Wer einen etwas weiteren Blick auf die Entwicklung des Steuerrechts in den vergangenen Jahren wirft, muss feststellen, dass der Gesetzgeber sich scheinbar in kleinteiligen Regelungen verliert. Größere Reformvorhaben vergleichbar den Unternehmenssteuerreformen von 2000/2001 (Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren) oder 2007 (u. a. Einführung der Zinsschranke und der Abgeltungsteuer) scheint es nicht mehr zu geben. Bei näherem Hinsehen ist aber gleichwohl ein Umbruch im Gange: Man konzentriert sich stärker darauf, bestehende Gesetze durchzusetzen, als immerfort das System als Ganzes zu ändern.
Vollzugsdefizit
Im Steuerrecht liegt das Defizit aus Sicht der Finanzbehörden zumeist darin, dass ihnen steuerrelevante Sachverhalte schlicht nicht bekannt sind. Eine prominente „Ohrfeige“ verteilte insoweit das Bundesverfassungsgericht, das im Jahre 2004 auf die Verfassungsbeschwerde des renommierten Steuerprofessors Klaus Tipke entschied, dass die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig und nichtig sei (BVerfG, Urteil vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02; BVerfGE 110 S. 94 = DB0045334). Letztlich ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber und Finanzverwaltung, sich um eine effektive Durchsetzung der bestehenden Steuerregeln zu kümmern.
Die Einführung der Abgeltungsteuer zum Jahre 2009 kann daher als ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg gesehen werden. Weiterer wichtiger Baustein ist der grenzüberschreitende Informationsaustausch. Hier ist die Bundesregierung auf Ebene der EU, aber auch im Rahmen der OECD eine treibende Kraft. Hinzu kommt, dass auch andere Länder sich mit vergleichbaren Problemen konfrontiert sehen.
Von FATCA zum Common Reporting Standard
Es wäre nun müßig und würde auch den Umfang dieses Beitrags sprengen, sämtliche Maßnahmen aufzuzählen, die in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht ergriffen wurden. Das Augenmerk soll stattdessen auf einen – rückblickend betrachtet – wichtigen Meilenstein, nämlich die sehr kontrovers diskutierte FATCA-Gesetzgebung der USA gerichtet werden, die auch schon mehrfach Gegenstand dieses Blogs war (vgl. Dorfmueller; Buge; Bujotzek). Stein des Anstoßes war die – in der Tat hochproblematische – Inpflichtnahme ausländischer Finanzinstitute für Zwecke der US-Besteuerung aufgrund unilateraler Maßnahmen der USA.
Möglicherweise wäre dieses Unterfangen auch gescheitert, hätten die Amerikaner nicht parallel noch eine multilaterale Lösung zur Implementierung von FATCA gesucht und gefunden: den Abschluss zwischenstaatlicher Abkommen mit einer Vielzahl von Ländern zur Implementierung von FATCA in deren jeweiliger Rechtsordnung. Bemerkenswert ist insoweit die Gemeinsame Erklärung der USA und der sog. „EU 5“ (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien) vom 7. Februar 2012 anlässlich der Vorstellung des FATCA-Musterabkommens. Dort findet sich die Aussage, dass FATCA zu einem Modell des internationalen Informationsaustauschs werden soll.
Dies kann als Startschuss für eine Entwicklung gesehen werden, an deren Ende der sog. Common Reporting Standard der OECD (CRS) steht. Am 29. Oktober 2014 unterzeichneten 51 sog. Early Adopter am Rande der steuerlichen Jahrestagung in Berlin eine multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen, der der CRS zugrunde liegt. Getreu der gemeinsamen Erklärung von 2012 lehnt sich der CRS stark an die Systematik von FATCA bzw. des FATCA-Musterabkommens an.
Und auch die EU ist nicht tatenlos: Am 9. Dezember 2014 beschloss sie die Richtlinie 2014/107/EU. Inhaltlich geht es darum, die bereits existierende sog. EU-Amtshilferichtlinie für den automatisierten Informationsaustausch im Sinne des CRS zu öffnen.
Wie geht es weiter?
Geplant ist, die Richtlinie 2014/107/EU zum 1. Januar 2016 in Kraft treten zu lassen. Das würde bedeuten, dass erstmalig zum 30. September 2017 Informationen in Bezug auf das Jahr 2016 ausgetauscht werden.
Auf die betroffenen Finanzinstitute kommt damit, nachdem FATCA gerade erst implementiert wurde, erneuter Compliance-Aufwand zu. Denn die Idee hinter EU-FATCA ist – vereinfacht gesprochen – dass Finanzinstitute nicht mehr nur zwischen US-Kunden und Nicht-US-Kunden differenzieren, sondern vielmehr jeder Kunde ein Ansässigkeitsmerkmal erhält. Es sind sodann über sämtliche Kunden, die bereits jetzt unter FATCA für US-Kunden zu meldenden Informationen an eine innerstaatliche Behörde (in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit das Bundeszentralamt für Steuern) zu übermitteln. Diese leitet dann anhand des Ansässigkeitsmerkmals die Informationen an die zuständige Behörde des jeweiligen Staates weiter.
Insoweit ist die stake Anlehnung an FATCA sicherlich positiv zu beurteilen. Denn die Finanzinstitute müssen nicht komplett neue Prozesse implementieren und ggf. parallel zu den FATCA-Prozessen ablaufen lassen. Nichtsdestotrotz ist der Mehraufwand nicht zu unterschätzen. Denn unter FATCA müssen nur US-Kunden gemeldet werden. Das dürfte sich ändern, sobald die Richtlinie bzw. der CRS greift.
In diesem Zusammenhang muss allerdings kritisch hinterfragt werden, ob diese Entwicklung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen noch vereinbar ist. Letztlich lagert die Finanzverwaltung damit einen Großteil ihrer originären Arbeit auf Private aus. Dahinter steht – wie etwa bei der Abgeltungsteuer zu beobachten – auch die klare Intention, die Steuererhebung zu vereinfachen. Damit wird aber auch vermehrt die Anwendung der Steuergesetze auf den Einzelfall auf die Kreditwirtschaft verlagert.
Dies ist aus Sicht der Steuerpflichtigen problematisch, weil es dadurch schwieriger wird, diese Rechtsanwendung gerichtlich überprüfen zu lassen. Problematisch ist dies aber auch aus Sicht der Kreditwirtschaft, weil damit immense Kosten verbunden sind, die eigentlich für eine originär staatliche Tätigkeit aufgewendet werden, ohne hierfür eine Kompensation zu erhalten. Gegen den Kampf gegen Steuerhinterziehung wird man – abstrakt – kaum etwas einzuwenden haben. Gegen die konkret zur Verfolgung dieses Ziels ergriffenen Maßnahmen allerdings sehr wohl. Hier wird man in Zukunft die Verhältnisse neu auszutarieren haben.