Seit Jahrzehnten hat Deutschland ein verfassungswidriges Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Zuletzt stellte die weitgehende Verschonung (85 Prozent bzw. 100 Prozent) beim Übergang von Personenunternehmen und anderen Familiengesellschaften einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG) dar. Großvermögen anderer Art waren nicht begünstigt. Ein Beispielsfall: Wer ein Familienunternehmen im Wert von 110 Mio. Euro erbte und daneben ein Bardepot i.H.v. 50 Mio. Euro, musste Erbschaftsteuer nur auf die 50 Mio. Euro zahlen (z.B. 30 Prozent, d.h. 15 Mio. Euro Erbschaftsteuer). Wer dagegen ein Wertpapierdepot i.H.v. 160 Mio. Euro erbte, unterlag damit in voller Höhe der Erbschaftbesteuerung (48 Mio. Euro Erbschaftsteuer).
Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 erforderlich
Für eine Ungleichbehandlung gibt es regelmäßig gute Gründe, insbesondere den Bestand des Unternehmens und die Erhaltung seiner Arbeitsplätze. Aber das alte Recht schoss über das Ziel hinaus. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte im Dezember 2014 vor allem, dass
- eine Verschonung von Betriebsvermögen unabhängig vom Bedürfnis des Erwerbers erfolgte,
- Vorgaben des alten Rechts nur allzu leicht umgangen werden konnten und
- Betriebe von bis zu 20 Mitarbeitern überhaupt keiner Prüfung des Schutzzwecks der Verschonung, nämlich der Sicherung von Arbeitsplätzen, unterlagen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber bis zum 30. Juni 2016 ein verfassungskonformes Gesetz verabschieden.
Referentenentwurf lässt Verschärfung des Rechts erkennen
Bundesfinanzminister Wolgang Schäuble hat das Erbschaftsteuerrecht seither zur Chefsache gemacht. Jetzt liegt der Gesetzentwurf seiner Referenten vor. Eine grundlegende Änderung des Konzepts der Erbschaft- und Schenkungsteuer soll nicht erfolgen. Es wird aber zu einer deutlichen Verschärfung kommen. Schon jetzt müssen an dem Steuermehraufkommen von „nur“ 200 Mio. Euro p.a. Zweifel angemeldet werden. Die Rechnung dürfte deutlich höher ausfallen. Auch wenn noch nicht feststeht, welche Änderungen an dem Gesetzentwurf bis zu dessen Einbringung ins Kabinett und schließlich im Bundestag vorgenommen werden, so ist der erste Aufschlag gemacht. Jetzt ist der Ball im Feld, und er wird in den nächsten Monaten sicher hin und her gedroschen werden. Schon im letzten Bundestagswahlkampf konnte man sehen, wie sich die Erbschaftsteuer aufs Feinste politisieren, emotionalisieren und skandalisieren lässt.
Anmerkungen aus Praktikersicht
Hier die nüchternen Fakten, mit ersten Anmerkungen aus Praktikersicht:
- Der Referentenentwurf verlangt eine Prüfung, ob der Erwerber „verschonungsbedürftig“ ist. Der Ansatz einer Verschonungsbedarfsprüfung ist grundsätzlich richtig. Im Ausgangsfall hätte der Unternehmenserbe die volle Erbschaftsteuer aus dem geerbten freien Vermögen bestreiten können. Künftig soll eine Verschonung insgesamt entfallen, wenn der Erwerber genügend sonstige Mittel zur Verfügung hat, um die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer zu tragen. Eigenes Vermögen des Erwerbers soll dabei einbezogen werden (was prinzipiell angemessen zu sein scheint, aber auch zu falschen Leistungsanreizen führen kann). Erst soweit 50 Prozent des freien Vermögens zur Bedienung der Erbschaftsteuer nicht ausreichen, erkennt der Gesetzgeber Verschonungsbedarf an. Im Ausgangsfall würde der Erwerb des Bardepots nun nicht mehr zur vollständigen Verschonung des Betriebsvermögens berechtigen. Denn der Erwerber muss 50 Prozent des freien Vermögens – also des Bardepots nach Entrichtung der darauf entfallenden Erbschaftsteuer – einsetzen.
- Problematisch ist, dass der Begünstigte für die Verschonung ggf. sein eigenes Vermögen offenlegen muss. Alternativ kann er stattdessen einen größenabhängigen Verschonungsabschlag in Anspruch nehmen. Dieser fällt bei Großvermögen aber deutlich geringer aus als der – bisher größenunabhängige – Abschlag von 85 Prozent (Regelverschonung) bzw. 100 Prozent (Optionsverschonung). Künftig sollen die Abschläge bei Erwerben über 20 Mio. Euro bis zur Schwelle von 110 Mio. Euro graduell abschmelzen und ab 110 Mio. Euro nur noch 25 Prozent bzw. 40 Prozent betragen. Hätte der Erwerber – ähnlich dem Ausgangsfall – ein Unternehmen im Wert von 110 Mio. Euro erworben und würde er sein übriges Vermögen nicht offenlegen wollen, könnte er künftig anstelle der Vollverschonung des Betriebsvermögens nur noch einen Abschlag von 40 Prozent in Anspruch nehmen. 60 Prozent unterliegen dann der Besteuerung; die steuerliche Belastung beträgt – vereinfacht – knapp 20 Mio. Euro.
- Die Zahl der Arbeitnehmer, bis zu der nicht nachgewiesen werden muss, wieviel Löhne im Unternehmen nach dem Vermögensübergang gezahlt werden (sog. Lohnsummentest), soll von 20 auf drei herabgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte kritisiert, dass der kleinere Mittelstand bislang einer weiteren Überprüfung der Lohnsumme nicht mehr unterliege, obgleich doch der Erhalt von Arbeitsplätzen der eigentliche Zweck der Vergünstigung ist. Somit muss der Gesetzgeber die Zahl herabsetzen. Die Zahl drei ist indes viel zu niedrig: Damit bleibt nur dem sprichwörtlichen „Kiosk an der Ecke“ der Lohnsummentest erspart. M.E. sollte man sich zumindest an der Zahl des Betriebsverfassungsgesetzes (fünf ständige Arbeitnehmer) orientieren.
- Die Verschonung soll nur für originäres Betriebsvermögen gewährt werden, und zwar auf konsolidierter Basis für die gesamte Unternehmensgruppe. Missbrauch soll über die Cash-GmbH hinaus vermieden werden. Dieser Ansatz ist prinzipiell sachgerecht und verfassungsrechtlich geboten. Allerdings reicht das neue Konzept über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weit hinaus. Die nähere Ausgestaltung wird man sorgfältig prüfen müssen.
Der erste Aufschlag zur Neuregelung des Erbschaftsteuergesetzes ist gemacht. Jetzt sind die Verbände und Berater gefragt, um die Unverträglichkeiten des Referentenentwurfs im einzelnen herauszuarbeiten. Bleibt zu hoffen, dass ein mittelstandsfreundliches, verfassungskonformes Gesetz dabei heraus kommt. Für Familienunternehmen steht aber bereits fest: Es wird deutlich teurer.