Mit Schreiben vom 23.05.2016 (DB 2016 S. 1228) hat das BMF den Anwendungserlass zur AO (AEAO) um Ausführungen zu § 153 AO ergänzt. Die Regelung des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO wirft viele Auslegungsfragen auf, die in der Fachliteratur umstritten sind. Dies hat eine besondere Brisanz, da im Falle eines Verstoßes gegen die Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 Abs. 1 AO eine steuerstrafrechtliche Verfolgung wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO droht (zur Abgrenzung der Anzeige- und Berichtigungspflicht von einer Selbstanzeige vgl. Klepsch, Steuerboard vom 09.06.2016).
Zur Anzeige und Berichtigung verpflichtete Personen
Kritisch zu sehen sind die Ausführungen des BMF zu den anzeige- und berichtigungsverpflichteten Personen, soweit diese sich auf gewillkürte Vertreter beziehen. Gemäß dem BMF-Schreiben sind Bevollmächtigte, also insbesondere Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer, die eine Erklärung vorbereiten, unterschreiben oder elektronisch übermitteln nicht anzeige- und berichtigungspflichtig. Vielmehr seien nur der Steuerpflichtige selbst und die in § 153 Abs. 1 Satz 2 AO bezeichneten Personen, also insbesondere Geschäftsführer und sonstige gesetzliche Vertreter nach § 153 Abs. 1 AO anzeige- und berichtigungspflichtig. Insofern suggeriert das BMF-Schreiben vom 23.05.2016 dem Leser, dass ein Bevollmächtigter, der mitursächlich an einer unrichtigen Erklärung mitgewirkt hat, bei nachträglicher Erkenntnis von der Unrichtigkeit ohne Bedenken von einer Anzeige gegenüber der Finanzbehörde absehen kann. Dies ist jedoch u.a. angesichts der bislang ergangenen zum Teil höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest bedenklich.
Rechtsprechung zur Anzeige- und Berichtigungspflicht von Bevollmächtigten
Nach einem zur Vorgängervorschrift (§ 165e AO a.F.) ergangenen Urteil des BGH ist nicht nur der Steuerpflichtige selbst, sondern ganz allgemein derjenige berichtigungspflichtig, der eine mangelhafte Erklärung abgegeben hat (BGH vom 01.11.1966 – 5 StR 479/66).
Auch zur aktuellen Regelung des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO hat das OLG Koblenz hinsichtlich eines Steuerberaters, der die Fertigung der Jahresabschlüsse und die Abgabe der Einkommensteuererklärung übernommen hatte, mit Beschluss vom 15.12.1982 entschieden, dass die Berichtigungspflicht nicht nur den Steuerpflichtigen selbst, sondern vielmehr auch denjenigen, der dessen Angelegenheiten wahrnimmt, treffe (OLG Koblenz vom 15.12.1982 – 1 Ss 559/82, wistra 1983 S. 270).
Zwar hat der BGH mit Beschluss vom 20.12.1995 wiederum entschieden, dass sich für einen Steuerberater aus der bloßen berufsrechtlichen Stellung keine strafrechtliche Garantenstellung und somit keine Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen herleiten lasse, wenn dieser bei der Erstellung der maßgeblichen Steuererklärung lediglich mitgeholfen hat und diese nach Kenntniserlangung von der Unrichtigkeit nicht gegenüber der Finanzbehörde korrigiert hat. Dabei hat der BGH jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob etwas anderes gilt, wenn der Steuerberater die Steuererklärung in eigener Verantwortung erstellt und selbst unterschreibt (BGH vom 20.12.1995 – 5 StR 412/95, RS0779126, Tz. 47 a.E.). Der Anwendungsbereich dieses Falles ist dabei nicht zu unterschätzen, da die Regelung des § 153 Abs.1 AO nicht auf die Berichtigung von Steuererklärungen begrenzt ist, sondern vielmehr sämtliche Erklärungen gegenüber der Finanzverwaltung betrifft, die Einfluss auf die Festsetzung oder Erhebung von Steuern haben.
Faktische Berichtigungspflicht für Bevollmächtigte
Zudem ist zu beachten, dass sich neben der Regelung des § 153 Abs. 1 AO eine faktische Anzeigepflicht eines Bevollmächtigten aufgrund seiner allgemeinen strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB ergeben könnte (Steuerhinterziehung durch Unterlassen). So wird diskutiert, ob neben der Regelung des § 153 Abs. 1 AO auch gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 13 StGB nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen eine Garantenpflicht besteht, soweit die Abgabe der fehlerhaften Erklärung auf einem pflichtwidrigen Vorverhalten des Bevollmächtigten beruht (sog. Ingerenz). Wenngleich dies m.E. zu verneinen ist, da m.E. die Regelung des § 153 Abs. 1 AO als lex specialis die Anwendbarkeit der allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze zur Garantenpflicht aus Ingerenz sperrt, ist aus der Sicht eines Bevollmächtigten zu beachten, dass weder die höchstrichterliche Rechtsprechung noch die Finanzverwaltung durch Schreiben vom 23.05.2016 zu dieser Frage Stellung genommen haben. Sollte sich insoweit die Auffassung durchsetzen, dass einen Bevollmächtigten nach § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 13 StGB eine Garantenpflicht aus pflichtwidrigem Vorverhalten trifft, kann dieser – bei nachträglicher Kenntnis von der Unrichtigkeit der abgegebene Erklärung – einer Strafbarkeit wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB unter Umständen nur durch Abgabe einer Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO entgehen. In der Folge wäre der Bevollmächtigte faktisch zur Anzeige und Berichtigung verpflichtet.
Fazit
Auch wenn das BMF-Schreiben vom 23.05.2016 beim oberflächlichen Lesen gegenteiliges suggeriert, sollte bei einem Bevollmächtigten, der die steuerlichen Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen in eigener Verantwortung wahrnimmt, sehr genau und in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ihn bei nachträglicher Erkenntnis der Unrichtigkeit einer abgegebenen Erklärung eine Anzeige und Berichtigungspflicht trifft, der er nachkommen muss, um einer steuerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entgehen.