Am 14.10.2015 hat der BFH die Entscheidung vom 22.04.2015 (IV R 13/12, DB1160935) zur Ermittlung des Gegenstandswerts einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung (§ 89 AO) veröffentlicht. Die Entscheidung betrifft die durch die Rechtsprechung bislang noch nicht entschiedene Frage, ob der Ermittlung des Gegenstandswerts eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt werden kann. In der Entscheidung vom 30.03.2011 (I R 61/10, DB0416934) hatte der I. Senat die Verfassungsmäßigkeit der Gebührenpflicht dem Grunde nach bestätigt, die Ermittlung des Gegenstandswerts war in dem Verfahren hingegen nicht streitig. In der Praxis stellt sich die Gebührenermittlung erfahrungsgemäß als diskussionsbehaftetes Gebiet dar. Für die steuerliche Gestaltungspraxis ist die aktuelle Entscheidung des IV. Senats daher von erheblicher praktischer Relevanz.
BFH bestätigt Veranlagungszeitraum bezogene Ermittlungsmethodik der Finanzverwaltung
Um es vorwegzunehmen: Der im Steuerboard-Beitrag vom 23.07.2012 (vgl. von Freeden, Steuerboard vom 23.07.2012) zu der Entscheidung der Vorinstanz (FG Münster vom 15.02.2012 – 12 K 5002/07 AO) geäußerten Hoffnung, dass sich der BFH bei der Ermittlung des Gegenstandswerts auf die Seite der Steuerpflichtigen schlägt, hat der BFH eine klare Absage erteilt. Der BFH hat vielmehr die von der Finanzverwaltung in Tz. 4.2.2. des AEAO zu § 89 vertretene streng Veranlagungszeitraum bezogene Ermittlungsmethodik bestätigt.
Ermittlung des Gegenstandswerts nach dem steuerlichen Interesse
Die gesetzlichen Regelungen zur Ermittlung des Gegenstandswerts fallen knapp aus: Gemäß § 89 Abs. 4 Satz 1 AO wird die Gebühr für die Bearbeitung eines Antrags auf verbindliche Auskunft nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert). Einzelheiten zur Ermittlung des Gegenstandswerts regelt das Gesetz allerdings nicht. Die Finanzverwaltung bestimmt den Gegenstandswert anhand eines Vergleichs zwischen den steuerlichen Auswirkungen, die gemäß der Rechtsauffassung des Antragstellers eintreten, mit denen, die entstehen würden, wenn die Finanzverwaltung eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten würde. Dabei berücksichtigt die Finanzverwaltung im Rahmen des Vergleichs nur die steuerlichen Auswirkungen, die sich unmittelbar in dem entsprechenden Veranlagungszeitraum ergeben.
Im Streitfall waren die Rechtsfragen des von der Klägerin (einer GmbH & Co. KG) gestellten Antrags auf verbindliche Auskunft auf die Klärung der steuerlichen Folgen der Anwachsung einer KG gerichtet. Ausgehend von Tz. 4.2.2 des AEAO zu § 89 stellte die Finanzverwaltung für die Ermittlung des Gegenstandswerts auf die Steuerschuld ab, die sich ergeben hätte, falls die beabsichtigte Anwachsung – entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin – unter Aufdeckung stiller Reserven abzuwickeln wäre.
FG Münster: Veranlagungszeitraum übergreifende Ermittlung der steuerlichen Auswirkungen
Diesem Ergebnis ist das FG Münster in der Vorentscheidung mit der m.E. zutreffenden Überlegung entgegengetreten, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der von der Klägerin gestellten Rechtsfragen nicht auf einen Veranlagungszeitraum beschränkt sind, sondern (gegenläufige) steuerliche Auswirkungen in den folgenden Veranlagungszeiträumen entfalten. Unter diesem Aspekt ist es konsequent, der Ermittlung des „Werts“, den die verbindliche Auskunft für die Klägerin hat, eine den Veranlagungszeitraum übergreifende Ermittlung der steuerlichen Auswirkungen zugrunde zu legen. Konkret bedeutet dies aus Sicht des FG Münster, dass es sich bei dem Gegenstandswert um eine Saldogröße handelt: Die Steuerschuld aus der Abwicklung der Anwachsung unter Aufdeckung stiller Reserven ist um das (zukünftige) potenzielle Steuerminderungspotenzial aus der Abschreibung aufgedeckter stiller Reserven in den folgenden Veranlagungszeiträumen zu vermindern.
Die Überlegungen des FG Münster zur Ermittlung des Gegenstandswerts stellen sich zudem auch in zahlreichen anderen Konstellationen: Ist die Rechtsfrage eines Auskunftsantrags bspw. auf die Auswirkungen einer Transaktion auf die steuerliche Wertigkeit von Verlust- und Zinsvorträgen gerichtet, sind Fälle bekannt, in denen die Finanzverwaltung den Gegenstandswert durch die schlichte Multiplikation des festgestellten Verlust- und Zinsvortrags mit dem Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuersatz ermittelt. Hierdurch wird weder die Einschränkung der Verlustnutzung in einem Veranlagungszeitraum durch die Mindestbesteuerung noch die Tatsache berücksichtigt, dass aus einer Nutzung des Zinsvortrags in voller Höhe in einem Veranlagungszeitraum – mangels entsprechender positiver Erträge – eine Transformation in einen Verlustvortrag resultieren kann. Gegenläufige Effekte sind zudem auch bei Einbringungssachverhalten in organschaftlich angebundene Kapitalgesellschaften denkbar.
BFH: Keine wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Ermittlung des Gegenstandswerts
Vor dem Hintergrund, dass dies von Finanzämtern z.T. anders gesehen wird, ist es zunächst zu begrüßen, dass der BFH in der Entscheidung klarstellt, dass für die Bearbeitung des Antrags nur eine Gebühr zu erheben ist, denn der Antrag bezieht sich auf die Bearbeitung „eines Sachverhalts“ (§ 89 Abs. 3 Satz 1 AO). Einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der Ermittlung des Gegenstandswerts hat der BFH hingegen eine klare Absage erteilt. Aus dem Verweis des § 89 Abs. 5 AO auf die entsprechende Anwendung der Regelungen über die Wertgebühren in § 34 GKG schließt der BFH, dass die Gebühr nach den Grundsätzen der gerichtlichen Streitwertermittlung zu bestimmen ist. Eine Gegenrechnung zukünftiger Steuerentlastungen bei der Ermittlung des Gegenstandswerts ist damit ausgeschlossen. Somit bleibt unberücksichtigt, dass sich ein Klageverfahren nur auf den konkreten Verwaltungsakt bezieht, während eine verbindliche Auskunft die steuerlichen Auswirkungen einer Sachverhaltsgestaltung über den gesamten Planungshorizont betrifft. Sind, wie im Streitfall, die steuerlichen Auswirkungen einer Rechtsfrage im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Feststellung zu ziehen, so bedeutet dies aber auch, dass die steuerlichen Auswirkungen – im Rahmen einer typisierten Betrachtung – mit 25 Prozent des steuerlichen Gewinns zu bemessen sind soweit dies aufgrund der Höhe der festzustellenden Gewinnanteile nicht zu einem offenkundig unzutreffenden Ergebnis führt (was im Streitfall allerdings der Fall war). Insoweit sind Fälle denkbar, in denen aus der typisierten Betrachtungsweise, neben dem Vereinfachungseffekt, niedrigere Gegenstandswerte resultieren.
Verminderung des Gestaltungsspielraums bei der Ermittlung des Gegenstandswerts
Nachdem der I. Senat mit der Entscheidung vom 30.03.2011 das „Äquivalenzprinzip“ (Gebührenhöhe muss in einem angemessenen Verhältnis zum Kostenaufwand der Finanzverwaltung stehen) verworfen hat, stützt die aktuelle Entscheidung des IV. Senats die von der Finanzverwaltung vertretene streng Veranlagungszeitraum bezogene Ermittlungsmethodik. Auch wenn dem Steuerpflichtigen hinsichtlich des Gegenstandswerts ein „Einschätzungsrecht“ zukommt, wird der Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Gegenstandswerts zukünftig kleiner. Die von einigen Finanzgerichten veröffentlichten Streitwertkataloge, die den Charakter von Richtwerten haben, verdeutlichen zudem, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen zu unterscheiden sind. Zwangsläufig einfacher wird die Ermittlung des Gegenstandswerts damit nicht.