einer wirksamen Steuerkontrolle sowie der Wirksamkeit der Steuereinziehung und damit legitimen Zielen. Jedoch gehe die Regelung über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Anstoß nimmt der EuGH vor allem daran, dass der Anleger „absolut daran gehindert“ ist, Nachweise über die tatsächlichen Erträge beizubringen; es könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass Steuerpflichtige einschlägige Nachweise vorlegen, anhand derer die Steuerbehörden die betreffenden Besteuerungsgrundlagen hinreichend prüfen können. Zudem verweist der EuGH auf die Möglichkeit eines internen Informationsaustauschs innerhalb der deutschen Finanzverwaltung sowie der Amtshilfe zwischen den Finanzbehörden der Mitgliedstaaten.

Bewertung und Folgen

Das Urteil überzeugt im Ergebnis. Im Hinblick auf die Argumentation des EuGH lässt sich zwar kritisch einwenden, dass der EuGH bei der Würdigung der fehlenden Möglichkeit des Nachweises der tatsächlichen Investmenterträge nicht zwischen der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und deren Rechtfertigung unterscheidet; zudem lässt das Gericht unberücksichtigt, dass die erhöhte steuerliche Belastung durch die Pauschalbesteuerung unter Umständen bei der Schlussbesteuerung (d.h. der Besteuerung von Erträgen aus der Rückgabe oder Veräußerung der Investmentanteile) teilweise korrigiert wird.

Richtig bleibt dennoch: Die Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten (§ 5 InvStG) und die Sanktion der Pauschalbesteuerung (§ 6 InvStG) belasten ausländische Investmentfonds erheblich stärker als inländische. Dies in Kombination mit dem absoluten Verbot des Nachweises von tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

Die Finanzverwaltung wird nunmehr bei ausländischen intransparenten Investmentfonds eine reguläre (d.h. transparente) Besteuerung nach § 2 InvStG auf Grundlage von nachgewiesenen oder notfalls geschätzten Besteuerungsgrundlagen zulassen müssen. Aus Gründen der Gleichbehandlung gilt dies auch für Anleger in inländischen Investmentfonds.

Perspektivisch wird der Gesetzgeber nicht umhinkommen, das Konzept der Pauschalbesteuerung zu überarbeiten – sei es im Rahmen eines punktuellen Reparaturgesetzes oder der nach wie vor diskutieren Neukonzeption der Investmentbesteuerung.

Das Urteil ist aber auch im Zusammenhang mit dem Vorschlag einer Mindestbesteuerung (auch: verpflichtende Pauschalbesteuerung) von Anlegern in Kapital-Investitionsgesellschaften gemäß § 19 InvStG beachtenswert. Dieses in einem Referentenentwurf zum AIFM-StAnpG vom Dezember 2012 vorgeschlagene, in mehrfacher Hinsicht verfehlte und der Pauschalbesteuerung gemäß § 6 InvStG nachgebildete Besteuerungskonzept wurde zwar letztlich nicht in das InvStG aufgenommen. Allerdings äußerte der Bundesrat die Bitte, den Vorschlag erneut aufzugreifen. Die Europarechtswidrigkeit dieses Vorschlags ist nun bestätigt.

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