Neues zum Familienheim: BFH gewährt Begünstigungstransfer bei unverzüglicher Selbstnutzung und späterer Erbauseinandersetzung

RA/StB Dr. Katharina Hemmen, LL.M., P+P Pöllath + Partners, Frankfurt/M.

RA/StB Dr. Katharina Hemmen, LL.M., P+P Pöllath + Partners, Frankfurt/M.

Nachdem der BFH die Begünstigungsvorschriften zum Familienheim zuletzt sehr restriktiv auslegte (vgl. z.B. zur Versagung der Begünstigung bei Übertragung eines Wohnungsrechts Viskorf, Steuerboard vom 01.09.2014), hat er jüngst entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung zugunsten des Erwerbers eines Familienheims entschieden. Er gewährte einem Miterben die volle Begünstigung für ein Familienheim, obwohl die Erbauseinandersetzung nicht zeitnah zum Erbfall erfolgte (BFH, Urteil vom 23.06.2015 – II R 39/13, RS1123000).

Die Begünstigungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem bebauten Grundstück durch Kinder des Erblassers steuerfrei, soweit

  • der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert war,
  • die Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und
  • die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt.

Der aktuelle BFH-Fall zur Erbauseinandersetzung

In dem vom BFH zu entscheidenden Fall bewohnte der Erblasser zusammen mit seiner Tochter eine Wohnung in einem ihm gehörenden Zweifamilienhaus bis zu seinem Tod. Er wurde von seiner Tochter und seinem Sohn jeweils hälftig beerbt. Etwa ein Jahr nach dem Tod seines Vaters zog der Sohn mit seiner Familie in die von seinem Vater und seiner Schwester vormals bewohnte Wohnung ein. Ein weiteres Vierteljahr später schlossen die beiden Erben einen notariellen Erbvertrag, nach dem der Sohn das Zweifamilienhaus zu Alleineigentum und die Tochter dafür andere Grundstücke aus dem Nachlass erhalten sollte. Das Finanzamt gewährte dem Sohn die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG für die selbstgenutzte Wohnung und die des § 13c Abs. 1 ErbStG jeweils nur entsprechend seiner Erbquote zur Hälfte. Hiergegen klagte der Sohn vor dem FG Niedersachsen mit Erfolg. Die Revision des Finanzamts wies der BFH zurück.

Die zeitlichen Komponenten des Begünstigungstransfers: unverzügliche Nutzung zu eigenen Wohnzwecken erforderlich …

Der BFH stützte seine Entscheidung auf § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG. Danach wird ein Dritter (auch Miterbe), der im Rahmen einer Nachlassteilung für die Übertragung eines begünstigten Familienheims vom Erblasser erworbenes nicht begünstigtes Vermögen, z.B. Wertpapiere oder Bankguthaben, an den Erben hingibt, erbschaftsteuerlich so gestellt, als habe er von Anfang an dieses begünstigte Vermögen erworben. Der Wert des begünstigten Vermögens des Dritten erhöht sich um den Wert des hingegebenen Vermögens (höchstens jedoch um den Wert des übertragenen Vermögens). Es wird also ein Begünstigungstransfer zwischen dem Erben und dem nachfolgenden Erwerber zugelassen. Für die Bestimmung, was begünstigtes und was nicht begünstigtes Vermögen ist, kommt es auf die Verhältnisse bei dem Dritten bzw. Miterben an.

Voraussetzung für die Begünstigung als Familienheim ist, dass der Erwerber die Wohnung des Erblassers unverzüglich zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmt. Diese Absicht als innere Tatsache, so stellt der BFH heraus, müsse sich durch den äußeren Umstand des Einzugs in die Wohnung feststellen lassen (vgl. mit Beispielen OFD Rheinland, Kurzinformation vom 04.07.2012, DB 2012 S. 1653).

Unverzüglich, d.h. nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern, sei innerhalb eines nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeitraums. Für insoweit angemessen hält der BFH einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach dem Erbfall. Aber auch eine später beginnende Selbstnutzung, so der BGH, könne im Einzelfall als unverzüglich angesehen werden, wenn der Erwerber darlege und glaubhaft mache, zu welchem Zeitpunkt er sich zum Einzug entschlossen habe, warum ein tatsächlicher Einzug nicht früher möglich war und warum er dies nicht zu vertreten habe. Ein Grund für eine vom Erwerber nicht zu vertretende Verzögerung könne z.B. eine Erbauseinandersetzung zwischen Miterben sein.

… aber nicht zwingend zeitnahe Erbauseinandersetzung

Nach Auffassung der Finanzverwaltung wird der Begünstigungstransfer nur gewährt, wenn die freie Erbauseinandersetzung zeitnah zum Erbfall erfolgt (R E 13.4 Abs. 5 Satz 11 ErbStR). Als zeitnah erkennt sie eine Erbauseinandersetzung innerhalb von sechs Monaten an (H E 13.4 ErbStH „freie Erbauseinandersetzung“).

Hiergegen wendet sich der BFH in seinem aktuellen Urteil ausdrücklich. Wenn die grundsätzliche Sechsmonatsfrist für die Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken eingehalten werde, sei der Begünstigungstransfer unabhängig davon zu gewähren, ob die Erbauseinandersetzung zeitnah zum Erbfall erfolge.

Parallelregelung in § 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG

Der BFH gewährte dem Kläger gleichzeitig den verminderten Wertansatz für die vermietete Wohnung auf dem Grundstück des Erblassers in vollem Umfang. Er stützte dies auf die in § 13c Abs. 2 Satz 3 ErbStG enthaltene parallele Regelung des Begünstigungstransfers für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke.

Praxishinweis

Das Urteil erweitert die Begünstigungsmöglichkeiten insbesondere für Nachlässe mit einer Immobilie, die der Erblasser bis zu seinem Tod zu eigenen Wohnzwecken selbst genutzt hat bzw. die er aus zwingenden Gründen, z.B. wegen Pflegebedürftigkeit, nicht mehr bis zu seinem Tod zu eigenen Wohnzwecken selbst nutzen konnte. Wichtig ist, dass der Erwerber grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall zu eigenen Wohnzwecken in das Familienheim einzieht. Selbst wenn die Erbauseinandersetzung wegen eines komplexen Nachlasses oder wegen Streitigkeiten zwischen den Miterben erst später erfolgt, kann der Erwerber dann durch Begünstigungstransfer die volle Verschonung des Familienheims erreichen. Zu beachten ist, dass die Steuerbefreiung rückwirkend entfällt, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erbfall nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, dass er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist.

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