Offene und geschlossene Fonds in der Erbschaftsteuer – Besteuerung des gemeinen Werts?

RA/StB/FAStR Dr. Jens Escher, KPMG AG, Düsseldorf

RA/StB/FAStR Dr. Jens Escher, KPMG AG, Düsseldorf

In der erbschaftsteuerlichen Beratungspraxis ist immer wieder festzustellen, dass der im Veräußerungsfall tatsächlich erzielbare Preis eines zum Nachlass gehörenden Gegenstands von der Finanzverwaltung nicht zwingend als Obergrenze der Bewertung angesehen wird. Diskussionen über den maßgeblichen „gemeinen Wert“ ergeben sich besonders häufig, wenn zum Nachlass Anteile an geschlossenen Fonds (z.B. einem Immobilien- oder Private Equity-Fonds in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG) gehören. Zwei jüngere FG-Entscheidungen zeigen, dass sich die Frage einer Überbewertung auch bei Anteilen an offenen Fonds (offene Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 4 KAGB) stellen kann.

 

FG-Urteile zur Bewertung offener Fonds

Das FG Hessen (Urteil vom 16.02.2016 – 1 K 1161/15, EFG 2016 S. 790, rkr.) hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem zum steuerpflichtigen Nachlassvermögen Anteile an einem offenen Immobilienfonds gehörten, bei dem die Rücknahme der Anteile für einen Zeitraum von zwei Jahren, in welchen auch der Erbfall fiel, vom Fondsmanagement ausgesetzt war. Ein Rücknahmepreis für die Anteile wurde gleichwohl ermittelt. Dieser Wert wurde vom Finanzamt auch der Besteuerung zugrunde gelegt. Die Klägerin machte hiergegen geltend, dass der bei einem Verkauf über die Börse am Bewertungsstichtag erzielbare Kurswert geringer gewesen wäre; dieser sei daher der Besteuerung zugrunde zu legen.

Das FG Münster hatte ein solches Vorgehen in einer ähnlichen Konstellation im Urteil vom 15.01.2015 (3 K 1997/14 Erb, EFG 2015 S. 73, rkr.) abgelehnt. Die Bewertung richte sich zwingend nach § 11 Abs. 4 BewG, wonach Anteile an offenen Fonds „mit dem Rücknahmepreis anzusetzen“ seien. Insoweit liege eine abschließende Sonderregel vor, deren Wortlaut keine Ausnahme zulasse. Die Tatsache, dass für die Fondsanteile am erbschaftsteuerlichen Stichtag nicht der Rücknahmepreis, sondern nur ein geringerer Kurs im Rahmen des börslichen Handels erzielbar war, sei deswegen für Zwecke der Erbschaftsteuerfestsetzung unbeachtlich.

Dies sah das FG Hessen im aktuellen Urteilsfall anders: Zwar enthalte § 11 Abs. 4 BewG eine besondere Regelung zur Bewertung von Anteilen an offenen Investmentfonds. Im Anschluss an im Urteil zitierte BFH-Rechtsprechung argumentierte das FG jedoch, die Vorschriften der §§ 10 bis 16 BewG enthielten für bestimmte Bewertungsgegenstände lediglich typisierende Regelungen, die zu einem dem „gemeinen Wert“ i.S.d. § 9 Abs. 2 BewG vergleichbaren Wert führten. Diese könnten nicht herangezogen werden, wenn das Ergebnis nachweislich nicht den gemeinen Wert repräsentiere. Im Urteilsfall seien die Anteile daher nicht mit dem veröffentlichten Rücknahmepreis, sondern mit dem zum Bewertungsstichtag im Rahmen des Freiverkehrs festgestellten niedrigeren Börsenkurs zu bewerten. Die fehlende Möglichkeit, die Anteilscheine zum Rücknahmepreis zu liquidieren, stelle einen preisbeeinflussenden Umstand i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 2 BewG dar. Das Urteil ist rechtskräftig, die zunächst eingelegte Revision wurde zurückgenommen (Beschluss vom 14.04.2016 – II R 11/16).

Gemeiner Wert als maßgebliches Bewertungsziel

Der Entscheidung des FG Hessen ist m.E. uneingeschränkt zuzustimmen. Spätestens seit der BVerfG-Entscheidung vom 07.11.2006 (1 BvL 10/02, BStBl. II 2007 S. 192 = DB 2007 S. 320) ist abschließend geklärt, dass die erbschaftsteuerliche Bewertung einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausgerichtet sein muss. Die durch den Erwerb eines nicht in Geld bestehenden Wirtschaftsguts vermittelte Bereicherung wird durch den bei einer Veräußerung unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis – den gemeinen Wert i.S.d. § 9 Abs. 2 BewG – bemessen. Nur dieser, so das BVerfG, bildet den durch den Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Besteuerung.

Maßgeblich für die Bewertung kann und muss daher ausschließlich der am Stichtag (§§ 9, 11 ErbStG) bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr realisierbare Wert sein. Ein Rücknahmepreis, der dem auf den Fondsanteil entfallenden Anteil am Sondervermögen zum Stichtag zwar entsprechen mag, der vom Anteilsinhaber infolge einer Aussetzung der Rücknahme jedoch nicht realisierbar ist, wird dem gesetzlichen Bewertungsziel nicht gerecht. Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbare Preis, mithin der gemeine Wert, wird in diesem Fall ausschließlich durch den erzielbaren Börsenkurs zum Stichtag repräsentiert.

Zum Vergleich: Situation bei geschlossenen Fonds

Die Problematik eines vom Investor nicht unmittelbar realisierbaren „Substanzwertes“ ergibt sich in nahezu jedem Fall, in dem zum Nachlassvermögen Anteile an geschlossenen Fonds gehören. Hier hat der Investor schon im Grundsatz kein Rückgaberecht hinsichtlich seines Anteils. Seitens des Fonds wird der Wert des Fondsvermögens („Net Asset Value“) zwar regelmäßig festgestellt. Dieser kann vom Anleger jedoch in aller Regel zum erbschaftsteuerlichen Stichtag nicht realisiert werden, sondern faktisch kann der Anteil häufig nur mit hohen Abschlägen am – nicht organisierten – Zweitmarkt veräußert werden.

Branchenübliche Bewertungsmethoden (gem. §§ 109 Abs. 2, 11 Abs. 2 Satz 2 BewG auch für die erbschaftsteuerliche Bewertung einer gewerblichen Personengesellschaft relevant) sehen häufig vor, dass vom seitens des Fonds mitgeteilten Net Asset Value Abschläge vorgenommen werden, z.B. Minderheitsabschläge oder Fungibilitätsabschläge. Nicht selten wird dem von der deutschen Finanzverwaltung jedoch entgegen gehalten, dass es sich insoweit um aus „persönlichen Verhältnissen“ bzw. freiwillig eingegangenen „Verfügungsbeschränkungen“ resultierende Umstände handele, die nach § 9 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 BewG außer Acht zu lassen seien (zur grundsätzlichen Kritik an dieser Regelung vgl. die Stellungnahme des IDW vom 25.06.2015 zum Referentenentwurf zur Anpassung des ErbStG). Es lässt sich jedoch argumentieren, dass die fehlende Marktgängigkeit ein wertmindernder Umstand ist, welcher nicht in der Person des Anteilsinhabers begründet ist, sondern der alle Investoren gleichermaßen betrifft. Folglich „haftet“ die fehlende Marktgängigkeit der Beteiligung „an“ und betrifft deren „Beschaffenheit“ i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG.

Bei steuerlich vermögensverwaltenden Fonds wird seitens der Finanzverwaltung überdies häufig argumentiert, dass Bewertungsgegenstand gerade nicht der (schwer veräußerliche) Fonds-Anteil sei, sondern dass aufgrund der gem. § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG angeordneten steuerlichen Transparenz von einem anteiligen Erwerb der vom Fonds gehaltenen Wirtschaftsgüter auszugehen sei. Hier bedarf es ggf. einer ergänzenden Argumentation dahingehend, dass gerade der Wert dieser mittelbar gehaltenen Wirtschaftsgüter für den Steuerpflichtigen zum Stichtag weder unmittelbar noch mittelbar realisierbar sein dürfte.

Fazit

Bei einer am gemeinen Wert i.S.d. § 9 Abs. 2 BewG orientieren Bewertung, die den zum Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Preis zutreffend abbildet, sollten alle preisbeeinflussenden Faktoren Berücksichtigung finden können. Wie das FG Hessen im zitierten Urteilsfall zutreffend festgestellt hat, muss dies allgemein auch in den Fällen gelten, in denen das BewG typisierende Bewertungsvorschriften vorsieht. Im Rahmen der gesetzlichen Bewertungsvorschriften von Grundvermögen sieht das BewG explizit vor, dass es dem Steuerpflichtigen offensteht, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen (§ 198 BewG). Dieser Grundsatz sollte für sämtliche Bewertungsgegenstände gelten, ggf. kraft gesetzlicher Klarstellung im Rahmen einer in den allgemeinen Teil des BewG aufzunehmenden Generalklausel.

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