Die Hinzurechnungsbesteuerung „passiver“ Einkünfte ausländischer Kapitalgesellschaften, die in einem Niedrigsteuerland ansässig sind (§§ 7 ff. AStG), ist vielen Beratern aus der Praxis bekannt – die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft wird damit durchbrochen. Weniger bekannt ist, dass es eine ähnliche Regelung für inländische Begünstigte ausländischer Familienstiftungen und Trusts gibt, deren steuerliche Folgen viel dramatischer sind (§ 15 AStG). Zum einen bedarf es für diese sog. Zurechnungsbesteuerung keiner niedrigen Besteuerung im Ausland, zum anderen werden auch „aktive“ Einkünfte zugerechnet. Fatal wirkt sich dabei eine Vorschrift aus, die dem inländischen Begünstigten die Berufung auf die deutschen DBA versagt (§ 20 Abs. 1 AStG).
Verhinderung der Steuer- und Kapitalflucht („outbound“-Szenarien)
Mit der Zurechnungsbesteuerung will der Gesetzgeber verhindern, dass durch Übertragung von Vermögen auf ausländische Stiftungen oder Trusts das deutsche Besteuerungsrecht an den Erträgen dieses Vermögens endet. Mit dieser Zielsetzung war die Regelung 1931 als Notreaktion auf die immensen Vermögensabflüsse ins Ausland im Zuge der Weltwirtschaftskrise geschaffen worden (RGBl. 1931 S. 449). Obzwar sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten seitdem erheblich gewandelt haben, hat die Grundkonzeption der Zurechnungsbesteuerung bis heute überdauert. Angesichts eines immer dichteren Netzes deutscher DBA wurden dabei zunehmend Zweifel an der Vereinbarkeit der Zurechnungsbesteuerung mit den DBA laut. Eine Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung findet sich erst seit 2009 und nur für bestimmte Stiftungen und Trusts mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem EU- oder EWR-Staat (§ 15 Abs. 6 AStG).
Vorrang vor den DBA
Mit Steueränderungsgesetz vom 25.02.1992 hat der Gesetzgeber § 20 Abs. 1 AStG geschaffen, demzufolge § 15 AStG durch die DBA „nicht berührt“ wird (sog. „treaty override“). Dadurch wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass Steuerpflichtige, die unter Zwischenschaltung einer ausländischen Stiftung oder eines Trusts Steuersubstrat ins Ausland verlagern, sich nicht auf die Vorzüge eines DBA berufen können. Nach Ansicht von Teilen des Schrifttums steht § 15 AStG als Vorschrift zur Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen ohnehin nicht im Widerspruch zu den DBA, weil letzteren stets ein ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt inhärent sei.
Der Gesetzgeber selbst scheint zu ahnen, dass diese pauschale Argumentation der Missbrauchsverhütung häufig fehlgeht: In jüngeren DBA finden sich ausdrückliche Vorbehalte für die deutsche Zurechnungsbesteuerung, welche § 20 Abs. 1 AStG leerlaufen lassen (z.B. Art. 1 Abs. 6 DBA USA, Art. 31 Abs. 4 Buchst. c DBA Liechtenstein). Das zugrundeliegende steuerpolitische Problem – nämlich die deutsche Besteuerung von Sachverhalten, die sich nicht in das gesetzgeberische Paradigma von Steuerflucht und Steuervermeidung einordnen lassen – wird damit nicht gelöst, sondern nur verschleiert.
Problem 1: Zurechnungsbesteuerung trifft zunehmend „inbound“-Szenarien
Das deutsche Steuerrecht ist vielfach von der Annahme geprägt, dass die Abwanderung von Personen oder Vermögen das für Deutschland typische Migrationsszenario ist; es verfolgt demgemäß das Ziel, im Zeitpunkt des „Wegzugs“ eine Schlussbesteuerung durchzusetzen oder das deutsche Besteuerungsrecht nach dem „Wegzug“ weiter aufrechtzuerhalten. Der Wortlaut von § 15 AStG beschränkt sich jedoch nicht auf die Erfassung dieser „outbound“-Szenarien, sondern unterwirft auch Zuzugsfälle, in denen keine „Steuer- oder Kapitalflucht“ aus Deutschland stattgefunden hat, der sofortigen Besteuerung.
Beispiel 1:
Ausländer X ist einziger Begünstigter einer Familienstiftung mit Sitz in seinem Herkunftsland (Drittstaat), die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft hat. Die Einkünfte der Stiftung werden im Herkunftsland regulär und (aus deutscher Sicht) nicht niedrig besteuert. Im Jahr 2015 zieht X dauerhaft nach Deutschland. Nach dem DBA des Herkunftslands mit Deutschland steht das Besteuerungsrecht an Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft dem Herkunftsland zu, Deutschland stellt diese von der Besteuerung frei.
Aus § 15 i.V.m. § 20 Abs. 1 AStG ergibt sich, dass X die Einkünfte der Stiftung ungeachtet der DBA-Freistellung in Deutschland versteuern muss, obschon diese Einkünfte bereits im Herkunftsland versteuert wurden. Es kommt somit zur Doppelbesteuerung, obwohl nachweislich keine missbräuchliche Gestaltung gegeben ist. Nach der Rechtsprechung ist für die Anwendung von § 15 AStG auch kein Rechtsmissbrauch nötig, da die Vorschrift lediglich typisierend bestimmte unerwünschte Sachverhalte erfasst (BFH vom 25.04.2001 – II R 14/98, ZEV 2001 S. 498; vom 22.12.2010 – I R 84/09, DB 2011 S. 1086). Demnach genügt der bloße Zuzug nach Deutschland, um die Zurechnungsbesteuerung auszulösen. Das mag rechtssystematisch korrekt sein, rechtspolitisch ist dies eine höchst abschreckende Botschaft an Zuzugswillige.
Problem 2: Verdrängung der Ansässigkeitsregeln der DBA?
Die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund Wohnsitzes in Deutschland (§ 8 AO) sind niedrig: Es genügt eine kleine Mietwohnung im Inland, die der Steuerpflichtige jederzeit nutzen kann; auf die tatsächliche Aufenthaltsdauer kommt es nicht an. Viele Ausländer, die sich nur befristet in Deutschland aufhalten – etwa zu Arbeits-, Forschungs- oder Studienzwecken – unterliegen daher der unbeschränkten Steuerpflicht einschließlich des § 15 AStG. Aus Sicht der DBA bleiben diese Personen jedoch in ihrem Herkunftsland ansässig, wenn sie ihre Wohnung dort nicht aufgeben und die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dorthin haben (Art. 4 DBA, sog. „tie breaker“).
Beispiel 2:
Ausländer X ist einziger Begünstigter eines Trust mit Geschäftsleitung in New York, der Einkünfte aus Vermietung von US-Immobilien erzielt. Diese Einkünfte werden in den USA regulär versteuert. 2015 zieht X für 15 Monate nach München, um dort an einem Forschungsprojekt mitzuarbeiten. Seine Wohnung in New York und seine Anstellung bei einem US-Arbeitgeber behält X unverändert bei, sein Freundeskreis und seine Verwandten leben in den USA. Einkünfte aus deutschen Quellen hat X nicht.
Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA USA ist X nur in den USA ansässig. Es stellt sich aber die Frage, ob § 20 Abs. 1 AStG auch die Anwendung der DBA-Ansässigkeitsregeln verdrängt. Folge wäre, dass X allein für Zwecke der Zurechnungsbesteuerung in Deutschland steuerpflichtig würde. Diese Frage ist bislang ungelöst, m.E. aber klar zu verneinen:
- Die Zurechnungsbesteuerung bezweckt, Einkünfte ausländischer Stiftungen so zu besteuern, wie wenn die Stiftung nicht bestünde. Sie kann folglich nicht weiter reichen als die Besteuerung bei persönlicher Erzielung der Einkünfte durch den Steuerpflichtigen selbst. Bei persönlicher Erzielung durch den Steuerpflichtigen käme aber der „tie breaker“ des DBA zur Anwendung und Deutschland hätte kein Besteuerungsrecht.
- Besteht bereits im inbound-Szenario (Beispiel 1) mangels „Steuer- und Kapitalflucht“ kein Anlass für die Zurechnungsbesteuerung, gilt dies erst recht, wenn ein Ausländer aus Sicht der DBA noch nicht einmal das Stadium der Ansässigkeit in Deutschland erreicht hat.
- DBA-Vorbehalte für die Zurechnungsbesteuerung (z.B. Art. 1 Abs. 6 DBA USA) beschränken diese auf in Deutschland „ansässige“ Personen im Sinne der Ansässigkeitsregeln der DBA und lassen den bloßen Wohnsitz in Deutschland folglich nicht genügen. Eine aus Sicht der DBA nicht in Deutschland ansässige Person unterliegt danach nicht der Zurechnungsbesteuerung.
Fazit
Die Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Stiftungen und Trusts schießt weit über das Ziel einer Sicherung der deutschen Besteuerung hinaus. Da sich Deutschland in den letzten Jahrzehnten vom Auswanderungsland zum Zuzugsland entwickelt hat, besteht in vielen der heute von § 15 AStG erfassten Fällen kein Anlass zur Missbrauchsabwehr. Vielmehr stellt die Zurechnungsbesteuerung ein ernsthaftes Zuzugshindernis für begüterte Ausländer dar, das sich mit der vielbeschworenen „Willkommenskultur“ nicht vereinbaren lässt. Bei (nach DBA-Regeln) fehlender Ansässigkeit in Deutschland sollte eine Zurechnungsbesteuerung ohnehin nicht möglich sein – alles andere käme einer rechtsmissbräuchlichen Gesetzesanwendung gleich. Aber auch über diese Fallgruppe hinaus ist es erwägenswert, den „treaty override“ des § 20 Abs. 1 AStG für die Zurechnungsbesteuerung abzuschaffen. Der Gesetzgeber hat diesen Weg in manchen DBA vorgezeichnet, welche einen Vorbehalt nur für die Hinzurechnungsbesteuerung passiver Einkünfte (§§ 7 ff. AStG), nicht aber für die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG enthalten (z.B. Art. 45 Abs. 2 Buchst. b DBA Dänemark, Ziffer 8 Buchst. a Doppelbuchst. bb Protokoll DBA Belarus).