Berichtigung fehlerhafter Rechnungen für Zwecke des Vorsteuerabzugs: EuGH lässt Rückwirkung zu

RA/FAStR Thomas Streit, LL.M. Eur., Managing Associate bei KÜFFNER MAUNZ LANGER ZUGMAIER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

RA/FAStR Thomas Streit, LL.M. Eur., Managing Associate bei KÜFFNER MAUNZ LANGER ZUGMAIER Rechtsanwaltsgesell-schaft mbH, München

Am 15.09.2016 hat der EuGH in der Rechtssache Senatex GmbH (Rs. C‑518/14, RS1216657) ein grundlegendes Urteil im Bereich des Umsatzsteuerrechts gefällt. Danach können fehlerhafte Rechnungen rückwirkend berichtigt werden. Bedeutung hat dies für Rechnungsempfänger, die aus einer fehlerhaften Einkaufsrechnung den Vorsteuerabzug vorgenommen haben. Ihnen drohte bislang die Versagung des Vorsteuerabzugs aus der fehlerhaften Rechnung und – je nach zeitlichem Ablauf – eine Zinsforderung des Finanzamts gem. § 233a AO. Durch die jetzt anerkannte Rückwirkung der Berichtigung dürften Zinsforderungen des Finanzamts der Vergangenheit angehören. Unternehmen, die in der Vergangenheit in derartigen Fällen Zinsen an die Finanzbehörde entrichtet haben, sollten prüfen, ob sie nicht die Erstattung der Zinsen beanspruchen können.

Rechtlicher Hintergrund

Ein Unternehmer, der den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung vornehmen will, muss gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG über eine ordnungsgemäße Einkaufsrechnung verfügen. Eine Rechnung ist nur dann ordnungsgemäß, wenn sie alle Rechnungspflichtangaben des § 14 Abs. 4 UStG enthält. Fehlt in der Rechnung eine dieser Angaben, steht dem Unternehmer der Vorsteuerabzug nicht zu. Der Unternehmer hat zwar die Möglichkeit, vom Rechnungsaussteller eine Berichtigung der fehlerhaften Rechnung gem. § 31 Abs. 5 UStDV zu fordern. Zeitliche Wirkung jedoch entfaltete diese Berichtigung nach bisheriger Sicht der deutschen Finanzverwaltung und ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH lediglich ex nunc. Dem Leistungsempfänger wurde der Vorsteuerabzug also erst für den Zeitraum gewährt, in dem ihm erstmals eine ordnungsgemäße Rechnung vorlag. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer die ursprüngliche fehlerhafte Rechnung erhielt, wurde ihm verwehrt. Hatte ein Unternehmer die Vorsteuer aus einer fehlerhaften Rechnung dennoch erstattet bekommen, drohte nicht nur die Rückforderung des Vorsteuerbetrags durch das Finanzamt, sondern – und das machte die Sache bislang teuer – zusätzlich eine Zinsforderung des Finanzamts gem. § 233a AO i.H.v. 6% pro Jahr (vgl. § 238 AO; beginnend mit Ablauf der Karenzfrist gem. § 233a Abs. 2 AO).

An dieser Sichtweise waren durch jüngere Entscheidungen des EuGH jedoch Zweifel aufgekommen. Der EuGH hatte in der Rechtssache Terra Baubedarf-Handel (EuGH vom 29.04.2004 – Rs. C‑152/02, DB 2004 S. 1080) zwar entschieden, dass der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug erst in dem Zeitraum vornehmen kann, in dem eine Rechnung vorliegt. Ohne eine – ggf. auch fehlerhafte – Rechnung kommt demnach ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht. Zwei spätere Entscheidungen des EuGH haben in der steuerrechtlichen Fachwelt dann eine Diskussion ausgelöst, ob die Korrektur einer fehlerhaften Rechnung nicht doch auf den Zeitpunkt zurückwirken kann, in dem beim Leistungsempfänger erstmals eine fehlerhafte Eingangsrechnung vorlag (EuGHvom 15.07.2010 – Rs. C‑368/09, Pannon Gép Centrum; vgl. dazu auch Radeisen, DB0363358 und vom 08.05.2013 – Rs. C‑271/12, Petroma Transports u.a.).

Anrufung des EuGH durch das FG Niedersachsen

Diese Rechtsunsicherheit veranlasste das FG Niedersachsen, sich mit Beschluss vom 03.07.2014 (5 K 40/14, RS1045588; vgl. dazu auch Kreft, DB0686577) an den EuGH zu wenden und um Klärung zu bitten. Im Fall des FG Niedersachsen hatte der Kläger Senatex in den Jahren 2008-2011 einen Vorsteuerabzug aus Gutschriften an Handelsvertreter und aus Eingangsrechnungen eines Werbegestalters vorgenommen. Sowohl den Gutschriften als auch den Rechnungen fehlte die Angabe der Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistenden. Die fehlerhaften Rechnungen und Gutschriften der Jahre 2009-2011 wurden noch während der Außenprüfung im Jahr 2013, die des Jahres 2008 erst während des Einspruchsverfahrens im Jahr 2014 berichtigt. Es stellte sich damit die Frage, ob Senatex der Vorsteuerabzug erst für die Jahre 2013 und 2014 zusteht oder aber rückwirkend für die Jahre 2008-2011.

Das FG wollte vom EuGH wissen,

  • ob der Ergänzung einer unvollständigen Rechnung – anders als einer erstmaligen Rechnungsausstellung – Rückwirkung zukommt,
  • welche Mindestanforderungen an eine Rechnung zu stellen sind, damit sie einer rückwirkenden Berichtigung zugänglich ist, und
  • ob eine Rechnungsberichtigung noch mit Rückwirkung erfolgen kann, wenn sie erst im Rahmen eines Einspruchsverfahrens vorgenommen wird.

Rechtserkenntnisse des EuGH

Der EuGH bejahte die erste Frage und damit die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt, in dem erstmals eine (fehlerhafte) Rechnung vorlag. Er begründet dies damit, dass das Recht auf Vorsteuerabzug gem. Art. 167 ff. MwStSystRL ein grundlegendes Prinzip des Mehrwertsteuerrechts ist. Der Unternehmer soll im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit vollständig von einer Belastung mit Mehrwertsteuer befreit werden. Dadurch wird die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet. Der EuGH unterscheidet zwischen den materiellen Voraussetzungen und den formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs, wobei die Rechnung lediglich eine formelle Voraussetzung darstellt. Der Neutralitätsgrundsatz gebiete die Gewährung des Vorsteuerabzugs auch dann, wenn gewisse formelle Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Mitgliedstaaten dürfen gem. Art. 273 MwStSystRL zwar Sanktionen vorsehen, wenn formelle Bedingungen nicht erfüllt sind. Diese dürfen jedoch nicht in der Versagung des Vorsteuerabzugs und einer damit einhergehenden Verzinsung bestehen, die unabhängig von der Schwere des Verstoßes eintritt.

Die anderen beiden Fragen beantwortete der EuGH nicht. Sie waren für ihn im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH stärkt die Rechte der Unternehmer und begegnet einem zunehmenden Formalismus im Bereich des Umsatzsteuerrechts. Haben Betriebsprüfungen in der Vergangenheit oft aufgrund formeller Mängel in Rechnungen zu Beanstandungen und Zinsforderungen geführt, bietet die Entscheidung Senatex den Unternehmen nun Lösungen.

Unternehmer, denen fehlerhafte Eingangsrechnungen vorliegen, sollten diese durch den Rechnungsaussteller berichtigen lassen. Diese Berichtigung sollte aus zwei Gründen möglichst zeitnah erfolgen: Der Leistende, der die Rechnung ausgestellt hatte, muss noch greifbar sein. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand steigt das Risiko, dass der Leistende ggf. vom Markt verschwindet oder nicht mehr auffindbar ist. Zum anderen ist noch nicht abschließend geklärt, wie lange eine rückwirkende Berichtigung (auch im Einspruchsverfahren?) zeitlich zulässig ist. Eine zeitnahe Berichtigung ist also in jedem Fall zu empfehlen. Sofern die Behörde bereits mit Prüfungshandlungen begonnen hat, sollten ihr die berichtigten Rechnungen zügig zugänglich gemacht werden.

Unternehmer sollten darauf achten, dass eine Berichtigung fehlerhafter Rechnungen durch sog. Rechnungsergänzungsdokumente erfolgt. Es ist zweifelhaft, ob dasselbe Ergebnis auch erreicht wird, wenn fehlerhafte Rechnungen storniert und neu ausgestellt werden. In diesem Fall fehlt es aufgrund des Storno wohl an einer berichtigungsfähigen Rechnung, die für eine Rückwirkung bedeutsam wäre.

Auch wenn der EuGH zum Fehlen einer Steuernummer und Umsatzsteuer-Identifikationsnummer entschieden hat, sind die Erkenntnisse des EuGH auch auf andere Rechnungspflichtangaben anwendbar. Ob dies auch für „Rechnungskernmerkmale“ wie z.B. der Angabe des Leistenden und des Leistungsempfängers gilt, bedarf weiterer Klärung.

Unternehmer, denen das Finanzamt in der Vergangenheit den Vorsteuerabzug aufgrund formeller Rechnungsmängel versagt, die Rückwirkung einer Berichtigung verweigert und Zinsen festgesetzt hat, sollten versuchen, die Zinsen erstattet zu bekommen.

Die Entscheidung sollte dennoch nicht dazu führen, dass Unternehmer bei Rechnungsstellung und Vorsteuerabzug geringere Sorgfalt walten lassen. Jedes Unternehmen sollte, wie auch bereits in der Vergangenheit, über eine verlässliche Kontrolle der Eingangsrechnungen verfügen.

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