Das Niedersächsische Finanzgericht hat mit Urteil vom 20.03.2013 nachdrücklich Kritik an der ständigen Rechtsprechung des II. Senats des BFH zur Dogmatik des einheitlichen Vertragswerks im Grunderwerbsteuerrecht geübt (FG Niedersachsen vom 20.03.2013 – 7 K 223/10, 7 K 224/10, DB0605723; vgl. dazu auch Kreft, StR kompakt, DB0607217). Ein wesentlicher Kritikpunkt des Niedersächsischen Finanzgerichts war dabei die durch das FG als „Belastungscocktail“ bezeichnete, teilweise auftretende Mehrfachbelastung eines Erwerbsvorgangs mit Grunderwerbsteuer sowie Umsatzsteuer infolge der divergierenden BFH-Rechtsprechung des II. Senats einerseits und des V. und XI. Senats andererseits. Der II. Senat hat nunmehr mit Abschluss des Revisionsverfahrens entschieden, dass er weiterhin an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält und damit die in Beratungskreisen aufkommende Hoffnung einer steuergünstigeren Auslegung im Keim erstickt (BFH vom 04.12.2014 – II R 22/13).
Einheitliches Vertragswerk im Grunderwerbsteuerrecht
Ob der Gegenstand eines grunderwerbsteuerlichen Erwerbsvorgangs ein Grundstück in bebautem oder unbebautem Zustand ist, richtet sich nach der Rechtsprechung des II. Senats des BFH zum sogenannten einheitlichen Vertragswerk nach den Vertragsvereinbarungen der Parteien (st. Rspr. seit: BFH vom 28.11.1967 – II 102/63, BStBl. II 1968 S. 186). Danach gilt, dass unabhängig davon, ob das Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags noch unbebaut war, neben dem Kaufpreis für den Grund und Boden auch die Herstellungskosten des künftig zu errichtenden Gebäudes im Rahmen der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage als Gegenleistung im Sinne des § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zu berücksichtigen sind.
Voraussetzung dafür ist eine zivilrechtliche Verknüpfung oder aber ein objektiv enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und dem Bauvertrag. Treten dabei auf der Veräußererseite mehrere Personen als Vertragspartner auf – Personenverschiedenheit von Grundstücksveräußerer und Bauunternehmer –, wird nach der Rechtsprechung des II. Senats des BFH gleichwohl ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen Grundstückskauf- und Bauerrichtungsvertrag angenommen, wenn Veräußerer und Bauunternehmer personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng miteinander verbunden sind oder aufgrund von Abreden zusammenwirken.
Einheitliches Vertragswerk im Umsatzsteuerrecht
Umsatzsteuerrechtlich ergibt sich aus § 4 Nr. 9a UStG, dass die künftige Gebäudeerrichtung nur dann umsatzsteuerfrei ist, wenn die Bauleistung unter das GrEStG fällt.
Bedauerlicherweise weicht die umsatzsteuerrechtliche Rechtsprechung des V. und des XI. Senats von der Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuerfragen zuständigen II. Senats ab. Während nach Auffassung des II. Senats eine Einheit zwischen dem Grundstückskauf- und Bauerrichtungsvertrag auch angenommen werden kann, wenn auf der Veräußererseite mehrere Personen auftreten, kann ein einheitliches Vertragswerk nach Auffassung des V. sowie des XI. Senats nur vorliegen, wenn Personenidentität zwischen dem Veräußerer und dem Bauunternehmer besteht (vgl. zuletzt BFH vom 30.01.2008 – V B 120/07, NV, juris m.w.N.; vom 12.02.2009 – XI B 76/08, BFH/NV 2009 S. 974 m.w.N.).
Somit ist aufgrund der divergierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Personenverschiedenheit auf Veräußererseite ausschließlich die Übertragung des Grundbesitzes von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 9a UStG befreit, während die Bauleistung der Umsatzsteuer unterliegt, obwohl die Bauerrichtungskosten zudem in die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden.
Potenzieller Verstoß gegen das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit
Daher wirft das Niedersächsische Finanzgericht dem II. Senat des BFH im Urteil vom 20.03.2013 vor, durch Annahme eines einheitlichen Vertragswerks bei Personenverschiedenheit auf Veräußererseite gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen. Denn zwei Grundstückserwerber, die beide ein vergleichbares, künftig zu bebauendes Grundstück erwerben, werden dann unterschiedlich besteuert, wenn einer der Erwerber das Grundstück von einer Person erwirbt, die zugleich in einem separaten Bauvertrag mit der Bauausführung beauftragt wird, während der andere Erwerber ‑ bei gegebenenfalls inhaltlich identischem Bauvertrag ‑ mit der Bauausführung ein drittes Unternehmen beauftragt.
Die Entscheidung des II. Senats des BFH, weiterhin an den Rechtsprechungsgrundsätzen zum einheitlichen Vertragswerk festzuhalten, erscheint gleichwohl jedenfalls gut vertretbar. Die Alternative, zwecks Vermeidung der Mehrfachbelastung der Bauleistung bei Personenverschiedenheit auf Veräußererseite die Grundsätze zum einheitlichen Vertragswerk gänzlich aufzugeben, würde wiederum zu Ungleichbehandlungen führen. Die Bauerrichtungskosten wären bei Personenidentität auf Veräußererseite Teil der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage, während sie bei Verschiedenheit von wirtschaftlich, gesellschaftsrechtlich oder tatsächlich eng miteinander verbundenen Personen nicht der Grunderwerbsteuer unterliegen würden.
Gegen die Aufgabe der Grundsätze des einheitlichen Vertragswerks spricht zudem, dass die Sachverhalte, die von der Rechtsprechung des II. Senats erfasst werden, nicht mit dem Erwerb unbebauter Grundstücke, die vom Erwerber später selbst bebaut werden, vergleichbar sind. Vielmehr sind sie mit dem Erwerb bereits bebauter Grundstücke vergleichbar, so dass die grunderwerbsteuerliche Berücksichtigung der Baukosten jedenfalls gut vertretbar ist.
Die ungleiche steuerliche Behandlung könnte m.E. jedoch auf umsatzsteuerrechtlicher Seite vermieden werden, indem die Regelung des § 4 Nr. 9a UStG verfassungskonform in der Weise vom V. sowie vom XI. Senat ausgelegt würde, dass Bauleistungen auch bei Personenverschiedenheit auf Veräußererseite umsatzsteuerfrei zu behandeln sind. Eine solche Auslegung würde jedenfalls auch dem Sinn und Zweck der Regelung entsprechen, der darin besteht, umsatzsteuerliche Belastungen von bereits der Grunderwerbsteuer unterliegenden Leistungen zu vermeiden.
Verstoß gegen Anrufungspflicht des Großen Senats des BFH
Verfahrensrechtlich zu kritisieren ist hingegen, dass der II. Senat des BFH nicht in Erwägung zieht, zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung seiner Verpflichtung aus § 11 Abs. 2 FGO nachzukommen und den Großen Senat des BFH anzurufen, obwohl die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 FGO eindeutig vorliegen. Denn für die nach § 11 Abs. 2 FGO erforderliche Identität einer unterschiedlich entschiedenen Rechtsfrage kommt es nach steuerlicher Rechtsprechung nicht darauf an, ob sie dieselbe Rechtsnorm betrifft. Vielmehr genügen divergierende Entscheidungen zu einer Rechtsfrage, die sich bei verschiedenen Vorschriften in gleicher Weise stellt (GmS-OGB vom 06.02.1973 – GmS-OGB 1/72, BFHE 109 S. 206; BFH vom 25.01.1971 – GrS 6/70, BStBl. II 1971 S. 274; vom 27.11.1978 ‑ GrS 8/77, BStBl. II 1979 S. 213; vom 05.03.1979 – GrS 5/77, BStBl. II 1979 S. 570 ff., Rn. 23).